Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Migration Es gibt auch noch Walat, Hiba und die anderen

Migranten können zurzeit leicht das Gefühl haben, dass sie unerwünscht sind in diesem Land und ein Problem darstellen. Dabei können sie Teil der Lösung sein, meint Marc Hagedorn.
11.09.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Es gibt auch noch Walat, Hiba und die anderen
Von Marc Hagedorn

Walat ist Linienrichter in der Fußball-Kreisliga und will in zwei Jahren sein Abitur machen. Kabrin arbeitet als Dachdecker. Hiba möchte Röntgenassistentin werden. Majed fährt Bus. Und Laurin kellnert beim Griechen. Wie mögen sie sich fühlen, wenn sie den Diskussionen folgen, die in diesem Land gerade über schärfere Waffengesetze, islamistische Terrorgefahr und härtere Abschiebepraktiken geführt werden?

Walat, Kabrin, Hiba, Majed und Laurin sind Migranten. Sie sind in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen und versuchen, sich in ihrer neuen Heimat einzufinden. Vermutlich hat die Mehrheit der Menschen in diesem Land kein Problem mit ihnen. Walat, Hiba und andere sind in der aktuellen Diskussion um Messerstecher und Terrorschläfer nicht persönlich gemeint. Aber kann man das so einfach trennen? Oder ist es nicht eher so, wie es bei Verallgemeinerungen meistens der Fall ist? Irgendetwas bleibt am Ende immer hängen.

Als eine Frau vor gut zwei Wochen im nordrhein-westfälischen Siegen mit einem Messer auf sechs Personen einstach, sah sich die Polizei sehr bald nach der Tat veranlasst, darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Tatverdächtigen um eine deutsche Frau ohne Migrationshintergrund handele, verbunden mit dem Appell: „Bitte unterlassen Sie die Spekulationen und Anfeindungen in jegliche Richtung!“ Es gibt Parteien und Politiker, die mit dieser Methode gerade Wahlen oder mindestens sehr viele Stimmen gewinnen.

Lesen Sie auch

Der Priester Peter Kossen, der für seinen Kampf gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie bundesweit bekannt geworden ist, sagt zur aktuellen Situation: „In unserem Land wird zurzeit in höchst fragwürdiger Weise über Migrantinnen und Migranten diskutiert. Es wird der Eindruck erweckt, als seien sie viel zu viele und insgesamt eine Überforderung.“

Um es klar zu sagen: Es ist nach acht Jahren massiver Zuwanderung legitim, darüber zu reden, wer in dieses Land kommen darf und wer nicht. Städte und Gemeinden funken nicht ohne Grund seit längerer Zeit regelmäßig SOS. Die Kommunen stoßen längst an ihre Grenzen und müssen Versäumnisse ausbaden, für die andere verantwortlich sind. Viel zu lange ist nicht offen über die immensen Herausforderungen und Verpflichtungen gesprochen worden, die sich aus der Zuwanderung ergeben.

Allerdings sollte man allzu simplen Parolen in einer komplexen Welt wie der unseren nicht trauen. Und nichts anderes als einfache Lösungen versprechen diejenigen, die, wie Menschenrechtler Kossen es ausdrückt, Migrantinnen und Migranten unter Generalverdacht stellen, sie als Projektionsfläche für diffuse Ängste nutzen.

Vieles ist von der Politik in den vergangenen Jahren in guter Absicht getan worden. Familien zusammenzuführen zum Beispiel, Mütter und Kinder, auch Großeltern nachzuholen, ist ein Akt der Mitmenschlichkeit. Aber nach diesem ersten Schritt ist der zweite nicht getan worden. Etwa Deutschkurse in ausreichender Zahl anzubieten. Schulen so auszustatten, dass ein Unterricht möglich ist, der den Bedürfnissen aller Schüler gerecht wird, den guten, den mittleren und den schwachen und denjenigen, die die deutsche Sprache erst noch lernen müssen.

Lesen Sie auch

Diese Versäumnisse dürfen auf der anderen Seite kein Freifahrtschein für die Migrantinnen und Migranten sein, um sich einer Integration zu entziehen. Integration ist keine Einbahnstraße. Für eine gelungene Integration braucht es immer zwei: einen, der aufnimmt, und einen, der sich einbringt. Dafür muss man zusammenfinden. Vieles von dem aber, was gerade gesagt wird, wirkt eher spaltend als einend. Allein Migrantinnen und Migranten sind für ungelöste gesellschaftliche Probleme nicht verantwortlich zu machen.

Menschen wie Walat, Hiba und die anderen sind nicht das Problem, sondern können Teil der Lösung sein – als Vorbilder für all diejenigen, die nach ihnen hierhergekommen sind. Walat, Hiba und die anderen tragen im Gesundheitswesen und im Ehrenamt, als Handwerker und als Dienstleister dazu bei, dass dieses Land am Laufen bleibt.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)