Sicher, ohne die bösen Medien wäre das nicht passiert: Niemand hätte je erfahren von verwechselten Dienstgraden, hochhackigen Truppenbesuchen im Wüstensand, mickrigen Helmlieferungen in die Ukraine – oder von Kleinkram wie fehlendem Treibstoff und zu wenig Munition im Manöver, schleppender Beschaffung von Ausrüstung und generellem Desinteresse an der Bundeswehr. Ironie der Geschichte: Das finale mediale Desaster hat Christine Lambrecht ganz alleine angerichtet mit ihrem Silvester-Video samt Feuerwerk an hohlen Phrasen zum Ukraine-Krieg.
Dennoch war das Lambrecht-Jahr nur eine weitere Episode in der Serie von minderbegabten bis unfähigen Inhabern der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr. Lambrechts Vorgängerinnen haben sich ebenso wenig mit Ruhm bekleckert wie etliche männliche Amtsinhaber: Strauß, Scholz, Scharping, Jung ...
Unter den bislang 19 Bundesministern der Verteidigung gibt es kaum eine Handvoll, denen man bescheinigen kann, einen guten Job gemacht zu haben. Was sicher an den Herausforderungen liegt. Es geht um das Führen einer gewaltigen, hochkomplexen Organisation mit einem enormen Etat – von der man hofft, dass man sie niemals für ihren ureigensten Zweck einsetzen muss. Gleichwohl sind sowohl ihre Angehörigen als auch die umgebende zivile, allem Militärischen weitgehend entwöhnte Bevölkerung stets davon zu überzeugen, dass dieser Apparat notwendig ist.
Letzteres mag seit dem russischen Überfall auf die Ukraine leichter fallen, alles andere war und bleibt eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Umso eher muss alleine die Eignung den Ausschlag geben, wen man damit betraut. Proporz – sei es nach Partei, Geschlecht, Herkunft, Alter – ist fehl am Platz. Leider ist das Wunschdenken, denn in jeder Koalition geht es bei der Besetzung von Ministerposten wenigstens nach Partei-Proporz – und je nach Partei auch noch nach anderen Kriterien.
Folglich wird die zweifellos kompetente und durchsetzungsstarke Vorsitzende des Verteidigungsausschusses wohl nicht Lambrechts Nachfolgerin werden: Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehört der FDP an, und die ist eben nur die Nummer 3 in der Ampel. Bundeskanzler Olaf Scholz, der in Sachen Militär eine ebenso schwache Figur abgibt wie seine von ihm für „erstklassig“ gehaltene Ministerin, würde nie für die bissige Liberale das ganze Kabinett umbauen. Bendler-Block und Hardthöhe werden unter ihm sozialdemokratisch bleiben.
Hoffnung weckt, dass die SPD neben zahlreichen Appeasement-Politikern wie Fraktionschef Rolf Mützenich durchaus Personal hat, das nicht mit dem Militär fremdelt. Bemerkenswert ist etwa, wie die frühere Parteilinke und jetzige Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, in kurzer Zeit alle Vorbehalte in der Truppe durch breite Anerkennung ersetzen konnte. Neben den oft genannten Promis Hubertus Heil und Lars Klingbeil gibt es auch in der zweiten Reihe fähige Kandidaten: die Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller etwa, den Verteidigungsexperten und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fritz Felgentreu oder den Generalstäbler und Major Johannes Arlt.
Alles Leute, die sich nicht erst mühsam die Unterschiede zwischen taktischen und strategischen Waffen, Korvette und Fregatte, Schützen- und Kampfpanzer, Oberleutnant und Oberstleutnant aneignen müssen. Politiker, die den Vorteil von bewaffneten Drohnen ebenso einsehen wie Einsatzregeln, welche im Auslandseinsatz auch offensives Vorgehen ermöglichen. Und die angemessen groß denken: Wenn Eva Högl nicht bestreitet, dass 300 Milliarden Euro nötig sind, um die Bundeswehr wieder einsatzfähig zu machen, sondern schon mal 50 Milliarden alleine für Investitionen in die Infrastruktur veranschlagt, bekommen manche in ihrer Partei Schnappatmung. Erst recht, wenn sie auch noch betont, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung allenfalls „das Minimum“ seien.
Doch ihre Agenda stimmt, zumal in Kriegszeiten. Wenn sich Högl damit bei Scholz und in ihrer Partei durchsetzen kann, bekäme Deutschland erstmals eine erstklassige Verteidigungsministerin.