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Eröffnungsbilanz des Klimaministers Habeck will das Tempo der Energiewende verdreifachen

Eröffnungsbilanz von Klimaminister Robert Habeck (Grüne): Er will das Tempo der Energiewende verdreifachen, sieht Konflikte und appelliert an gemeinsame Interessen.
11.01.2022, 15:22 Uhr
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Von Hannes Koch

Mehrere Dutzend Kameraleute, Fotografinnen und Bildreporter drängten sich am Dienstagvormittag im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin, um Robert Habecks Start als Klimaminister festzuhalten. Die große Aufmerksamkeit spiegelte die Rolle des grünen Vizekanzlers der Koalition, wie auch die Bedeutung seiner Aufgabe. Habeck will jetzt die Weichen dafür stellen, dass Deutschland in 20 Jahren quasi keine Treibhausgase mehr ausstößt.

Als Basis legte er zusammen mit seinem Staatssekretär Patrick Graichen die „Eröffnungsbilanz“ vor. Erst werfe er „einen Schulterblick zurück, dann schauen wir nach vorne“, sagte Habeck. Seine Botschaft: „Wir starten nicht auf der Ziellinie.“ Besonders beim Neubau der Windkraftwerke an Land und auf See sei viel zu wenig passiert. „Wir brauchen die dreifache Geschwindigkeit“ im Vergleich zu den vergangenen 30 Jahren. Seit 1990 ist der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch auf mittlerweile etwa 40 Prozent gestiegen. Im aktuellen Jahrzehnt soll er jedoch auf 80 Prozent wachsen.

Die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP will erreichen, dass die Fläche für Windräder an Land von jetzt weniger als ein schnell auf zwei Prozent erhöht wird. Bisher sind nur Hessen und Schleswig-Holstein fast soweit. Damit es auch im übrigen Bundesgebiet vorwärts geht, will Habeck „die Bundesländer einzeln besuchen“. Wobei er weiß: „Es wird mühsam“, das Ziel zu schaffen. Unter anderem an die Adresse der bayerischen Landesregierung sagte der Grüne: „Da, wo es Abstandsregeln gibt, um Verhinderung zu betreiben, können sie nicht länger bestehen bleiben."

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Damit ist Habeck mitten in der „großen politischen, sozialen und kulturellen Debatte, die tief in die Gesellschaft eingreift“. Wahrscheinlich nicht die Mehrheit, aber doch eine starke Minderheit in Deutschland betrachtet den geplanten Abschied von Kohle, Erdöl, Erdgas und Atomkraft als falsch und steht den erneuerbaren Energien aus unterschiedlichen Grünen skeptisch gegenüber. Dazu gehören Bürgerinnen und Bürger, die den Wald hinter dem Haus und den Blick auf die unbebaute Hügelkette am Horizont lieben, aber auch Naturschützer, die seltene Vögel schützen wollen. An sie alle appellierte der Klimaminister, „über den Schatten der eigenen Betroffenheit zu springen“. Es sei auch nötig, Windräder im Wald zu errichten, um zu verhindern, dass der Klimawandel eben diesen Wald zerstöre. „Klimaschutz und Naturschutz sollten wir zusammendenken“, sagte Habeck, „wir müssen uns gegenseitig helfen“.

Die ökologische Transformation halte „enorme Chancen“ bereit, ist der Grüne überzeugt. Erstens gehe es darum, den Klimakollaps abzuwenden. Zweitens nannte Habeck „Wohlstand, Arbeitsplätze und Aufträge für das Handwerk“, die entstehen, wenn die komplette Energie-Infrastruktur neu gebaut wird. Schließlich sprach er die ländliche Entwicklung an: Wo Windparks entstünden, folgten die Glasfaserkabel und damit schnelles Internet und die Ansiedlung von Firmen. Aber auch die politische „Unabhängigkeit“ beispielsweise von Gaslieferungen problematischer Regime wie dem russischen sei nicht zu unterschätzen.

Zahlreiche Gesetzesvorhaben will das Wirtschaftsministerium nun auf den Weg bringen. Zuerst schnürt es ein „Osterpaket“, das das Bundeskabinett im April beschließen soll. Später kommt das „Sommerpaket“. Einzelne Vorhaben darin sind beispielsweise, dass Flächen für Windparks freigemacht werden, die bisher durch die Flugsicherung oder militärische Sicherheitsbereiche blockiert sind. Dann geht es um den schnelleren Ausbau der Solarenergie sowohl auf Freiflächen in der Landschaft als auch auf alten und neuen Gebäuden in den Städten. Zu diesem Thema wies der Verbraucherverband (Vzbv) daraufhin, dass unter anderem die gegenwärtigen Regeln für Mieterstrom, also die gemeinsame Nutzung der Solarenergie vom Hausdach, zu kompliziert seien und vereinfacht werden müssten. Wahrscheinlich erhält die Industrie auch zusätzliche Fördermilliarden, wenn sie Kohlendioxid-freie Energietechniken nutzt, die sich noch nicht rechnen. Und es werden Anreize geschaffen, um mehr Erdgas-Kraftwerke als Ersatz für die Kohlemeiler zu bauen.

Kritik aus unterschiedlichen Richtungen durfte nicht fehlen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel fand Habecks Ansagen grundsätzlich richtig, allerdings zu „vage“. Vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hieß es, der Klimaminister springe zu kurz. Um den Klimavertrag von Paris einzuhalten, müssten noch mehr Wind- und Solarkraftwerke gebaut werden als jetzt geplant.

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