Haben Sie heute schon gelacht, Herr von Hirschhausen?
Eckart von Hirschhausen: Ja, als ich heute Morgen am Bahnhof ankam und die Tür des ICE sich direkt vor meiner Nase schloss. Der Zug fuhr früher ab, als er mit Verspätung in der App angezeigt wurde. Nicht mal mehr auf die Verspätung der Bahn kann man sich verlassen. Aber als Inhaber einer Bahncard 100 und Bahn-Überzeugungstäter konnte ich darüber lachen und habe einfach den nächsten Zug genommen. Ich liebe die Bahn, aber ich weiß nicht, ob die Bahn auch mich liebt.
Nicht nur die Bahn kann einen verzweifeln lassen, in der Ukraine herrscht Krieg, im Sudan verhungern die Menschen, die Klimakrise spitzt sich immer weiter zu. Vergeht Ihnen da nicht manchmal das Lachen?
Ja, aber da halte ich mich an Karl Valentin. Er hat gesagt: „Wenn es regnet, freue ich mich, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Aber es stimmt. Viele Dinge laufen gerade in die komplett falsche Richtung. Deshalb überlege ich jeden Tag: „Was kann ich heute Positives bewegen? Und wen kann ich bewegen, der mehr bewegen kann als ich?“
Sie haben mal gesagt: „Wenn die Welt gerettet ist, dann werde ich wieder lustig.“ Klingt so, als müssten wir uns vom lustigen Eckart von Hirschhausen für immer verabschieden.
Die Welt ist nicht mehr wie vor 30 Jahren – und ich bin es auch nicht. Aus dem lustigen Doktor mit der roten Nase bin ich herausgewachsen. Solange man sich als Bühnenkomiker versteht, ist die Erwartung, dass jeder dritte Satz ein Lacher wird. Ich habe meinen Humor nicht verloren, aber wir haben einen medizinischen Notfall – unsere Mutter Erde hat ansteigendes Fieber! Und da schaue ich ja auch nicht zuerst, wo jemand kitzelig ist…
Was heißt für Sie?
Meine Art, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu sehen und auf pointierte Worte zu bringen, nutze ich heute als Impulsgeber mit Vorträgen, mit meinem neuen Buch als Autor und in jedem Gespräch hinter den Kulissen als Netzwerker. Es ist für mich kein Widerspruch, über ernste Dinge mit Humor zu sprechen, aber ich möchte ernste Dinge auch nicht einfach weglachen.
In Ihrem neuen Buch „Der Pinguin, der fliegen lernte“ beschreiben Sie einen Pinguin, der sich an Land nur äußerst unbeholfen bewegt, aber zu fliegen scheint, sobald er im Wasser ist. Für Sie ein Sinnbild dafür, dass wir alle nur die für uns passende Umgebung finden müssen, um glücklich zu werden. Ist das wirklich so einfach?
Zum einen habe ich es selbst so erlebt. Die Pinguingeschichte habe ich mir ja nicht ausgedacht – sie ist mir passiert. Sie ist auch ein bisschen komplexer als in Ihrer Frage angedeutet. Menschliche Entwicklung kann einfach sein, sie muss es aber nicht. Sonst hätte ich nicht ein ganzes Buch darüber geschrieben. Ich habe selbst lange unterschätzt, welche heilsame Kraft in der Metapher des Pinguins steckt. Aber ein Video, in dem ich die Geschichte erzähle, wurde auf Youtube über eine Million Mal angeklickt. Therapeuten, Lehrer und viele andere, die mit Menschen zu tun haben, nutzen sie.
Aber viele Menschen können nicht einfach ihre Lebensbedingungen ändern. Nicht jeder, der in einer kleinen, dunklen Wohnung lebt, kann in ein großes, lichtdurchflutetes Haus ziehen und so glücklich werden.
Das behaupte ich ja auch gar nicht. Es gibt viele Kontexte, die einfach nicht schönzureden sind. Ich bin überhaupt kein Rosa-Brille-Mensch. Auch kein Tschakka-Coach der behauptet, lächele – und alles wird gut. Das Pinguin-Buch ist eine Reflexion darüber: Was liegt in deiner Hand – und was nicht. Die Geschichte, die viele Menschen über sich selbst schreiben, ist: Ich bin irgendwie nicht gut genug. Die Pinguin-Story hingegen erzählt eine ganz andere Geschichte. Sie kann Menschen helfen zu verstehen, dass ihre Stärken in einem anderen Kontext gebraucht werden und sie so aufblühen können.
Die Pinguine rücken eng zusammen, um in der Kälte zu überleben. Kann der Mensch auch alleine glücklich sein?
Was die Kraft von Gemeinschaft und Kooperation betrifft, können wir Menschen viel von den Pinguinen lernen. Um den eisigen Temperaturen zu trotzen und um sich gegenseitig zu wärmen, rücken ganz viele Pinguine in einem sogenannten Huddle so eng aneinander, dass im Inneren der Gruppe Temperaturen herrschen, die über der Körpertemperatur der einzelnen Tiere liegen. Sie wechseln sich ab, wer an der kalten Außenseite stehen muss, und keiner meckert. All das bekommen sie koordiniert, ohne, dass irgendjemand der Chef ist. Sie brauchen dafür nur eine berührende Selbstlosigkeit. Wenn Pinguine so gut kooperieren können, dann sollten wir Menschen, die wir uns für die Krone der Schöpfung halten, doch gerade in kalten und harten Zeiten auch neue Formen des Miteinanders finden können.
Aber noch einmal: Kann der Mensch auch alleine glücklich sein?
Ja, klar! Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Einsamkeit ist ein Alleinsein, an dem ich nichts ändern kann. Alleinsein als Wahl ist hingegen eine wichtige Phase der Selbstreflexion. Auch als geselliger Mensch brauchst du Rückzugsorte, an denen du für dich bist und Stille aushältst und in dich hineinhorchst, um rauszufinden, welche Themen dann auftauchen. Ich rege in meinem neuen Buch an, Tagebuch zu führen. Das kann dabei helfen zu überprüfen: Bin ich auf dem richtigen Kurs? In welchen Bereichen bin ich glücklich, in welchen weniger? Glück ist ja kein universelles Gefühl. Es kann sein, dass ich im Arbeitskontext nicht in meinem Element bin, aber beispielsweise im Ehrenamt oder in der Freizeit meine Stärken voll ausleben kann.
Macht Geld glücklich?
Genug Geld zu haben, um seine Bedürfnisse befriedigen zu können, ist eine Voraussetzung für Glück. Armut und daraus resultierende soziale Benachteiligung verursachen großen Stress und verkürzen die Lebenserwartung deutlich. Aber nicht nur die Armen, auch die Reichen und ganze Gesellschaften werden unglücklicher, wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Wenn die Diskrepanz so groß wird, dass Arme sich durch eigene Anstrengungen nicht mehr aus ihrer Armut befreien können und Superreiche in der Zeit, in der sie aufs Klo gehen, allein durch die Erträge ihres Vermögens um Millionen reicher werden, sie sich aus der Gesellschaft und der Verantwortung ausklinken und die eigentlich natürliche Hilfsbereitschaft so nachlässt, tut das keiner Gesellschaft gut.
Also macht immer mehr Geld nicht immer glücklicher?
Nein! Ich kenne dazu einen Witz: Was ist der Unterschied zwischen einem Mann mit sieben Kinder und einem Mann mit sieben Millionen Euro?
Keine Ahnung.
Der mit den Millionen will weitere! Das Problem mit dem Geld ist: Es gibt keine natürliche Sättigung. Vom Wunsch nach immer mehr Geld ausgelöstes Verhalten wie Selbstsucht, Geiz oder Aggressivität ist der Gegenspieler von kooperativen Verhalten. Elon Musk wirkt auf mich größenwahnsinnig, aber alles andere als glücklich. Im Einklang mit den eigenen Werten zu leben, macht glücklich. Es ist einfach, glücklich zu sein. Schwer ist es nur, einfach zu sein.
Kann man trotz sozialer Medien glücklich sein?
Die sozialen Medien sind wirklich eine Pest. Sie fressen extrem viel Zeit und machen nachweislich depressiv. Man vergleicht sich ständig mit anderen und denkt dann: „Oh, ich sehe ja gar nicht so gut aus wie die oder jener.“ Dabei vergleicht man sich ja oft nur mit einer unter anderem durch Filter optimierten Welt. Abgesehen davon: Wenn ich Leute frage: „Wo bist du gerade?“ Und die Antwort lautet: „Online“, dann denke ich oft: Geh mal lieber in die Natur! Im Wald findet man mehr Inspiration als bei Facebook, Instagram und Co..
Wenn die sozialen Medien die Pest sind: Warum sind Sie trotzdem dort?
Man sollte die sozialen Medien nicht allein den Arschlöchern überlassen. Aktuell klage ich, weil es gefälschte Medikamentenwerbung von mir gibt, die mit künstlicher Stimme gefährlich echt wirken. Wir dachten ja, als das Internet kam, es wird Wissen demokratisieren – aktuell sehen wir, dass gezielte Desinformation und Hass viel zerstört. Die Pinguine könnten keinen schützenden Huddle bilden, wenn es am Südpol WLAN gäbe.
Wann reicht es nicht, Ihr neues Buch zu lesen. Wann muss man zum Therapeuten?
Ein ganz wichtiges Kriterium für seelische Gesundheit ist die emotionale Schwingungsfähigkeit. Viele Menschen stellen sich eine Depression wie eine große Traurigkeit vor, dabei ist eine Depression im Kern eine emotionale Null-Linie, die keine emotionale Ansteckung ermöglicht. Es ist normal, traurig zu sein, wenn etwas Trauriges passiert. Wenn man nicht mehr in der Lage ist, mit jemanden mitzuleiden, kann dies ein wichtiger Hinweis darauf sein, dass man in Richtung Depression oder Burn-out unterwegs. Eine andere frühe Warnstufe ist, wenn einem Dinge, die einem immer Spaß gemacht haben, plötzlich keinen Spaß mehr machen. Sollte man dies bei sich feststellen, sollte man sich um professionelle Hilfe bemühen.
Was macht Ihnen Angst?
Dass die Natur in rasendem Tempo kaputtgeht. Es liegt vor allem daran, dass die Klimakrise und das Artensterben ganz eng miteinander zusammenhängen. Und es macht mir Angst, dass Menschen, die diese Zusammenhänge ignorieren, unter anderem durch soziale Medien mit großer Lautstärke wahnsinnig viel Reichweite bekommen.
Glauben Sie, dass wir die Klimakrise und Artensterben noch in den Griff bekommen?
Es lohnt sich zu kämpfen. Wir wissen genug, haben aber lange so getan, als wäre das alles ein Problem von Eisbären und nicht von uns. Damit die nächste Generation – am Südpol, in Deutschland und überall auf der Erde – noch eine so gute Zeit haben kann, wie meine Generation es hatte, braucht es jetzt ganz, ganz viele Menschen, die sich engagieren.
Engagieren sich genug Menschen?
Es ist schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, solange andere sie hauptberuflich zerstören. Es braucht Netzwerke, Allianzen, die „stille Mehrheit“ kann den Mund aufmachen! Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass ich jeden Tag mit engagierten Menschen in Kontakt bin, die – wie ich – nicht resignieren. Jeder Mensch kann sich morgens überlegen, wofür man aufstehen möchte. Man kann natürlich auch liegen bleiben. Aber es ist wie nachts wach werden mit voller Blase – wir wissen, was zu tun ist. Es wird nicht besser, wenn wir ganz fest die Augen zu machen.