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Niedersachsen SPD und Grüne blenden Autobahnstreit bei Koalitionsverhandlungen aus

Seit Mittwoch verhandeln SPD und Grüne in Niedersachsen auf Spitzenebene. Der erste Tag der Koalitionsgespräche bringt bereits konkrete Ergebnisse.
26.10.2022, 18:51 Uhr
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SPD und Grüne blenden Autobahnstreit bei Koalitionsverhandlungen aus
Von Peter Mlodoch

Die konstruktive Stimmung zeigt sich selbst in Kleinigkeiten. Noch bevor die ersten Punkte im Koalitionsvertrag mit den Grünen ausverhandelt wurden, hat sich die SPD-Zentrale in Hannover um die Hintergrunddekoration für die am 7. November geplante feierliche Unterzeichnung des Papiers gekümmert. Auch über das Design des Titelblatts der Vereinbarung, die die politischen Grundzüge der nächsten fünf Jahre in Niedersachsen festzurren soll, wurde hinter den Kulissen schon diskutiert. Trotz der Knackpunkte wie Abschiebungen oder Umgang mit dem Wolf sind die Genossen felsenfest davon überzeugt, dass ihr Ministerpräsident Stephan Weil mit den Grünen weiterregieren kann und darf.

„Wir sind guten Mutes, dass wir am Ende den berühmten weißen Rauch aufsteigen lassen können“, meinte der amtierende und wohl auch künftige Regierungschef am Mittwoch zum Auftakt der echten Koalitionsgespräche im Gebäudekomplex des Landessportbundes in Hannover. Früher als geplant verkündete Weil dann am späten Nachmittag gemeinsam mit Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg die ersten Ergebnisse.

Mehr Klimaschutz

„Klimaschutz wird in der Landesregierung künftig einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen, als das bislang der Fall gewesen ist“, erklärte der Ministerpräsident. 2030 sollten mindestens 75 Prozent, 2035 mindestens 90 Prozent des Energieverbrauches und bis 2040 vollständig aus Erneuerbaren kommen, beschrieb Weil das neue ehrgeizige Ziel. Diese sollten entweder „made in Niedersachsen“ erzeugt oder durch Importe klimaneutraler Energieträger beschafft werden.Hamburg kündigte eine „Klimafolgenabschätzung“ für jede Maßnahme der Landesregierung an.

Zum Klima-Paket gehört ebenfalls eine Stärkung von Bussen und Bahnen. So soll es in Niedersachsen bald ein landesweit gültiges Nahverkehrsticket für Schüler und Auszubildende geben. Dieses soll preislich mit 29  Euro pro Monat deutlich unter einem möglichen 49-Euro-Nachfolger für das Neun-Euro-Ticket liegen. Allerdings scheiterten die Grünen mit ihrer Forderung, auch Personen mit niedrigem Einkommen einzubeziehen. Die SPD sträubte sich dagegen. Hier müsse der Bund tätig werden und das Mobilitätsgeld bei der Grundsicherung erhöhen. Im Gegenzug billigten die Genossen den von den Grünen propagierten Einstieg in eine Mobilitätsgarantie mit festen Bus- und Bahnzeiten auch in entlegenen ländlichen Räumen. Das Angebot soll in zwei Modellregionen ausprobiert werden.

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Beim vor Beginn der Verhandlungen als größten Knackpunkt ausgemachten Streit um Autobahn-Neubauprojekte versuchen es SPD und Grüne wie schon bei ihren Koalitionsgesprächen 2013 mit einem Kniff. Dass sich die SPD in ihrem Wahlprogramm klipp und klar dazu bekennt und die Grünen diese Betonpisten ebenso kategorisch ablehnen, blenden die künftigen Koalitionäre einfach aus. Sie verweisen auf die Zuständigkeit des Bundes. „Wir haben gemeinsam festgestellt, dass das Land bei der A  20 und A 39 nicht mehr in der Verantwortung ist“, meinte der Ministerpräsident. Das Vorhaben und inzwischen auch dessen Realisierung würden ja von der bundeseigenen Autobahn GmbH betrieben. In diesem Punkt werde es also bei der Endfassung des Koalitionsvertrages keine großen Probleme mehr geben. „An dieser Stelle habe ich keinen erhöhten Puls“, sagte Weil. Dem hatte Hamburg nichts mehr hinzuzufügen.

Baugesellschaft soll Sozialwohnungen schaffen

Keine große Überraschung war die laut Weil „vollkommene Einigkeit“ bei der Schaffung einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft, die unter anderem durch den forcierten Ausbau von Sozialwohnungen den angespannten Mietmarkt entlasten soll. Beide Parteien hatten sich für eine solche staatliche Unterstützung bereits im Wahlkampf ausgesprochen. Schon im November will Rot-Grün einen eigenen Rettungsschirm in Niedersachsen auf den Weg bringen. Hier müssten allerdings binnen der nächsten Tage noch die Einzelheiten geklärt werden, kündigte der SPD-Landeschef an. Vor der Landtagswahl hatte Weil ein 970-Millionen-Euro-Paket versprochen, das unter anderem Schulen und Kitas, kleinen und mittleren Unternehmen sowie dem Gesundheitssektor und Kultur- und Sporteinrichtungen zugutekommen soll.

Eine Woche sollen diese Verhandlungen mit täglichen Runden des Spitzenpersonals der beiden Parteien dauern, das Wochenende und den Feiertag eingeschlossen. Grundlage dieser Gespräche sind laut Weil die „intensiven Vorbereitungen“ der Facharbeitsgruppen, die seit vorvergangenen Freitag die einzelnen Themenfelder beackert haben. „Diese machen uns das Leben leichter.“

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Mehr Brisanz verspricht da dann die Verteilung der Kabinettsposten. Die Grünen schielen offen auf das Wirtschaftsministerium für ihre Frontfrau Hamburg, beanspruchen außerdem Umwelt und Landwirtschaft für sich. Da möchten die Genossen nicht ohne Weiteres mitmachen. Denkbar sind daher auch Neuzuschnitte der einzelnen Ressorts, um sie so potenziellen Ministern schmackhaft zu machen. SPD-Verhandlungsführer Weil muss bei seinem Personaltableau, das Fraktion und Landtagspräsidium einschließt, auch den regionalen Proporz und die dank ihrer Wahlerfolge gestiegenen Ansprüche der Braunschweiger Genossen berücksichtigen. Wie das gelingen soll, wollte der Regierungschef zum Auftakt aber erst mal nichts preisgeben. Um Posten gehe es „immer erst am Ende“.

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