Statt froh zu sein, dass vor allem wegen der Impfungen die Bedrohlichkeit der Covid-19-Infektionen abgenommen hat, gehen immer mehr Menschen fahrlässig davon aus, dass wir ja alles im Griff haben. Selbst in den Bussen und Bahnen, in denen monoton an die Maskenpflicht erinnert wird, verzichten immer mehr Fahrgäste „stolz“ oder „vergesslich“ auf die Maske oder tragen sie als Lippenschutz oder Halsschmuck.
Im Supermarkt: Der Maskenträger wird zum Exoten. Die enormen Infektions- und Todeszahlen werden offenbar wahrgenommen wie die Wasserstandspegel. Und in Berlin führt der FDP-Justizminister Marco Buschmann SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Nasenring durch die Arena: Er weiß immer als erster, was noch nötig ist und was keinesfalls. Und Kanzler Olaf Scholz schaut zu.
Solidarität mit den Beschäftigten in Kliniken und Pflegeheimen? Vermeidung von Long-Covid-Erkrankungen? Nachholen der immer noch sehr beachtlichen Impflücken? Alles kein Thema, so scheint es.
Als Aids wie aus dem Nichts in die Gesellschaft drang, hatte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine Sternstunde: Ihre Plakate waren Highlights einer intelligent gemachten Aufklärungskampagne über das unbekannte Virus HIV. Wo sind solche Plakate – in den wichtigen Sprachen – heute zu finden?
Wir verschenken die Chancen, über die wir doch verfügen – durch Impfen, Masken und Abstand halten, wo immer es nur möglich ist. Der Herbst kommt, und wir dürfen gespannt sein, was sich Ampel und Länder bis dahin in Sachen Impfkampagne einfallen lassen.
Mein Optimismus ist gedämpft. Letzter Höhepunkt der Desinformation: Der oberste Arzt der kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, meint, Infizierte könnten ruhig zur Arbeit gehen, wenn sie sich nicht krank fühlen. Das ist indiskutabel. Wir werden es allein richten müssen. Zusammen mit denjenigen Medien, die aufklärerisch schreiben und senden.