Keine leichten Wochen für Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU): Erst war ihr die SPD bei der Nachbesserung der Lauterbachschen Klinikreform, die eigentlich schon in dieser Woche durchs Kabinett gehen sollte, in die Parade gefahren. Dann brachte ihr Staatssekretär Tino Sorge angeblich unabgesprochen die Einführung von günstigen Basistarifen für die gesetzliche Krankenversicherung ins Spiel. Nun kündigte der Verband der gesetzlichen Krankenkassen an, Klage gegen den Bund einzureichen, weil der die Behandlungskosten von Bürgergeldempfängern nicht ausreichend finanziere und pro Jahr rund zehn Milliarden Euro schuldig bleibe.
Am Freitag stellte Warken die Kommission zur Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor. Zehn Wissenschaftler, fünf Frauen und fünf Männer, aus unterschiedlichen Fachbereichen wie Ökonomie, Medizin und Sozialrecht sollen bis Ende 2026 Reformmaßnahmen vorschlagen. Unter anderem dabei sind der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, der Münchener Präventionsexperte Michael Laxy, der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner aus Bielefeld, die Heidelberger Onkologin Eva Winkler, die Volkswirtin Amelie Wuppermann aus Bayreuth und fünf weitere hochrangige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die teilweise schon in der Vergangenheit in Kommissionen des Bundes mitgearbeitet hatten.
Vier Milliarden Euro fehlen
Reformen scheinen dringend notwendig zu sein, denn kurzfristig muss eine Lücke von mehr als vier Milliarden Euro geschlossen werden. Dabei ist es das Ziel der Regierung, die seit Jahren steigenden Beiträge für die Versicherten zu begrenzen. "Ab 2027 rutschen wir beim Defizit in den zweistelligen Milliardenbereich", schilderte Warken die Dramatik der Situation am Freitag in Berlin. Ursprünglich sollten die Vorschläge der im Koalitionsvertrag beschlossenen Kommission erst im Frühjahr 2027 vorliegen. Nun ist wegen der Eilbedürftigkeit ein zweistufiges Verfahren bis Ende 2026 verabredet worden. Der erste Bericht mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen könnte bereits Ende März vorliegen; im Dezember 2026 planen die Experten mit dem zweiten Bericht, Vorschläge zu strukturellen Anpassungen bei der gesetzlichen Krankenkasse zu unterbreiten.
"Es gibt keine Denkverbote", betont Ministerin Warken mit Blick auf die Kommission, tiefgreifende Reformen zur Stabilisierung des Systems seien überfällig. „Alle Versorgungsbereiche müssen auf den Prüfstand, sämtliche Ausgaben und Einnahmen“, so die CDU-Politikerin. Die Quasi-Selbstverständlichkeit, dass jährlich die Beiträge steigen, solle durchbrochen werden.
Vorschläge sollen praxistauglich bleiben
Der Bonner Jurist Thüsing betont, dass es kein wissenschaftlicher Austausch werde. "Ein Vertrautsein mit der Wirklichkeit" sei wichtig, damit die Vorschläge am Ende auch praxistauglich bleiben. Daher werde man möglichst frühzeitig den Austausch mit den Verbänden und relevanten Akteuren der Krankenversicherung suchen.
Auf Kritik stößt die Einberufung der zehn Experten bei Kirsten Kappert-Gonther (Grüne): "Statt wirksame Strukturreformen umzusetzen wie die Krankenhausreform der Ampel, benennt Nina Warken nur Kommissionen." Der Auftrag an die Kommission sowie der politische Wille und Mut zu Reformen blieben im Nebel. "Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein entschiedenes Umsetzungsproblem", sagt die Bremer Gesundheitspolitikerin dem WESER-KURIER.
Die Lösungen seien bekannt, doch das Regierungshandeln bleibe zögerlich und wenig konsequent. "Die Zukunft einer solidarischen und leistungsfähigen Gesundheitsversorgung ist ernsthaft gefährdet, wenn konsequente und strukturierte Reformen ausbleiben“, betonte die ehemalige Vorsitzende des Gesundheitsausschusses.
Bürgerversicherung wohl nicht das Mittel der Wahl
In der Tat scheinen grundlegende Korrekturen an der Struktur der sozialen Sicherungssysteme nicht auf der Tagesordnung der Kommission zu stehen: Er könne nicht ausschließen, dass nicht auch die Bürgerversicherung in der Kommission besprochen werde, sagte das Kommissionsmitglied Gregor Thüsing, aber die sei nicht "die Lösung aller Probleme". Bei einer Bürgerversicherung müssten Beamte, Selbstständige und Besserverdienende, die häufig privat versichert sind, mit allen anderen in eine gemeinsame Kasse einzahlen. Das sorgt für eine Erhöhung der Einnahmen, aber auch für steigende Ausgaben wegen der höheren Zahl der Versicherten.
"Eine Bürgerversicherung würde zu mehr Gerechtigkeit führen", urteilt Kappert-Gonther. Experten fordern dagegen bereits seit Jahren einen Mix aus gesetzlicher Basisversicherung und privater Zusatzversicherung. Aber: "Ein Basistarif wäre der Weg in ein Dreiklassen-Modell", meint die Bremer Grünen-Abgeordnete, die für die Klage der gesetzlichen Krankenkassen Verständnis zeigt: "Es ist nicht gerecht, dass die Solidargemeinschaft die Lücken füllt, die eigentlich staatlich finanziert werden müssen."
Die stellvertretende Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Stefanie Stoff-Ahnis, begrüßte den früheren Start der Kommission, deren kurzfristige Vorschläge aber auch erst auf 2027 zielen sollen. „Die Politik muss jetzt handeln, um Beitragserhöhungen Anfang 2026 zu verhindern.“ Der Verband schlägt dazu als Sofortmaßnahme eine gesetzliche Kostenbremse vor, wonach die Ausgaben der Kassen nur so stark steigen dürfen wie die Einnahmen – und nicht unbegrenzt.