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Reform des Tierschutzgesetzes Fachverbände bemängeln Praxisferne und fehlende Rechtssicherheit

Die Reform sieht ein Ende der Anbindehaltung, ein Verbot von Wildtieren in Zirkussen und höhere Sanktionen bei rechtswidriger Tötung vor. Die Änderungen stoßen bei Tierschützern und Bauern auf Unverständnis.
28.02.2024, 11:25 Uhr
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Fachverbände bemängeln Praxisferne und fehlende Rechtssicherheit
Von Elias Fischer

Vor mehr als 20 Jahren hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung Tieren verfassungsrechtlichen Schutz zugesprochen, in dem sie den Artikel 20a des Grundgesetzes entsprechend abänderte. Seitdem ist die Aufgabe des Staates, sie – wie die Lebensgrundlage nachfolgender Generationen – zu hüten. Mit einer Änderung des Tierschutzgesetzes soll dieser Verantwortung nun deutlicher entsprochen werden. Denn in den zwei Jahrzehnten habe sich gezeigt, "dass in verschiedenen Bereichen des Umgangs mit Tieren nach wie vor Defizite bestehen", heißt es in dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Mit der angestrebten Reform schließe die Behörde die bestehenden Gesetzeslücken.

Angestrebte Änderungen des Gesetzes

"Den Tierschutz bei der Haltung und Nutzung von Tieren umfassend" stärken: So lautet das Ziel des BMEL. Geplant sind gemäß Entwurf ein Ende der Anbindehaltung von Milchkühen und Rindern, ein Verbot von Wildtieren in Zirkussen und höhere Sanktionen bei der Tötung von Tieren "ohne vernünftigen Grund". Bis zum 1. März haben Fachverbände Zeit, gegenüber dem BMEL Stellung zum Entwurf zu beziehen. Einige Organisationen auf Bundes- und Landesebene haben bereits ihr Unverständnis öffentlich gemacht.

Wissenschaftler fürchten um Qualität

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) befürchtet, dass durch die Änderungen die biomedizinische Forschung ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren könnte. Der Grund: Bereits bestehende Rechtsunsicherheit werde "durch die Neufassung der Regelung zusätzlich und unnötig gesteigert", heißt es in einer Stellungnahme zum Referentenentwurf. Explizit verweist die DFG auf den undefinierten Begriff des "vernünftigen Grundes". Gemäß aktuellem Tierschutzgesetz muss dieser vorliegen, wenn Forscher Experimente durchführen, bei denen Tieren "Schmerzen, Leiden oder Schäden" zugefügt werden.

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Laut den Änderungen des Paragraf 17 soll künftig das Töten eines Tieres "ohne vernünftigen Grund" oder das Zufügen von "länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert werden können. Wer solche Handlungen wiederholt, muss gar mit einer Inhaftierung von sechs Monaten bis fünf Jahren rechnen. Laut der DFG sind die aufgeführten Tatbestände aber strukturell in der tierexperimentellen Forschung verankert. Gerade in der Zucht von Versuchstieren käme das vor. Nicht jedes Tier eigne sich für die Experimente und nicht immer könnten diese für andere Zwecke wie etwa zur Aus- und Weiterbildung genutzt werden, schreibt die Wissenschaftsorganisation. Sie fordert daher mehr Rechtssicherheit für Forscher, indem die Genehmigung der Tierversuche auch die Zucht und das Töten mit einschließt. 

In der Hansestadt werden unter anderem an der Universität Bremen Tierversuche in der Biomedizin durchgeführt. So nutzen Wissenschaftler Mäuse, um Erkenntnisse über das menschliche Serotoninsystem zu gewinnen. Auch Experimente mit Affen finden in Bremen statt. Der Neurowissenschaftler Andreas Kreiter forscht an den Hirnen von Makaken. Er befindet sich derzeit im Rechtsstreit mit dem Gesundheitsressort, das für die Genehmigung von Tierversuchen verantwortlich zeichnet.

Tierschutzverein sieht "faulen Kompromiss"

Laut Gaby Schwab, Pressesprecherin des Bremer Tierschutzvereins, sind in der Novelle die meisten Forderungen von Tierschützern nicht umgesetzt: keine Kastrationspflicht bei Freigängerkatzen, kein Sachkundenachweis bei der Anschaffung von Haustieren, kein sofortiges Ende der Anbindehaltung von Rindern. "Die Tiere brauchen jetzt Hilfe", sagt sie. Der Entwurf des BMEL sei "ein fauler Kompromiss". Auch im Bereich der Forschung sieht sie keine Verbesserung des Tierwohls. Der Tierschutzverein befürworte die Alternativmethoden, halte die Quälerei bei Tierexperimenten für unnötig. Die geplante Strafmaßerhöhung sind nach Schwabs Erachten richtig: "Es ist besser, wenn die Strafen höher sind. Wenn sie dann noch durchgesetzt werden, sind sie gut."

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Bauernverband spricht von "Praxisferne"

"Die Novelle wirft viele Fragen auf", sagt Christian Kluge. Der Geschäftsführer des Bremer Bauernverbandes hält die Änderung für praxisfern. Ein Beispiel sei das angestrebte Ende der Anbindehaltung in fünf Jahren: Diese Übergangsfrist führe nicht zu dem gewünschten Strukturwandel in der Landwirtschaft. "Das ist ein Strukturbruch", sagt Kluge. Bauern die 15 Rindern hielten, die im Sommer frei auf der Weide herumliefen und nur im Winter an der Leine hingen, hörten doch eher auf, als ihren Betrieb umzustellen. Der Referentenentwurf sieht vor, dass Kleinbetriebe mit weniger als 50 Rindern ihr Vieh weiterhin angebunden halten dürfen, wenn eine bedürfnisgerechte Gruppenhaltung nicht umsetzbar ist und die Tiere regelmäßigen Zugang zu Weideland und Freigelände haben. Laut Kluge sind die Bremer Viehzüchter vom Ende der Anbindehaltung allerdings nicht betroffen. Sie spiele im Land keine Rolle mehr.

Der Geschäftsführer des Bremer Bauernverbandes mahnt die finanziellen Auswirkungen, die mit der Gesetzesänderung einhergehen könnten, an – etwa durch die neuen Vorgaben zur Enthornung von Kälbern. "Bisher hat man sie sediert, ihre Hörner ausgebrannt und anschließend mit schmerzlindernden Präparaten behandelt", erklärt Kluge. Künftig sollten sie von einem Tierarzt betäubt werden. Es gebe aber zu wenig Veterinäre und ihr Einsatz bedeute zusätzliche Kosten für die Landwirte. Die folglich steigenden Produktpreise führten schließlich zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, weil das Gesetz nur national gelte. "Für die Produktion im Ausland gelten die Regelungen nicht, sodass importiertes Fleisch hier billiger angeboten werden kann", sagt Kluge.

Landestierschutzbeauftragte mit Für und Wider

"In manchen Bereichen gibt es gute Regelungen, in anderen Bereichen fehlen sie völlig", sagt Sybille Wenzel, Bremer Landestierschutzbeauftragte. Positiv seien beispielsweise das Ende der Anbindehaltung oder das Verbot mancher Wildtiere wie Giraffen, Elefanten und Löwen in Zirkussen. Ihr fehlt es im Entwurf an Detailtiefe: "Wichtig wäre es, exakt festzulegen, dass wirtschaftliche Aspekte keine Gründe dafür sind, Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden zuzufügen." Eine Schlachtung sei ein vernünftiger Grund, sagt sie. "Die Tötung, weil keine Verwendung mehr besteht, ist kein vernünftiger Grund und damit verboten." Die Wirtschaftlichkeit spiele in der Praxis aber weiterhin eine große Rolle.

Die Landestierschutzbeauftragte fordert daher klare politische Regelungen, "die sowohl den Überwachungsbehörden, aber auch den Tierhaltern und –nutzern rechtliche Klarheit geben und Gerichte, die das Tierschutzrecht konsequent umsetzen". Allerdings fehle es an "ausreichend Personal und bei Gerichten an ausreichender Kenntnis zum Tierschutzrecht".

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