Kaum ein Berufsstand in Deutschland ist in der Corona-Krise so stark unter Druck wie das Pflegepersonal. Kaum ein Berufsstand leistet so Übermenschliches, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Intensivstationen und in den Krankenhäusern, wie die Pflegekräfte in Altenheimen und ambulanten Diensten. Und kaum ein Berufsstand wird für diese Tätigkeit, allen öffentlichen Beifallsbekundungen zum Trotz, so schlecht entlohnt.
Und das wird wohl auch noch eine ganze Zeit so weitergehen. Denn der lang ersehnte und von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und seiner Parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Griese (beide SPD) verdienstvollerweise vorangetriebene, flächendeckende und allgemein verbindliche Tarifvertrag in der Altenpflege scheiterte kürzlich – an der katholischen Caritas.
Damit die für die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags nötige Flächendeckung erreicht wird, hätten auch die kirchlichen Arbeitgeber dabei sein müssen, ihrem eigenen gesonderten Arbeitsrecht zum Trotz. Das aber ging im Fall der Katholiken schief, die in der Diakonie zusammengeschlossenen evangelischen Einrichtungen brauchten über die ganze Angelegenheit nicht einmal mehr abstimmen.
Aus der Binnensicht der Caritas ist der neue Tarifvertrag unnötig: Die kirchlichen Arbeitgeber zählten schon heute zu jenen, die in der Pflegebranche eher besser als schlechter bezahlten. Das ist auch so – und bleibt doch eine Binnensicht. Und es bleibt vor allem ein verheerendes Signal nach außen: Schließlich haben sich gerade die Kirchen Solidarität und Nächstenliebe auf ihre Fahnen geschrieben. Gerade die Kirchen rufen oft genug nach einer gerechteren Gesellschaft.
Gerade die Kirchen sollten deswegen natürliche Verbündete der Pflegekräfte sein, die für bessere Löhne streiten – und sie nicht aus subtiler Angst vor einer möglichen stärkeren Mitwirkung der Gewerkschaften am kirchlichen Arbeitsrecht im Stich lassen. Weswegen sich auch die evangelische Diakonie nicht vor einer Entscheidung drücken und dem Tarifvertrag noch zustimmen sollte – unabhängig davon, ob die Caritas ihn akzeptiert hat oder nicht.
Denn wenn die Pandemie in diesem Land eines gezeigt hat, dann doch wohl, wie sehr unsere Gesellschaft auf den Dienst derjenigen angewiesen ist, die sich - zu Anfang auch unter erheblicher Gefahr für das eigene Leben – in die vorderste Front auf den Stationen begeben haben. Und da sollte bewusst kein Unterschied zwischen Altenpflege und Krankenpflege gemacht werden: Wo es in einem Seniorenheim einen Corona-Ausbruch gab, mussten auch die dort Pflegenden über sich hinauswachsen.
Zumal auch zu normalen Zeiten in vielen Einrichtungen die Schichten nur spärlich besetzt waren. Von Reservekräften braucht man gar nicht erst zu reden, oft genug wurden nicht einmal Zeitarbeiter angeheuert, wenn plötzlich Personalmangel herrschte. Tatsächlich ist die Arbeit in den Kliniken und Heimen oft viel härter, als es jeder Außenstehende beurteilen kann.
Doch in den vergangenen Monaten ist aus immer mehr Krankenhäusern und Pflegeheimen zu hören, dass das ohnehin schon knappe Personal wegen der großen Belastungen kündigt. Wollte man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Stange halten und ihnen die Freude am Beruf zurückgeben, wären erheblich bessere Löhne, aber auch eine erheblich bessere Refinanzierung der Leistungen aus der Pflegeversicherung wohl die Mittel der Wahl.
Deswegen kann man eigentlich nur hoffen, dass der Kampf um den flächendeckenden Pflegetarifvertrag in den nächsten Monaten und auch in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages weitergeht. Denn ein Ausfallen der Pflegerinnen und Pfleger in nennenswerter Größenordnung wird sich Deutschland auch nach Corona schlicht nicht leisten können. Im Gegenteil: Sie haben mehr als nur Respekt verdient, sie brauchen einen flächendeckenden Tarifvertrag mit fairen, auskömmlichen und gerechten Löhnen.