Die Sozialdemokraten hatten mit nichts Gutem gerechnet, doch es kam schlimmer: Düstere Mienen bei Bürgermeister Carsten Sieling, SPD-Landeschefin Sascha Aulepp und Spitzenkandidatin Sarah Ryglewski, als die erste Hochrechnung am Sonntag beim SPD-Wahltreff ausgestrahlt wurde. Die Sozialdemokraten hatten am Wahlabend in die Ständige Vertretung in der Böttcherstraße eingeladen, die Kneipe verbindet rheinische Küche, frisches Kölsch und Politik.
„Das ist für die SPD das schlechteste Ergebnis, das wir seit 1949 erzielt haben, das ist ein schwerer Schlag und ein schwarzer Tag für die SPD“, sagte Sieling nach der ersten Hochrechnung. „Es ist angesichts des starken Einzugs der rechtsradikalen AfD auch ein schwarzer Tag für Deutschland.“ Für die SPD habe sich die Große Koalition bei den Wählern nicht ausgezahlt. „Für eine weitere Große Koalition im Bund gibt es keine Grundlage, bei diesem Ergebnis sind wir sehr klug beraten, den Auftrag anzunehmen, die Opposition anzuführen und das nicht den Rechtsradikalen zu überlassen.“
Es sei der SPD nicht gelungen, die Menschen zu überzeugen, dass es gerade in diesen Zeiten starke demokratische Kräfte brauche, so Sieling. Nun müsse eine nüchterne Analyse folgen. „Eine wichtige Konsequenz ist, jetzt nicht wieder mit fliegenden Fahnen in irgendeine Regierung hineinzulaufen.“ Das schlechte Abschneiden der SPD ist für Sieling aber kein personelles Problem: „Martin Schulz ist der dritte SPD-Spitzenkandidat, der nicht den Sprung nach ganz oben geschafft hat, es muss also ein tieferes strukturelles Problem geben.“
Von einem schwarzen Tag für Deutschland und die Demokratie sprach auch ein sichtlich betroffener SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe, weil eine „offen völkische Partei“ in den Bundestag einziehe. SPD-Landeschefin Sascha Aulepp stellte nach der ersten Hochrechnung am Mikro klar: „Dieses Wahlergebnis bedeutet das Ende der Großen Koalition auf Bundesebene.“ Die Große Koalition sei abgewählt worden, der Wert der SPD sei „ein bitteres Ergebnis“. Für die Ankündigung des Endes der Großen Koalition erntete Aulepp von den SPD-Anhängern in der Ständigen Vertretung lang anhaltenden Applaus – „Nie wieder Groko!“, rief ein Gast im Publikum.
Fast noch erschrockener als über das schlechte Abschneiden der SPD waren viele über die guten Werte der AfD, das äußerten sowohl führende SPD-Politiker als auch Parteimitglieder: „Ich bin entsetzt“, beteuerten mehrere Unterstützer. Es müsse nun noch stärker als bisher klare Kante gegen Rechts gezeigt werden, forderten verschiedene Anhänger der Partei. Ein einfaches Kölsch reiche nicht, um dieses Wahlergebnis zu verkraften, stellten andere fest: „Es muss schon was Hochprozentigeres sein“, sagte eine 52-jährige SPD-Anhängerin. Sie und drei Freunde aus Schwachhausen und der Neustadt, die den Wahlabend zusammen in der Böttcherstraße verbrachten, waren sich einig: „Die Stimmung ist düster, das einzig Gute ist, dass die SPD in die Opposition geht.“

"Dieses Wahlergebnis bedeutet das Ende der Großen Koalition" – für diese Ankündigung erntete SPD-Landeschefin Sascha Aulepp trotz der bitteren Ergebnisse für die SPD kräftigen Applaus von den versammelten Anhängern der Partei.
Das Ergebnis der Bundestagswahl sei auch ein „wichtiges Signal für die SPD in Bremen“, betonte eine 66-jährige Anhängerin der Partei. „Die SPD muss in Bremen mehr an die Basis gehen, in die Stadtteile, und die Leute fragen, was sie brauchen.“ Oft werde in Bremen vom Rathaus aus darüber hinwegregiert. „Die SPD sollte sich endlich stärker für eine Koalition mit der Linken öffnen, das nicht zu tun war eine vertane historische Chance“, fordert die 66-Jährige zudem. Ein wichtiger Punkt für sie und ihre Freundinnen: Die SPD habe den sozialen Wohnungsbau in Bremen nicht genug vorangetrieben. „Ich bin Akademikerin, und ich kann die Mieten nicht mehr zahlen, ich fühle mich an den Rand gedrängt“, kritisierte eine 51-jährige Kulturwissenschaftlerin.
Zuvor hatten sich viele SPD-Unterstützer bereits mental auf ein schlechtes Abschneiden ihrer Partei eingestellt, aber die Hoffnung blieb bis kurz vor der Hochrechnung: „Ich hoffe, dass es nicht ganz so schief geht“, sagte ein SPD-Anhänger aus Hemelingen. Einige Anhänger übten am Wahlabend offen Kritik am Kurs ihrer Partei: „Die SPD sollte Hartz IV als Fehler deklarieren“, forderte zum Beispiel BWL-Student Maximilian Pohl, der erst vor wenigen Monaten in die Partei eingetreten ist. Die SPD habe mit der Einführung von Hartz IV und der Agenda 2010 Gesetze gegen die eigene Klientel gemacht und Arbeiterinteressen verraten. „Das Hauptproblem ist, dass die Menschen der SPD nicht mehr glauben, dass sie sich wirklich für sie einsetzt, und das kann ich nach den Gesetzen, die die SPD gemacht hat, auch verstehen.“
Auch das Bremer Ergebnis ist nach den ersten Hochrechnungen ein Schlag für die Sozialdemokraten. Der schlechte Bremer Wert scheint den schlechten Bundeswert zu spiegeln. „Das bundesweite und das Bremer Ergebnis geben viel zum Nachdenken auf, aber immerhin hat die AfD offenbar in Bremen weniger Stimmen bekommen als im Bund“, sagte Fraktionschef Tschöpe. Allerdings ist der Vorsprung der SPD gegenüber der CDU im Land Bremen offenbar empfindlich geschmolzen. Zuletzt trennten die beiden großen Parteien in Bremen bei der Bundestagswahl 2013 noch sieben Prozentpunkte – dieser Abstand hat sich stark verringert.