Kurz vor dem Ende seiner Rede wird der FDP-Abgeordnete Michael Theurer persönlich. Seine Tochter liege seit Mitte Juli auf der Intensivstation, berichtet Theurer den Abgeordneten. Was er da erlebe – das Ringen der Pflegenden um das Leben der Patienten – sei beeindruckend. Es wird kurz ruhig im Plenum des Bundestages. Die Erzählung des Baden-Württembergers lässt konkret werden, worüber die Abgeordneten streiten: über die Folgen der vierten Corona-Welle und ihre Bekämpfung.
Die Ampel-Koalitionäre in spe lassen am Donnerstag über das geänderte Infektionsschutzgesetz abstimmen. Das Gesetz war in der Vorwoche in den Bundestag eingebracht worden; noch Anfang dieser Woche waren Änderungen, auch Vorschläge der Union, eingearbeitet worden. Die Debatte verläuft hart. Zwar können SPD, Grüne und FDP das Gesetz schließlich über ihre Mehrheit mit 398 Stimmen – bei 254 Nein-Stimmen und 36 Enthaltungen – verabschieden. Der Streit macht aber deutlich, wie tief der Graben zwischen den Unionsparteien und der künftigen Regierung bereits ist.
An diesem Freitag soll der Bundesrat dem Gesetz zustimmen. Am Mittwoch noch hatte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) Widerstand der Union in der Länderkammer angekündigt. Am Donnerstagabend aber sagte Wüst im WDR, die schwarz-gelbe Landesregierung wolle dem Änderungsentwurf zum Infektionsschutzgesetz nun doch zustimmen. Auch aus Schleswig-Holstein und Bayern kamen entsprechende Signale.
Schuldzuweisungen
Bremens CDU-Abgeordneter Thomas Röwekamp sieht die Schuld dafür bei der Ampel. Deren Entscheidung für das Ende der epidemischen Notlage findet er unverantwortlich. „Wir müssen den Ländern weiter alle Möglichkeiten geben, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und die notwendigen Maßnahmen auch weiter zu ergreifen.“ Ähnlich hat das in der Bundestagsdebatte sein Vizefraktionschef Stephan Stracke (CSU) formuliert: „Die Zahlen gehen hoch, und Sie reduzieren die Maßnahmen.“
Ganz anders sieht das Bremerhavens SPD-Abgeordneter Uwe Schmidt. „Herr Spahn hat genug geredet, wir handeln jetzt.“ Ausgangssperren, Schulschließungen seien nicht mehr verhältnismäßig, „wir stellen die Corona-Maßnahmen auf ein rechtlich neues Fundament und verschärfen sie zum Teil.“ Die höhere Gefährdung von Ungeimpften und durch Ungeimpfte würde in dem geänderten Gesetz gezielt berücksichtigt. Seine Kollegin, die SPD-Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar, argumentiert auf dem Podium ähnlich: Eine Verlängerung der epidemischen Lage wäre verfassungsrechtlich fragwürdig gewesen.
Bremens FDP-Abgeordneter Volker Redder ist zufrieden mit dem Abstimmungsergebnis. Die Corona-Politik werde nun ins Parlament zurückgeholt, die „Sonderrechte“ des Gesundheitsministers würden ersetzt. „Für Bremen bedeutet das neue Maßnahmepaket in erster Linie, dass eigenständig agiert werden kann und die aufgrund der Impferfolge sehr gute Lage Bremens verantwortungsvoll vor Ort gemanagt werden kann.“
Dass es im Parlament hoch hergegangen sei, bewertet Kirsten Kappert-Gonther, Gesundheitsexpertin der Grünen, eher positiv. Das habe gezeigt, dass alle demokratischen Fraktionen den Ernst der Lage verstanden hätten. Jetzt gehe es um unverzügliches Handeln, um die vierte Welle zu brechen. „Sollte es nicht gelingen, die Impfquote deutlich zu erhöhen, ist zu befürchten, dass regionale Kontaktbeschränkungen wieder notwendig werden, um Menschenleben zu retten.“