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Räumung in Lützerath Die undankbare Aufgabe der Stellvertreter

Die Polizistinnen und Polizisten, die in Lützerath Klimaaktivisten von Bäumen holen müssen, haben eine undankbare Aufgabe. Nicht nur die Protestler, auch sie sind Idealisten, meint Silke Hellwig.
14.01.2023, 11:50 Uhr
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Die undankbare Aufgabe der Stellvertreter
Von Silke Hellwig

Es gibt dankbarere Aufgaben für eine Polizistin oder einen Polizisten, als in Lützerath Klimaaktivisten aus Baumhäusern oder Erdtunneln zu holen. Dabei handelt es sich um einen ungleichen Kampf: Hunderte Aktivisten gegen Tausende Polizisten (darunter auch Beamte aus Bremen), Bürger gegen den mächtigen Staat, Robin Hood gegen den Sheriff von Nottingham. Aber auch: freiwillig gegen unfreiwillig, selbstbestimmt gegen fremdbestimmt, persönlich motiviert gegen dienstlich verpflichtet.

Die Verlierer stehen im Grunde fest. Es sind nicht die Protestler, weil sie nach und nach vom Gelände getragen werden. Es sind die Vollstreckungsbeamten, dazu da, wie der Name schon sagt, Recht und Gesetz durchzusetzen. Den Aktivisten sind zwar Taten „einmal quer durchs Strafgesetzbuch“ vorzuwerfen, wie ein Rechtsanwalt gegenüber der „Welt“ festhält: Nötigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung. Aber die Bilder sprechen eine andere Sprache. Wer den Zusammenhang nicht kennt, sieht, wie die Polizei Unfrieden in eine beinahe idyllisch wirkende Baumhaussiedlung bringt. 

Greta Thunberg kritisiert die Polizei

Tatsächlich müssen auf der Seite des Widerstands für den Klimaschutz die Einsatzkräfte als Feindbild herhalten, zumindest für diejenigen, die mit Steinen, Feuerwerkskörpern oder gar Molotowcocktails auf sie zielen. Politiker oder RWE-Vertreter, denen der Grund und Boden gehört, lassen sich dort nicht blicken. Es kommt, wie es kommen musste, Greta Thunberg, kaum am Ort des Protests angekommen, kritisiert das Vorgehen der Polizei. Im „Aktionsticker Lützerath“ („Über #Lützi und die Kohle entscheiden wir.“) ist von „hemmungsloser Polizeigewalt“ und willentlicher Gefährdung von Menschenleben die Rede.

Nicht wenige Bürger, darunter allerhand Politiker, haben Sympathien für die zur Schau gestellte Kompromisslosigkeit – sofern es friedlich bleibt. Dabei geht es nicht allein darum, dass die Aktivisten womöglich berechtigte Einwände gegen die (demokratische) Entscheidung der nordrhein-westfälischen Landes- und der Bundesregierung haben. Es geht auch um den Mut und die Leidensfähigkeit. Wer sitzt schon gerne tagelang in verfallenden Gebäuden ohne Strom und Wasser, geschweige denn in einem ungesicherten Tunnel? Wer klebt sich schon gerne an Straßen fest?

Es ist ein selbst gewähltes Schicksal, keine Frage, getrieben von Ideologie und Idealismus. Der Klimanotstand gilt als Rechtfertigung, der Zweck heiligt die Mittel. Es leuchtet ein, dass Klimaaktivisten von den durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten politischen Wendungen schwer enttäuscht sind. Das ändert nichts daran, dass man sich Maximalforderungen vor allem dann leisten kann, wenn man die Konsequenzen nicht zu verantworten hat.

Was leider weithin ignoriert wird: Auch Polizisten sind Idealisten, sonst könnten sie ihrer Arbeit nicht nachgehen. Sie glauben an die Prinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie. Sie halten die Rübe hin für politische Entscheidungen, die sie womöglich nicht teilen, aber vertreten, weil jemand sie vertreten muss, um geltendes Recht durchzusetzen.

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Einer unter ihnen ist der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach. Er ist für den Einsatz in Lützerath zuständig und Mitglied der Grünen. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Weinspach, der Polizist, sieht sich als Verfassungspatriot: ,Ich verteidige die Verfassung‘, sagt er und lächelt, ,nicht immer alle politischen Verhältnisse“. Rechtsstaat, Demokratie, Menschenwürde – das dürfe ,niemand gefährden, für keine Ideologie oder politische Vision‘.“ 

Offener Brief von Mitgliedern der Grünen

Bei den Grünen schinden die Bilder aus Lützerath Eindruck. Seit Mittwoch haben rund 2000 Mitglieder einen offenen Brief unterzeichnet, in dem verlangt wird, die Räumung zu stoppen. In der SPD sind ähnliche Stimmen laut geworden. Die Scientists for future fordern einen Aufschub der weiteren Arbeiten. Diesem Druck nachzugeben, wäre nicht nur folgenschwer, weil das Beispiel Lützerath Schule machen würde. Es wäre ein Stich in den Rücken von Polizisten wie Wienspach, die aus Überzeugung ausbaden, was andere – berechtigt – verursacht haben.

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