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25 Jahre "Wir sind Kirche" Akupunktur für die Kirche

Sie sind eine Art innerparteiliche Opposition in der katholischen Kirche: die Bewegung "Wir sind Kirche". Und sie tut dieser Institution gut, meint Benjamin Lassiwe.
14.10.2021, 19:14 Uhr
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Von Benjamin Lassiwe

Manchmal wirkt es so, als seien sie moderne Don Quichotes. Manchmal scheint ihr Kampf für mehr Mitbestimmung, für Frauenrechte und Gerechtigkeit in der katholischen Kirche einfach nicht mehr zu gewinnen sein. Doch die katholische Kirchenbewegung „Wir sind Kirche“ hat trotzdem allen Grund zur Freude. Sie feiert an diesem Wochenende ihr eigentlich schon im vergangenen Jahr fälliges, wegen Corona verschobenes 25-jähriges Jubiläum nach. Würde es eine solche – den Bischöfen und kirchlichen Würdenträgern mit permanenten Nadelstichen vermutlich höchst lästige – Organisation nicht geben, man müsste sie wohl erfinden.

Denn die katholische Kirche an sich ist ein schwerfälliger Supertanker. Eine Organisation, in der Reformen einen wahrhaft langen Atem brauchen. Und wo es manchmal erst krachen muss, damit irgendetwas passiert. So wie 2010, als die Betroffenen des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg den Mut hatten, über ihre Schicksale zu sprechen, und der Stein der Aufarbeitung in der katholischen Kirche erst langsam, dann immer schneller ins Rollen kam. Auch wenn es noch heute diverse Würdenträger gibt, die immer wieder versuchen, mit einem Bagger Gräben in den Hang zu baggern, um den Lauf der immer größeren Lawine zu ändern und um den eigenen Stuhl und die eigene Diözese herumzuleiten.

Doch die Kirche hat angefangen, sich zu bewegen. Als vor einigen Jahren auf einer Pressekonferenz der Deutschen Bischofskonferenz gefragt wurde, ob als Nachfolger des scheidenden Generalsekretärs Pater Hans Langendörfer auch eine Frau als Generalsekretärin möglich sei, gab es von vielen Anwesenden ungläubige bis geradezu mitleidsvolle Blicke. Seit 1. Juli dieses Jahres ist Beate Gilles die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz.

Erst am Mittwoch wählten die Mitglieder der Delegiertenversammlung der Caritas Deutschland Eva Maria Welskop-Deffaa zu ihrer Präsidentin – als erste Frau und erste Nicht-Priesterin in der 120-jährigen Geschichte des Verbandes. Dass diese Personalie zustande gekommen ist, können sich auch die Mitglieder von „Wir sind Kirche“ auf die Fahnen schreiben. Auch wenn das in der Kirche vermutlich nie im Leben jemand zugeben würde. Aber steter Tropfen höhlt halt manche Steine.

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Auch wenn die Zielgenauigkeit von so manchem Tropfen bei „Wir sind Kirche“ besser sein könnte: Denn oft wirken die Forderungen der Kirchenvolksbewegung von außen überzogen. Oft wirken sie völlig unrealistisch, oft auch provokativ. Aber hätte man sich bei den illegal gefeierten Abendmahlsgottesdiensten 2003 in der Berliner Gethsemanekirche vorstellen können, dass es heute dem Gewissen konfessionsverschiedener Ehepaare überlassen ist, ob sie gemeinsam zum Abendmahl in die evangelische Kirche oder zur Eucharistie in die katholische Kirche gehen?

„Wir sind Kirche“ hat damals den gezielten Tabubruch gewagt. Und wie es bei einem Tabubruch üblich ist, wurden die Tabubrecher – etwa der Priester und Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl, der evangelische Christen zur Kommunion zuließ – bestraft, und das auch völlig zu Recht. Denn wenn man sich dafür entscheidet, aus Protest zu überziehen und aus Provokation ein Tabu zu brechen, muss man hinterher dafür auch die Konsequenzen tragen und den Preis seines Handelns bezahlen.

Vor einem Problem freilich ist auch „Wir sind Kirche“ nicht gefeit: Schon seit Jahren sind die handelnden Personen in dieser Organisation dieselben. Dass sich junge Leute für eine Gruppe interessieren, die mit erheblichem persönlichen und materiellen Aufwand für Veränderungen in einer Kirche eintritt, ist nicht ­unbedingt zu erwarten.

Doch es ist wichtig, dass solche Gruppen nicht irgendwann aus Nachwuchsmangel ein Ende finden. Denn die kleinen Nadelstiche von „Wir sind Kirche“ hat die katholische Kirche durchaus verdient – sie helfen ihr so wie eine gute Akupunktur.

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