Selten zuvor zogen die Demokraten so geschlossen in den Wahlkampf wie in diesem Jahr. Joe Biden braucht nicht zu befürchten, bei seiner offiziellen Nominierung an diesem Dienstag ausgebuht zu werden. Das ist bei dem ersten virtuellen Parteitag in der Geschichte der USA ohnehin kaum möglich. Aber auch in den elektronischen Netzwerken gibt es wenig Querschüsse von der Basis.
Sicher hätten sich die Linken in der Partei einen dynamischeren Kandidaten mit schärferem Profil gewünscht als den guten alten „Onkel Joe“. Und nicht wenigen wäre die linke Stacey Abrams als sein „Running Mate“ lieber gewesen als die liberale Kamala Harris. Was die Partei aber zusammenschweißt, ist die als existenziell empfundene Bedrohung durch Donald Trump. Dessen über 20.000 Lügen im Amt stehen für seine ständige Verletzung aller Normen. Bei einer zweiten Amtszeit droht die Demokratie in Amerika selbst auf dem Spiel zu stehen.
Bidens und Sanders Verdienst
Vor diesem Hintergrund gibt es so viel mehr, das die Flügel der Demokraten eint als trennt. Es ist das gemeinsame Verdienst Bidens und seines Rivalen um die Nominierung, Bernie Sanders, dass die selten einige Partei erstmals an einem Strang zieht. Sanders hielt Wort und mobilisierte den linken Flügel gegen den, wie er sagt, „gefährlichsten Präsidenten in der Geschichte der USA“. Biden seinerseits heuerte Strategen aus dem progressiven Lager an und übernahm programmatische Anliegen.
Die Entwicklungen seit seinem Überraschungs-Comeback am Super-Dienstag lassen den 77-jährigen Biden heute zudem viel besser aussehen, als noch Anfang des Jahres. Es scheint, als habe sich das Stehaufmännchen sein ganzes Leben lang auf diesen besonderen Moment vorbereitet, in dem die Nation einen „Tröster“ und „Versöhner“ braucht.
Das von knapp 5000 Delegierten und Zehntausenden Besuchern aus aller Welt auf Zoom-Format zusammengeschrumpfte Politikspektakel der Demokraten in Milwaukee passt bestens zum Stil des „Veranda“-Wahlkampfs Bidens. Er signalisiert damit, dass er die Gefährdung durch das Coronavirus ernst nimmt. Ob die Konferenz ohne Publikum, Jubel und Luftballons allerdings zusätzliche Wähler mobilisiert, ist die große Frage. Es gibt dafür keinen Erfahrungswert.
Doch nüchtern betrachtet braucht Biden das auch nicht. Er liegt in den Umfragen bisher klar in Führung und hat mit Kamala Harris eine Vizekandidatin nominiert, denen die Amerikaner zutrauen, die Nation im Fall der Fälle zu führen. Seine Strategie geht bisher auf.
Joe Biden steht für Normalität und Anstand. Wenn es ihm gelingt, diesen Kontrast zum Amtsinhaber über die kommenden vier Tage auf dem virtuellen Parteitag der Demokraten zu vermitteln, hat er sehr gute Chancen, Amerika in eine bessere Zukunft zu führen.