Das Positive gleich mal vorne weg: Die für diese Legislaturperiode schon abgeschriebene Pflegereform kommt doch. Der Bundestag hat sie am Freitag beschlossen. Union und SPD haben sich – unverkennbar unter dem Druck des Wahlkampfs – zusammengerauft und tatsächlich Ergebnisse geliefert. Die beiden verantwortlichen Minister bemühen sich nun, die Reform als Erfolg zu verkaufen.
Angekündigt wird: eine generelle Bezahlung der Pflegekräfte nach Tarif, bessere Arbeitsbedingungen, ein neues Verfahren, das zu mehr Einstellungen von Pflegepersonal führen soll, mehr Geld vom Bund für die Pflegekasse, eine Senkung des Eigenanteils für Heimplätze, ein Ausbau der Kurzzeitpflege sowie ein Anspruch auf Übergangspflege.
Kritik, Bedenken und Warnungen
Hört sich alles gut an, ist definitiv auch besser als die zuvor praktizierte Selbstblockade der beiden Streithähne Hubertus Heil (SPD) und Jens Spahn (CDU). Und ist letztlich doch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Kritik, Bedenken, Warnungen kommen von allen Seiten: von der Opposition, den Gewerkschaften, Sozialverbänden, aus der Pflegebranche selbst, vor allem aus dem privaten Sektor. Dort droht der Untergang des Abendlandes, wenn das Wort Tarifbezahlung fällt.
Natürlich muss die Reform erst noch erfunden werden, die die Wünsche aller erfüllt. Doch schon die Wortwahl von Heil und Spahn bei der Bewertung des ausgehandelten Kompromisses verrät, dass hier der Koalition kurz vor Toresschluss kein großer Wurf mehr gelungen ist. Von einem „Signal der Anerkennung“ spricht vorsichtig der Arbeitsminister. Für bis zu 500.000 Pflegerinnen und Pfleger könne das bis zu 300 Euro brutto mehr im Monat bedeuten.
Und der Gesundheitsminister, der schon zu Beginn seiner Amtszeit mit der „Konzertierten Aktion Pflege“ die Branche aufwerten wollte, aber wenig bewirkte, setzt ebenfalls auf diesen Effekt. Eine Tarif- und Lohnspirale sieht er in Gang gesetzt, weil doch bundesweit so viele Pflegekräfte gesucht würden. Doch da ist viel Wunschdenken im Spiel. Spahn sollte wissen, dass alleine über das Prinzip Angebot und Nachfrage die Löhne nicht steigen werden – das haben die vergangenen Jahre leider gezeigt.
Besonders die Tatsache, dass im Frühjahr die Gespräche über einen Branchentarifvertrag in der Pflege krachend gescheitert sind, wirft ein bezeichnendes Bild auf die Branche. Ausgerechnet die kirchlichen Wohlfahrtsverbände legten sich quer – sehr zur Freude der privaten Arbeitgeber, die die juristische Karte gar nicht mehr ziehen mussten. Kein Wunder, dass die Gewerkschaften vor zu großen Erwartungen warnen und Nachbesserungen fordern.
Es gibt keinen Sicherheitsmechanismus
Ihre Kritik trifft einen wunden Punkt der Reform: Es gibt darin keinen Sicherheitsmechanismus, der zum Beispiel Tarifverträge zwischen Pseudogewerkschaften mit Pflegeanbietern verhindert. Solange es aber kirchenarbeitsrechtliche Verträge oder Dumpingtarifverträge sogenannter Christlicher Gewerkschaften gibt, bleiben höhere Löhne Wunschdenken. Nur ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag könnte daran etwas ändern.
Zusätzlich zu einer besseren Bezahlung pochen die Pflegekräfte weiterhin – und berechtigterweise – auf eine Aufwertung ihres Berufs. Ein Versprechen, das Spahn zwar immer wieder erneuert hat, doch nicht einlöst. Er muss eingestehen, dass auch die jetzigen Reformschritte „sicher nicht die letzten sind“. Gerade im Bereich der Altenpflege müsse mehr kommen.
Sollte er also in der nächsten Bundesregierung erneut Gesundheitsminister sein, könnte er das Thema Pflege gleich wieder auf seine Agenda setzen. Zumal auch die Gegenfinanzierung Fragen aufwirft. Von einer Unterfinanzierung spricht die Stiftung Patientenschutz, die AOK beziffert diese auf zwei Milliarden Euro – allein im kommenden Jahr. Auffällig ist: Mit einem höheren Bundeszuschuss und dem ohnehin fragwürdigen höheren Beitragssatz für Kinderlose haben sich Spahn und Heil an einer generellen Beitragserhöhung vorbeigemogelt. Dieser Schritt passte für sie einfach nicht ins Wahljahr. Dort werden lieber Geschenke verteilt als neue Belastungen angekündigt. Die kommen später.