Nun fangen sie erst richtig an – die Chaostage in London und auch Brüssel. Theresa Mays krachende wie einkalkulierte Niederlage beim Brexit-Votum des Unterhauses macht ratlos. Wie es im Scheidungsdrama zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU weitergeht, ist kaum vorherzusagen. Leider sind Zeiten wachsender Ungewissheit zumeist Gift für die Wirtschaft.
Mehr denn je, so viel ist klar, droht nun ein harter, ungeordneter Brexit. Der Preis hierfür wäre enorm. Wer wüsste das besser als die Bremer, deren Wohlstand seit Jahrhunderten am freien Warenaustausch hängt. Tausende Lkw, die jeden Tag vor der Überfahrt nach Dover komplizierte Zollformalitäten erledigen müssen – das kann nicht funktionieren. Der Handel zwischen Großbritannien und der Europäischen Union würde zusammenbrechen.
Leidtragende wären vor allem die Briten. Deutschland würde ein solches Szenario vermutlich ein paar Prozentpunkte Wachstum kosten. Jenseits des Kanals wäre wohl eine jahrelange, schwere Rezession die Folge. Das kann selbst der strammste Brexiteer aus den Reihen der Tories nicht wollen.
Auch den Hardlinern muss klar sein, dass eine Neuverhandlung des Brexit-Abkommens bis Ende März nicht zu schaffen ist. Ohne eine Verlängerung dieser Frist für den Austritt wird es also nicht gehen. Damit alle anderen 27 EU-Staaten dem zustimmen, wird sich May bald erklären müssen. Was die Briten nicht wollen, ist jetzt verbürgt. Aber was wollen sie eigentlich?
Nicht nur in der Konservativen Partei gehen die Ansichten munter durcheinander. Eine parlamentarische Mehrheit für eine Zollunion mit der EU nach dem Vorbild Norwegens ist immerhin denkbar. Diese Lösung wäre ökonomisch sinnvoll, aber die Tories könnten daran zerbrechen. Das wiederum kann nicht im Interesse der Europäischen Union sein. Ein Chaos-Brexit würde noch wahrscheinlicher – und der schadet allen.
Also sollte sich die EU bewegen, zumindest signalisieren, dass sich Freizügigkeits-Regeln für die Briten lockerer auslegen ließen. Natürlich gibt es rote Linien, die Brüssel nicht überschreiten kann – zum Beispiel die Zusicherung einer offenen Grenze zu Nordirland. Schließlich geht es um die Interessen eines Mitgliedsstaats.
Keine Scheidung ohne Schmerzen. Gerade tut es etwas mehr weh. Dass die Pein noch auszuhalten ist, liegt in beiderseitigem Interesse.