Heinrich Thiermann war vergangene Woche zu einer Fachtagung in Bonn. Dort traf Thiermann, Niedersachsens größter Spargelanbauer, einen Kollegen, den er auf den ersten Blick fast gar nicht wiedererkannt hätte. 26 Kilo hatte sein Gegenüber abgenommen, „innerhalb von drei Monaten“, erzählt Thiermann, „und er hat mir gesagt: ,Mensch, ich freue mich richtig, dass es jetzt wieder Spargel gibt. Spargel passt ideal in meinen Diätplan und schmeckt.‘“
Diese Anekdote ist Thiermanns Antwort auf die Frage, ob es sinnvoll ist, dass jetzt schon der erste Spargel geerntet wird. Die Saison beginnt offiziell erst Anfang April, aber auf Thiermanns Feldern sind die ersten Helfer bereits seit zehn Tagen wieder unterwegs. Hans-Dieter Mühlenbruch kann das nicht verstehen, „Blödsinn“, sagt der Gastronom aus Achim, „damit machen sie den anderen Bauern das Leben schwer und alle anderen ganz verrückt.“ Mühlenbruch ist der Seniorchef des Bollener Dorfkruges. Zu ihm kommen die Leute in Scharen, um Spargel zu essen, „meist ganz traditionell“, sagt er, „mit Sauce Hollandaise, Schinken und Salzkartoffeln“. Nur nicht schon jetzt, Mitte März, viel zu früh.
Anruf bei der Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer in Niedersachsen. Geschäftsführer Fred Eickhorst ist nicht besonders glücklich darüber, dass er so früh im Jahr Fragen zur vorgezogenen Spargelernte beantworten muss. „Weil das Thema negativ besetzt ist“, sagt Eickhorst, und eine Diskussion über den Zeitpunkt aus seiner Sicht auf die falsche Spur führt. „Vielleicht zehn Betriebe“ seien es deutschlandweit, die jetzt schon loslegten, „wir reden über 0,03 Prozent der Gesamtmenge an geerntetem Spargel.“ Bei Thiermann in Kirchdorf im Kreis Diepholz ist trotzdem eine Menge los. Gleich am ersten Morgen nach dem ersten Erntetag hätten die Kunden im Hofladen Schlange gestanden, sagt Thiermann. „Der Kunde ist König, und Spargel ist nun mal das Lieblingsgemüse der Deutschen. Es wird entsprechend nachgefragt.“
Nabu sieht den frühen Erntebeginn kritisch
Wo die Nachfrage hoch und die Antwort darauf in der Regel Massenproduktion ist, schauen Umwelt- und Verbraucherschützer besonders genau hin. Da geht es den Spargelbauern nicht anders als den Fleischproduzenten. Zwar genießt die Spargelbranche einen deutlich besseren Ruf als weite Teile der Fleischindustrie, aber Kritik gibt es auch. Zum Beispiel vom Naturschutzbund Nabu. „Wir sehen den frühen Erntebeginn kritisch“, sagt Christiane Hussels, die für den Nabu im Landesfachausschuss Landwirtschaft sitzt. Die Umweltschützer stören sich zum Beispiel am hohen Energieeinsatz, der nötig ist, um die Erde mittels Heizschleifen auf rund zwölf Grad aufzuwärmen, damit der Spargel so früh im Jahr schon wachsen kann. Heizspargel heißt der erste Spargel des Jahres folgerichtig, er kostet zwischen 14 und 19 Euro pro Kilo.
Die Kritik am Energieverbrauch lässt Thiermann nicht gelten. Er betreibt an seinem Stammsitz ein Blockheizkraftwerk, mit dem die Wohnungen für seine Arbeiter und die übrigen Gebäude auf dem Betriebsgelände beheizt werden. „Die Wärme, die wir dafür nicht brauchen, lassen wir nicht einfach verpuffen, sondern leiten sie auf die Felder“, sagt Thiermann, der 1972 mit drei Hektar für Spargel angefangen hat und heute allein im Kreis Diepholz 500 Hektar mit Spargel bewirtschaftet. Auf acht Hektar davon wird jetzt schon geerntet, rund eine Tonne kam anfangs alle zwei Tage zusammen, bis auf vier Tonnen täglich wird das in den nächsten Wochen gesteigert.
Dass die Ausbeute so üppig ausfällt, liegt auch daran, dass die konventionellen Spargelbauern Planen und Folien einsetzen, die über die Erdhügel gespannt werden, in denen der Spargel unter idealen klimatischen Bedingungen heranwächst. Auch das sehen Umweltschützer kritisch. Mehrere tausend Tonnen Plastikplanen müssen jedes Jahr beseitigt werden.
Zwar weisen die Spargelbauern darauf hin, dass jede einzelne Plane mehrere Jahre verwendet und auch recycelt werden kann. „Aber was passiert mit der Folie, wenn der Wind sie wegbläst?“, fragt Christiane Hussels vom Nabu. „Wir finden immer wieder Plastikplanen, die wild in der Landschaft herumliegen.“ Die Umweltschützer sind außerdem alarmiert, weil Lebensraum für Vögel und Bienen wegfällt, wenn Felder kilometerlang buchstäblich zugedeckt sind.
Verband reagiert auf Kritik - und startet eine Informationskampagne
Die Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer reagiert auf die Kritik. Der Verband startet in wenigen Tagen pünktlich zum Auftakt der offiziellen Spargelsaison eine große Informationskampagne, die sich mit verschiedenen Fragen rund um die Spargelernte beschäftigt: Wie sticht man Spargel? Wie wird Spargel sortiert? Warum ist Spargel so gesund? Aber auch: Warum sind Folien auf den Feldern so wichtig?
Der Nabu nimmt bei seiner Kritik aber auch die Kunden in die Pflicht. „Der Verbraucher sollte Wert auf Lebensmittel legen, die unter klimafreundlichen Bedingungen hergestellt werden oder herangewachsen sind“, sagt Hussels, „die Kunden sollen gern ihren Spargel genießen, aber doch am liebsten zu der Zeit, in der er natürlich wächst.“
Spargel ist längst kein Saisongemüse mehr. Fast das ganze Jahr über liegt Spargel in den Supermärkten im Regal, außerhalb der deutschen Spargelsaison kommt er aus Griechenland, Spanien, den Niederlanden und sogar aus Chile und Peru. Ausländischer Spargel macht im Moment rund 20 Prozent am Gesamtmarkt aus. „Wir stehen im Wettbewerb“, sagt Thiermann. Und die Bedingungen werden nicht leichter.
Er selbst muss den Arbeitern, die in der Hauptsaison zu Hunderten auf seinen Feldern im Einsatz sind und aus Polen, Rumänien oder Ungarn kommen, den Mindestlohn zahlen, 9,19 Euro pro Stunde sind das seit Jahresbeginn. „Die Arbeiter in Chile verdienen vielleicht zwei bis fünf Dollar“, sagt Thiermann, „am Tag.“ Der Mindestlohn bei der europäischen Konkurrenz liegt in Spanien bei 4,46 Euro, in Griechenland sogar noch mehr als einen Euro darunter.
Kunden sind kritisch
Der Unternehmer aus Niedersachsen setzt deshalb auf die eigene Qualität und die Geschmackssicherheit seiner Kunden, „und die sind kritisch“, sagt Thiermann. Er beliefert die Filialen großer Supermarktketten von Köln bis Lübeck. 60 000 Besucher begrüßt er außerdem jährlich auf seinem Hof, die Leute kommen zum Essen, zum Gucken und zum Einkaufen.
Die meisten von ihnen kommen regelmäßig wieder. Genau wie Thiermann können sie sich auch im Bollener Dorfkrug auf ihre Stammgäste verlassen. Allerdings mit einem Unterschied: Die Gäste der Familie Mühlenbruch sind geduldiger als diejenigen, die jetzt schon bei Thiermann einkaufen. Ein vorgezogener Beginn der Spargelsaison steht in Bollen deshalb auch nicht zur Debatte. Im Gegenteil: Der Dorfkrug macht im Moment Betriebsferien. Spargel steht erst ab April wieder auf der Speisekarte.
Niedersachsen, Spargelland Nummer eins
In Deutschland sind im vergangenen Jahr 129 600 Tonnen Spargel geerntet worden, nur etwas weniger als im Rekordjahr 2017. Jede fünfte Stange Spargel kommt aus Niedersachsen, das über 22 Prozent der Anbaufläche verfügt. Niedersachsen ist damit Spargelland Nummer eins. Laut Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer ist die Ertrags- und Anlagefläche 6138 Hektar groß. 350 Betriebe bauen in Niedersachsen Spargel an, die kleinsten auf Flächen, die nicht mal ein Hektar groß sind, Marktführer wie Thiermann bewirtschaften 500 Hektar. Auf niedersächsischen Feldern arbeiten laut Statistischem Landesamt jedes Jahr 50 000 Erntehelfer, fast alle aus Osteuropa.
Die Tourismusbranche macht sich den Stellenwert von Spargel im Land längst zunutze. Seit 1999 verbindet die Niedersächsische Spargelstraße auf rund 750 Kilometern Länge die touristischen Regionen Lüneburger Heide, Hannover und Umland, Braunschweiger Land, Mittelweser und das Oldenburger Münsterland – die wichtigsten Spargelanbaugebiete Niedersachsens.
Während die Spargelernte inzwischen immer früher beginnt, ist das Ende der Saison unstrittig. Es fällt immer auf den 24. Juni, dem sogenannten Johannitag. Danach haben die Felder Zeit, um sich für die nächste Saison zu regenerieren.