Als Parteichef wollte ihn seine Partei nicht haben, nicht einmal in der Tandem-Variante – mit Klara Geywitz an seiner Seite. Zu sehr stand Olaf Scholz bei vielen in der SPD-Basis für die alte Sozialdemokratie, für das, was überwunden werden sollte: für Hartz IV, die schwarze Null, das Festhalten an der Großen Koalition. Die Partei wählte in ihrer Not Aufbruch statt Bewährtes. Olaf Scholz, der ursprünglich gar nicht antreten wollte bei diesem Kandidatencasting mit anschließender Mitgliederbefragung, fing sich, verlegen lächelnd, eine herbe Niederlage ein.
Nun küren ihn ausgerechnet jene zum Kanzlerkandidaten, die ihm im vergangenen Jahr den SPD-Vorsitz weggeschnappt hatten: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Und sie tun das geradezu entschuldigend in Richtung ihrer Anhängerschaft. Es ist ein Stück weit eine Geschichte aus dem Tollhaus, dass ausgerechnet Esken dem Mann den nötigen „Kanzler-Wumms“ zuschreibt, dessen Politikstil sie stets heftig kritisiert hat. Für sie ist das ein enormer Gesichtsverlust. Wie Esken das ihren Unterstützern im linken Parteilager, allen voran den Jusos, verkaufen will, bleibt ihr Geheimnis. Spätestens mit dieser personalpolitischen Kehrtwende hat sich die von ihr und Walter-Borjans angekündigte Überwindung des zu defensiven SPD-Regierungsstils endgültig als leeres Versprechen erwiesen. Scholz verlor zwar im vergangenen Jahr den Machtkampf um den Parteivorsitz, jetzt aber hat er sich die Macht zurückerobert.
Keine ernsthafte Konkurrenz
Und wer auch sonst, bitteschön, hätte die SPD-Kanzlerkandidatur übernehmen können? Es lief seit Wochen auf Scholz hinaus. Die allenfalls mal vorsichtig gehandelten Kandidaten – Fraktionschef Rolf Mützenich oder Generalsekretär Lars Klingbeil – waren nie ernsthafte Konkurrenten. Und die beiden Parteivorsitzenden, qua Amt ja ausgestattet mit dem ersten Zugriffsrecht, sowieso nicht. Kein Wunder also, dass die SPD mit der Nominierung ihres Kanzlerkandidaten nicht mehr bis zum Spätsommer warten wollte, wie es am Wochenende Klingbeil noch angekündigt hatte.
Nun ist es also raus. Die Partei kann sich jetzt formieren und hinter Olaf Scholz versammeln, auch wenn das einigen schwerfallen dürfte. Dezent aber hat Scholz in einigen Interviews schon durchblicken lassen, dass auch in ihm noch linke Wurzeln stecken.
Die frühe Entscheidung schafft der SPD zudem einen Vorteil gegenüber der noch mitten in der Entscheidungsfindung begriffenen Union. Dort ist derzeit nur eines klar: Angela Merkel tritt nicht wieder an. Ob Scholz' Kontrahent aber der neue CDU-Chef wird oder ob dieser nicht eher aus Bayern kommt und Markus Söder heißt, darüber wollen die Schwesterparteien wohl erst Anfang 2021 entscheiden. Viel Zeit also für Scholz, um schon in den Angriffsmodus zu schalten und dabei seinen Amtsbonus als Vizekanzler und Finanzminister zu nutzen. Die SPD hat gerade aus der Not eine Tugend gemacht.
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