Natürlich kriegt Christine Lambrecht es wieder ab. Das ist verständlich, denn die Bundesverteidigungsministerin hat noch nicht eine Stunde so gewirkt, als beherrsche sie ihr Amt, als sei sie gerne Chefin von Hardthöhe und Bendlerblock, als interessiere sie die Bundeswehr jenseits der Tatsache, dass die eben zu dem Ressort gehört, in dem sie das Sagen hat. Macht schätzt Lambrecht sehr; mit dem Sagen ist es schon schwieriger. Da ähnelt die Ministerin dem Mann, der sie ins Amt gehoben hat. Wie Olaf Scholz hält auch Lambrecht mehr vom Schweigen als vom Reden.
Anders als beim Kanzler allerdings ist das keine Inszenierung höchsteigenen Allwissens, sondern der Versuch, das glatte Gegenteil nicht allzu offenbar werden zu lassen. Und zusammengenommen hätte Lambrecht besser noch öfter den Mund gehalten; Stichwort: 5000 Helme für die von Russland bedrohte Ukraine.
Auch bei anderen Gelegenheiten blamierte Lambrecht sich und die Armee. Die Urlaubsflugaffäre mit ihrem Sohn: peinlich und dumm. Die 5000 von ihr angekündigten Soldaten für die neue EU-Eingreiftruppe, obwohl die Bundeswehr maximal 1500 bereitstellen kann: schon fataler, weil sie den Ruf von den sich chronisch selbst überschätzenden Deutschen nährte – auch bei der Nato. Der angesichts leerer Munitionsdepots gerade tobende Streit mit dem Finanzminister, in dem Christian Lindner ihr süffisant „Unterstützung in der Verbesserung Ihrer Planungsprozesse“ antrug: ein Debakel angesichts des Zustands der Bundeswehr.
Den hat Lambrecht allerdings noch am allerwenigsten zu verantworten. Rein psychologisch freilich tut der Armee eine Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt nicht gut, die in High Heels zum Truppenbesuch stöckelt und dem Kommandierenden die Hand zum Gruß hinreckt, während der salutierend Meldung macht. Folgenschwerer und gefährlicher als Lambrechts Instinktlosigkeit und das Desinteresse sind die Fehler und die Pflichtvergessenheit ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger. Von Franz Josef Jung und Karl Theodor zu Guttenberg über Thomas de Maizère und Ursula von der Leyen bis zu Annegret Kramp-Karrenbauer scheiterten alle am Beschaffungswesen – so sie sich überhaupt darum kümmerten.
Die Liste der Milliardenflops reicht von der Drohne Euro-Hawk, die keine Flugerlaubnis bekam, über den Marinehubschrauber MH90, dem die Fähigkeit fehlte, übers offene Meer zu fliegen, das Transportflugzeug A 400, das nächstes Jahr vielleicht endlich in genehmigungsfähigem Zustand ist, mit zarten 13 Jahren Verspätung, bis zum Nachfolger für das Sturmgewehr G 36, das bei hohen Außentemperaturen wie in Afrika nicht zielgenau schießt. Diese Erkenntnis ist zehn Jahre alt; die ersten von knapp 120.000 Waffen sollen 2024 geliefert werden.
Spätestens seit der Affäre um externe Berater - die von der Leyens als Rüstungsstaatssekretärin geholte Vertraute Katrin Suder gegen alle Richtlinien, aber für Millionenhonorare engagierte -, gilt das Beschaffungswesen als Fall für eine Komplettrevision, mindestens. In der Truppe heißt es über das zuständige Amt in Koblenz derb: Außer sprengen und neu aufbauen hilft da nichts. Analoges wird im Regierungsviertel über das Ministerium gesagt. Und es ist kein Geheimnis, dass Angela Merkel von der Leyen dorthin kommandierte, weil sie die Konkurrentin vor aller Augen scheitern sehen wollte. Das hätte geklappt, hätte Emmanuel Macron ihr nicht den roten Teppich nach Brüssel ausgerollt.
In dem Jahr, in dem der Krieg in Europa, der auf dem Balkan, in Georgien und auf der Krim längst schon zurück war und auch von den fantasiebegabtesten Schönfärbern nicht mehr geleugnet werden kann, ist die Bundeswehr nicht einmal mehr bedingt abwehrbereit. Anders als vor sechzig Jahren bei der "Spiegel"-Affäre gilt das aber nicht als Skandal. Was wiederum einer ist. Genauso wie ein Kanzler, der 100 Milliarden Euro verspricht, ansonsten aber mit dem Militär möglichst wenig zu tun haben will. Nicht bloß bei Rheinmetall & Co., auch im Kreml dürfen sie sich freuen. Die Soldatinnen und Soldaten aber, die für die Republik zu sterben bereit sind, und die militärischen Partner: Sie haben allen Grund, an Deutschland zu verzweifeln.