„Meine Urgroßeltern konnten der Verfolgung in Polen entkommen“, sagt Douglas Emhoff. „Sie waren in der Lage, ihren Traum in den Vereinigten Staaten zu leben.“ Der Gatte von US-Vizepräsidentin Kamala Harris, der Second Gentleman der USA, sitzt am Dienstag in einem Konferenzraum des Leo-Baeck-Hauses in Berlin-Mitte. Er ist zu Gast beim Zentralrat der Juden, um sich mit Vertretern der christlichen Kirchen und des Islam über den Stand des interreligiösen Dialogs und das Zusammenleben der Religionen in Deutschland auszutauschen.
Denn das große Thema des Juristen Emhoff, der der erste jüdische Ehepartner einer Vizepräsidentin oder eines Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist, ist der Kampf gegen den Antisemitismus und für die Religionsfreiheit. Deswegen besuchte Emhoff in diesen Tagen zunächst Polen und den Heimatort seiner Großeltern, Gorlice. Auch das Konzentrationslager Auschwitz war Teil seines Besuchsprogramms. In Berlin standen dann ein Gespräch mit dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, ein Besuch in der Synagoge an der Oranienburger Straße, bei der Topografie des Terrors und am Mahnmal für die verfolgten Juden Europas auf dem Reiseplan.
"Antisemitismus ist nicht nur eine Bedrohung für Juden"
Auch mit Überlebenden der Shoah und mit Flüchtlingen aus der Ukraine führte Emhoff Gespräche. „Antisemitismus ist nicht nur eine Bedrohung für Juden, es ist eine Bedrohung für alle von uns“, sagte Emhoff, als er die Teilnehmer der Gesprächsrunde begrüßte. „Eine Bedrohung für eine Gemeinschaft ist eine Bedrohung für uns alle.“ Derzeit erlebe man eine „globale Epidemie des Hasses“. „Die Vereinigten Staaten engagieren sich mit ihren Partnern in Deutschland darin, den Schutz der Religionsfreiheit zu priorisieren“, sagte Emhoff. Man wolle Toleranz und Inklusivität voranbringen.
Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, hatte Emhoff zuvor im Leo-Baeck-Haus begrüßt. Er hob hervor, dass die evangelische und katholische Kirche in Deutschland „gute Freunde“ der jüdischen Gemeinden seien. „Wichtiger ist aber noch, dass wir einen Weg etabliert haben, wie wir mit größeren Meinungsverschiedenheiten umgehen“, sagte Lehrer. Im vergangenen Jahr habe man zusammen mit den christlichen Kirchen das Jubiläum 1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland begangen. „Haben wir damit die Nazis besiegt? Nein“, sagte Lehrer. „Aber wir haben eine Menge Menschen gegen den Antisemitismus geimpft.“
Mit dem Islam sei der interreligiöse Dialog dagegen noch ganz am Anfang: Während man auf niedrigen Ebenen gute Kontakte habe, gebe es in Deutschland einige Spitzenvertreter der Muslime, die weiter Kontakte zu antisemitischen Organisationen pflegten.
Dann musste die Presse den Raum verlassen. Das eigentliche Gespräch mit den Religionsvertretern fand auf Wunsch des Second Gentleman hinter verschlossenen Türen statt. „Ich habe das Gespräch als sehr angenehm empfunden“, berichtete Lehrer hinterher gegenüber dieser Zeitung. „Es war ein wirklicher Austausch von beiden Seiten.“ Emhoff sei gut vorbereitet gewesen, und habe sich intensiv nach dem interreligiösen Dialog in Deutschland erkundigt. Insgesamt sei sein Besuch vor allem „ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung“ gewesen, sagte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden. „Er zeigt, dass die Religionsgemeinschaften in Deutschland von den USA und der hiesigen Botschaft als verlässliche Partner und gesellschaftliche Gestalter gesehen werden.