Um Punkt 13.30 Uhr schreitet Bundeskanzler Olaf Scholz zum Rednerpult des Deutschen Bundestags. Erstmals nach dem Rauswurf seines Finanzministers Christian Lindner und dem anschließenden Rückzug der FDP aus der Regierungskoalition gibt er im Parlament eine Erklärung abzugeben. Die 29 Minuten lange Rede des 66-Jährigen und die Antwort des Oppositionsführers Friedrich Merz lassen Rückschlüsse darauf zu, in welche Richtung sich der Wahlkampf in den kommenden 102 Tage entwickeln dürfte.
Die technischen Fragen handelt Scholz in aller gebotenen Kürze ab. Er werde am 11. Dezember die Vertrauensfrage beantragen, am 16. Dezember könnte der Bundestag darüber abstimmen. Die Entlassung Lindners verteidigt Scholz, verzichtet aber im Parlament auf persönliche Angriffe, die er noch am Abend der Entlassung an die Adresse des FDP-Chefs gerichtet hatte: „Diese Entscheidung war richtig, und sie war unvermeidlich“, sagt Scholz nüchtern.
Kein böses Wort gegen Herausforderer Friedrich Merz kommt über die Lippen des Kanzlers. Stattdessen Angebote an die Union: „Ich bin überzeugt, der Weg des Kompromisses bleibt der einzig richtige Weg.“ Ob Scholz wirklich glaubt, dass ihm die CDU/CSU oder gar die geschasste FDP bei einigen Projekten noch über die Ziellinie helfen wird, oder ob es ein taktisches Manöver sein soll, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Aber das Angebot, das der Kanzler der bürgerlichen Opposition macht, ist verlockend.
Konkret nennt Scholz Entlastungen bei der sogenannten kalten Progression bei der Einkommensteuer, die zum 1. Januar 2025 gelten sollen. Nötig sei zudem, schnellstmöglich viel von der vorgesehenen Regierungsinitiative für mehr Wachstum zu beschließen. Auch eine Kindergelderhöhung um fünf Euro pro Monat könne Anfang 2025 kommen. Außerdem regt der Kanzler Grundgesetzänderungen an, um das Bundesverfassungsgericht stärker gegen mögliche politische Einflussnahmen zu wappnen.
Das bleibt allerdings der einzige Punkt, an dem der CDU-Vorsitzende der Bundesregierung konkret Unterstützung zusichert. "Wir sind nicht der Auswechselspieler für Ihre auseinandergebrochene Regierung", betont Merz und vertagt diese Absprachen auf einen Zeitpunkt nach dem 16. Dezember. „Wir vertrauen eben nicht auf Zusagen, die Sie uns hier geben“, so der Kanzlerkandidat der Union und macht Einschränkungen: Manche Entscheidungen würden nicht möglich sein, da man ohne einen verabschiedeten Bundeshaushalt ins neue Jahr gehen werde.
Dies allerdings träfe nicht auf das Deutschlandticket zu, das SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil in der Aussprache nannten. Bei dem Ticket geht es im Moment darum, ungenutzte Etatmittel in das kommende Jahr zu verschieben. Allerdings könnten Kindergeld-Erhöhung und Entlastungen bei der kalten Progression auf 2025 verschoben werden. In der CDU wird derzeit darüber debattiert, diese Dinge erst im kommenden Jahr zu verabschieden und gegebenenfalls rückwirkend auszuzahlen. Eine solche Entscheidung könnte sich aber negativ an der Wahlurne auswirken, da zunächst die Bürger die fällige Anhebung vorfinanzieren müssten.
Ohnehin scheint ein gehöriges Maß Misstrauen zwischen der Regierung und der bürgerlichen Opposition zu herrschen. Sogar eine mögliche Zusammenarbeit von Rot-Grün mit der AfD schließt Merz nicht aus. Deshalb schlägt er vor, dass Union, SPD und Grüne nach der Abstimmung über die Vertrauensfrage nur solche Entscheidungen auf die Tagesordnung des Bundestags setzen, über die man sich in der Sache vorab geeinigt habe. Dies solle verhindern, dass auch nur ein einziges Mal eine Mehrheit mit der AfD zustande komme, so Merz.
In Sachen Ukraine weist der Bundeskanzler noch einmal darauf hin, dass er das angegriffene Land zwar weiter intensiv unterstützen wolle, aber keinesfalls den Marschflugkörper Taurus liefern werde. Dieser könnte Ziele tief im russischen Kernland erreichen. Merz und Lindner sprachen sich dagegen für eine Lieferung aus. Damit scheint ein "Friedenswahlkampf" ebenfalls nicht ausgeschlossen.