Ein Erdbeben, ein Tsunami und die Kernschmelze im Kernkraftwerk Fukushima kamen am 11. März 2011 als Dreifach-Katastrophe in Japan zusammen. Eine Erkenntnis daraus hatte auch Folgen für Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel, selbst Physikerin, zog schnell die Konsequenz aus dem größtmöglichen denkbaren Unfall in einem Meiler. Deutschland steigt aus der Atomenergie aus. Ein Beschluss, der viel in Bewegung gebracht hat.
Noch 2011 wurden sieben der insgesamt 16 Kraftwerksblöcke vom Netz genommen. Drei weitere folgten bis 2019. Heute erzeugen noch sechs Kernkraftwerke Strom. Doch auch damit ist bald Schluss. Bis Ende dieses Jahres werden die Blöcke in Grohnde, Brokdorf und Grundremmingen abgeschaltet. Ein Jahr später gehört die Atomkraft mit dem Ende von Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland der Vergangenheit an. Das bezieht sich jedoch nur auf die Stromproduktion. Mit den strahlenden Hinterlassenschaften hat Deutschland noch Jahrzehnte zu tun.
Abschied von Kernkraft war umstritten
„Der Atomausstieg war auch eine energiewirtschaftlich richtige Entscheidung“, versichert Umwelt-Staatssekretär Joachim Flasbarth. Denn auch der Abschied von der Kernenergie war trotz Fukushima umstritten. Kritiker befürchteten Versorgungsprobleme und höhere Strompreise. Ein Vorwurf lautete zudem, dass Deutschland nun Atomstrom aus Nachbarländern beziehen müsse.
Im Rückblick zeigt sich jedoch: Die Sorgen waren unbegründet. Nach Angaben der Beratungsfirma Agora Energiewende ging der Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung zwar im vergangenen Jahrzehnt von 22 Prozent auf elf Prozent zurück. Doch die erneuerbaren Energien konnten den Aderlass mehr als ausgleichen. Ihr Anteil betrug im vergangenen Jahr 45 Prozent. Auch musste kein Strom zusätzlich importiert werden. Laut Agora stiegen die Exporte aus Deutschland heraus nach 2011 sogar stetig an.
Verbraucher müssen tiefer in die Tasche greifen
Etwas anders sieht es bei der Preisentwicklung aus. Hier müssen die Verbraucher tiefer in die Tasche greifen. Daran ist die Umlage für erneuerbare Energien schuld, also ein eher indirekter Effekt des Abschieds von der Kernkraft.
Unterdessen gibt es auch die gegenteilige Forderung, auf neue, modernere Atommeiler zu setzen, um den Klimawandel zu begrenzen. Bill Gates macht sich dafür zum Beispiel stark. Doch davon hält das Bundesumweltministerium gar nichts. „Atomenergie kann kein Klimaschützer sein“, sagt Flasbarth und führt gleich mehrere Gründe dafür an. So seien die neuen Atomtechnologien frühestens Mitte des Jahrhunderts einsatzbereit und im Vergleich zu der immer billigeren Ökoenergie zu teuer. Ein ganz konkretes Problem sieht er im Bedarf an Kühlwasser für die Reaktoren. Bei großer Außenhitze müssen die Reaktoren abgeschaltet werden, wenn sie nicht mehr ausreichend gekühlt werden können. In einem hoch industrialisierten Land sei Kernkraft nicht beherrschbar, stellt die Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), Inge Paulini, heute fest.
443 Atomkraftwerke weltweit in Betrieb
Weltweit werden trotzdem noch neue Meiler geplant, vor allem in China. Derzeit sind noch insgesamt 443 Atomkraftwerke in Betrieb. Mit dem Ausstieg steht Deutschland weltweit noch alleine da.
Ausstieg ist eigentlich nicht die richtige Bezeichnung für den Sonderweg. Denn mit den Folgen des atomaren Energiezeitalters haben noch die nächsten Generationen zu tun. Der Atommüll verschwindet nicht mit dem letzten Kraftwerk, sondern wird noch lange gefährlich strahlen. Derzeit lagert die gefährliche Hinterlassenschaft in Castorbehältern in Zwischenlagern.
„Die Zwischenlager sind nicht für die Ewigkeit gebaut“, sagt Stefan Kanitz von der Geschäftsführung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BFG). Eine Dauerlagerstätte für den hoch radioaktiven Müll muss bald gefunden werden. Dafür hat die Bundesregierung ein aufwendiges Verfahren zur Standortsuche beschlossen. Bis 2031 soll sie abgeschlossen sein. Daran glaubt Monika Müller vom Nationalen Begleitgremium (NBG) nicht. Sie hält eher eine Entscheidung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts für realistisch. Im NBG begleiten Wissenschaftler und Bürger gemeinsam den Auswahlprozess, der transparent und kontrollierbar verlaufen soll.
Auswahl wird weiter eingeschränkt
54 Prozent der Landesfläche sind in einem ersten Bericht als infrage kommende Teilgebiete ausgewiesen worden. Nun geht es darum, die Auswahl weiter einzuschränken und irgendwann konkrete potenzielle Lagerstätten zu erkunden. Welches Konfliktpotenzial dort lauert, lässt sich mit einem Blick in die Vergangenheit nachvollziehen. Als Endlager war einmal Gorleben vorgesehen. Der Widerstand dagegen wurde zum Symbol der Atomkraftgegner, häufig militant und am Ende auch erfolgreich.
Auch finanziell haben womöglich noch Generationen an der Atomkraft zu kauen. Denn die Stromkonzerne haben sich mit einer einmaligen Zahlung von 24 Milliarden Euro für die Beseitigung des Atommülls per Vereinbarung mit dem Bund von dieser Last befreit. Sollte diese teurer werden, muss der Steuerzahler die zusätzlichen Kosten übernehmen.