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Ukraine-Konflikt Bundesregierung stoppt Nord Stream 2 vorläufig

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stoppen das Zertifizierungsverfahren für die Erdgas-Pipeline. Eine Reaktion auf die russische Aggression in der Ostukraine.
22.02.2022, 21:08 Uhr
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Von Hannes Koch

Das Projekt Nord Stream 2 ist vorläufig beendet. Erdgas aus Russland wird durch die fertiggestellten Röhren erst mal nicht fließen. Als Reaktion auf die russische Aggression in der Ostukraine hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Zertifizierungsverfahren für die Leitung am Dienstag unterbrochen. „Ich habe das Bundeswirtschaftsministerium heute gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Damit hat die Bundesregierung den entscheidenden Hebel betätigt, das Projekt auf Eis zu legen. Um in Betrieb zu gehen, braucht die Pipeline-Gesellschaft, die dem russischen Energiekonzern Gazprom gehört, die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur. Voraussetzung dafür ist ein positiver Bescheid des vorgesetzten Wirtschaftsministeriums, dass die Röhren die Sicherheit der EU und ihrer Nachbarn nicht gefährden. Der ehemalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte diesen Bescheid erteilt. Scholz und Habeck zogen ihn zurück. Damit ruht das Genehmigungsverfahren. Wie lange? Es „wird sich sicherlich hinziehen, wenn ich das vorhersagen darf“, sagte Scholz.

Gazprom liefert derzeit weniger Gas

Habeck erklärte: „Die geopolitische Lage macht eine Neubewertung von Nord Stream 2 zwingend erforderlich.“ Der Grund für seine Entscheidung sei einerseits die Situation am deutschen und europäischen Gasmarkt in diesem Winter. Gazprom liefert derzeit weniger Erdgas als üblich und hat seine Speicher in Deutschland kaum gefüllt. Andererseits beschrieb der Wirtschaftsminister die „Zuspitzung der geostrategischen Entwicklung“. Die russische Eskalation könne Rückwirkungen für die „Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union“ haben. Dies sei im Zertifizierungsverfahren für Nord Stream 2 zu berücksichtigen, so Habeck.

Von der Bundesnetzagentur hieß es: Man könne Nord Stream 2 „aktuell nicht zertifizieren. Ein Betrieb der Pipeline ohne Zertifizierung wäre rechtswidrig.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: „Die Entscheidung von Bundeskanzler Scholz, den Genehmigungsprozess auszusetzen, ist konsequent.“ Auch Außenpolitiker der CDU wie Jürgen Hardt und Roderich Kiesewetter unterstützten die Linie der Ampelregierung.

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Nun ist die Frage, wie es weitergeht. Mit dem vorläufigen Ende von Nord Stream 2 stehen möglicherweise auch russische Gaslieferungen auf anderen Wegen infrage, etwa durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Ungefähr 40 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases kommt aus Russland. Diese Mengen wären bei einem völligen Lieferausfall schwer zu ersetzen. Einerseits, weil zusätzliche Lieferungen in dieser Größenordnung auf dem Weltmarkt schwer zu beschaffen sind. Andererseits könnte die steigende Nachfrage nach Quellen außerhalb Russlands zu stark steigenden Preisen führen, die deutsche Privathaushalte und Unternehmen zahlen müssten.

„Einen generellen Lieferstopp von Gas aus Russland könnten wir überbrücken, zumindest für einen gewissen Zeitraum“, sagte Energie-Expertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Hintergrund: Die EU-Kommission hat Ersatzlieferungen beispielsweise von Flüssiggas mit Tankschiffen vereinbart, sodass die Versorgung erst mal sichergestellt wäre.

Projekt noch nicht vom Tisch

Mit dem Frühjahr sinkt zudem der Gasbedarf für das Heizen von Gebäuden. Doch die nächste Heizsaison kommt. „Die Pipeline Nord Stream 2 leistet einen Beitrag zur Schließung der wachsenden Importlücke in Europa“, sagte Timm Kehler, Geschäftsführer des Gasverbandes. Diese Lücke könne auch mit neuen Flüssiggas-Terminals nur zum Teil und zu höheren Kosten gefüllt werden. DIW-Forscherin Kemfert gibt sich entspannt: „Wir können ausreichend Gas aus anderen Quellen beziehen, dafür wird diese Pipeline nicht benötigt.“ Es gebe ausreichend Flüssiggas-Terminals in Europa, auf die auch Deutschland zugreifen könne. Außerdem könnte die Politik ihre Bemühungen verstärken, einen nationalen Gashafen zu errichten. Projekte in Brunsbüttel und Stade werden diskutiert. Fünf Jahre bräuchten diese aber wohl bis zur Inbetriebnahme.

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Endgültig vom Tisch ist Nord Stream 2 jedoch nicht. Zwar rücken die Lieferungen in weitere Ferne, aber das Projekt dient beiden Seiten als Druckmittel. Die russische Regierung kann mit Gasexporten Abhängigkeit erzeugen und die Preise beeinflussen. Für die Bundesregierung und die EU-Kommission bietet das Projekt dagegen auch eine Möglichkeit, Kompromisse mit Moskau herauszuhandeln. Es geht um die Bedingungen, unter denen die Röhren doch noch in Betrieb genommen werden könnten.

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