Auf einem Dach eines Hochhauses in Frankfurt stand ein großes weißes Kreuz. Kameraschwenks zeigten die Skyline der Bankenmetropole. Mit einem im Internet gestreamten und von der ARD übertragenen ökumenischen Gottesdienst begann am Himmelfahrtstag der dritte Ökumenische Kirchentag. Doch etwas fehlte: Während zur Eröffnung eines Kirchentags sonst Zehntausende Menschen auf einem Platz, einem Gelände oder in einem Stadion eng gedrängt miteinander singen und beten, standen der predigende Prior der Gemeinschaft von Taizé, Frere Alois, und die übrigen Zelebranten allein auf dem Hochhausdach. Denn wegen der Pandemie stand schon seit Dezember fest: Das Christentreffen findet nahezu komplett im Internet statt.
„Digital und dezentral“ lautet das neue Motto der Veranstaltung. Offiziell vom 13. bis 16. Mai, tatsächlich vor allem am 15. Mai, werden rund 100 digitale Veranstaltungen aus Frankfurt gesendet. An 300 Orten in ganz Deutschland veranstalten Gemeinden eigene Gottesdienste aus Anlass des Kirchentags oder streamen Diskussionsforen. Womit der Kirchentag ein Risiko eingeht: Denn die typische, auch in Bremen erlebte, volksfestartige Kirchentagsstimmung lässt sich nicht per Stream auf dem Laptop im heimischen Wohnzimmer herstellen. Gelingt es den Veranstaltern dennoch, ihr Publikum auf den Sofas dieser Republik abzuholen? Gucken die Menschen am Sonnabend wirklich zehn Stunden Stream vom Kirchentag? Kann eine Veranstaltung, die in der Regel ein buntes Volksfest ist, im Internet funktionieren?
Schon am Himmelfahrtstag hatte die Website des Kirchentags ein massives Serverproblem, streckenweise brach der Stream zusammen. Spannend wird damit auch die Frage, wie die Beteiligung der Kirchentagsbesucher funktioniert: Denn zum Markenkern der Kirchentage gehört es, dass die Besucher der Veranstaltung direkt mit Politikern und Kirchenvertretern ins Gespräch kommen können. Dafür soll es nun „digitale Stehtische“ und Workshops via Videokonferenz geben – jedenfalls, wenn der Server die Belastungen aushält. Doch der große Ansturm zeigt auch: Inhaltlich kommt der Ökumenische Kirchentag genau zur richtigen Zeit. Das konnte man am Himmelfahrtstag schon im Eröffnungsgottesdienst spüren, dessen Prediger, Frere Alois, die richtigen Worte fand. Auch den Missbrauchsskandal in den Kirchen thematisierte er – „Missbrauch hat viel Vertrauen zerstört.“
Ein ökumenisches Zeichen soll natürlich ebenfalls von Frankfurt am Main ausgehen. Am Sonnabend sind vier ökumenische Gottesdienste geplant, in denen Abendmahl und Eucharistie gefeiert werden sollen. „Ökumenisch sensibel“ soll es dabei dem Gewissen der Gläubigen überlassen bleiben, ob sie als Protestanten auch zur katholischen Eucharistie hinzutreten. „Wir feiern vier konfessionelle Gottesdienste, und wir heißen die Christen anderer Konfessionen vorbehaltlos willkommen“, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, in der Eröffnungspressekonferenz am Mittwoch.
Sollte es tatsächlich so ablaufen, dass prominente Protestanten beim Ökumenischen Kirchentag an einer katholischen Eucharistiefeier teilnehmen, wäre das tatsächlich ein kirchenhistorischer Moment und ein weiteres Zeichen, mit dem sich die katholische Kirche in Deutschland von der strikten Haltung Roms emanzipiert. Denn formell dürfen Protestanten weiterhin nicht an der katholischen Eucharistie teilnehmen – dieser Zustand könnte nur durch den Vatikan geändert werden.
Ob sich Rom auch dieses Mal einschaltet, wird man sehen – auf jeden Fall aber zeigt das Vorhaben, dass auch ein nahezu ausschließlich im Internet gefeierter Kirchentag für Aufregung sorgen kann. Zumindest, wenn am Ende alles funktioniert. Schließlich ist die größte Gefahr, vor der die Kirchentagsbewegung in diesen Tagen steht, ihr Stammpublikum durch eine misslungene Premiere zu vergrätzen. Wer jetzt vom Online-Kirchentag enttäuscht ist, wird auch nicht mehr unbedingt zu den in der realen Welt stattfindenden Veranstaltungen in Stuttgart und Nürnberg reisen.