Wenn Unruhen die Sprache der Überhörten sind, machen diese mehr als deutlich auf sich aufmerksam. Zuerst gingen nach dem gewaltsamen Tod George Floyds in Minneapolis ein Polizeirevier, Supermärkte und Restaurants in Flammen auf. Nun scheint das ganze Land zu brennen – wie zuletzt 1968 nach dem Tod Martin Luther Kings, von dem die Beobachtung stammt.
Heute wie damals mahnen wohlmeinende Bürgermeister und Gouverneure dazu, friedlich zu demonstrieren. Gewalt, so predigen sie den Demonstranten, sei keine Lösung. Ein Appell, der bei vielen verpufft, die darin einen empörenden Doppelstandard erkennen. Sehen sich Afroamerikaner doch permanent einem ungerechten System staatlicher Gewalt ausgesetzt.
Die Heftigkeit, mit der die Unruhen ausbrechen, kann nur den überraschen, der die Augen vor den Konsequenzen des strukturellen Rassismus fest zugedrückt hat. In wohlhabenden Minneapolis verdienen Schwarze im Schnitt nur ein Drittel von dem wie weiße Stadtbewohner, während Afroamerikaner dem Covid-19-Erreger dreimal so häufig erliegen.
Gewalt als Lösung gesellschaftlicher Probleme
Die Justiz in den USA war selten blind, sondern sieht nur auf einem Auge. Die auf dem Video festgehaltene Brutalität steht für ein System, in dem der Staat routiniert auf Gewalt als Lösung gesellschaftlicher Probleme setzt. Die martialisch aufgerüsteten Polizeitruppen gehören dazu. Die Unruhen in den Straßen der amerikanischen Großstädte sind die Antwort darauf.
Ob es unbedingt klug ist, in den eigenen Nachbarschaften zu randalieren, mag dahingestellt bleiben. So richtig erschließt sich nicht, warum man aus Wut sein eigenes Haus anstecken würde. Und es gibt Anhaltspunkte, dass Aufwiegler aus der rechten Szene kräftig mitmischen, um die Proteste zu diskreditieren.
Schmerzlich vermisst in dieser existenziellen Doppelkrise wird Führung aus dem Weißen Haus. Die Nation wartet vergeblich auf heilende Worte aus dem Oval Office. Im Gegenteil: US-Präsident Donald Trump kündigt via Twitter den Einsatz von Schusswaffen an, will antifaschistische Demonstranten zu Terroristen abstempeln und droht, seine Anhänger aufmarschieren zu lassen. Die durften übrigens bis an die Zähne bewaffnet das Parlament im Bundesstaat Michigan besetzen oder zum Beifall Trumps die Covid-19-Ausgangssperre missachten. „Befreit Minnesota!“, feuerte der Präsident seine Anhänger Mitte April an.
Verstärkt durch die Pandemie treten in der Amtszeit Trumps Dinge zutage, die viele Amerikaner am liebsten ausblenden. Das Spektakel um den Raketenstart der Space-X steht in einem seltsamen Kontrast zu den ganz irdischen Problemen des hartnäckigen Rassismus, der bis heute wie ein Krebsgeschwür die Gesellschaft der Vereinigten Staaten von innen bedroht. George Floyd war das jüngste Opfer, gewiss aber nicht das letzte.