Seit er vor gut einem halben Jahr seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der Ukraine bekannt gegeben hat, hat der Schauspieler und Comedian Wolodymyr Selenskyj die Politik seines Landes ordentlich durcheinander gewirbelt. Sein erster Coup war der überwältigende Sieg bei der Präsidentschaftswahl im April. Sein zweiter Coup soll nun der Sieg seiner Partei bei der Parlamentswahl werden, die auf den 21. Juli vorgezogen wurde.
Selenskyjs einzige Erfahrung mit Politik war bis vor kurzem die Rolle des ukrainischen Präsidenten in einer populären satirischen Fernsehserie. Dementsprechend heißt seine Partei auch genau wie in der Fernsehserie „Diener des Volkes“. Anfang des Jahres existierte sie nur auf dem Papier. Mittlerweile liegt sie in Umfragen bei knapp 50 Prozent.
Da in der Ukraine nur eine Hälfte der Sitze nach dem Gesamtergebnis der Wahlen vergeben wird und die andere Hälfte der Abgeordneten aus Einzelwahlkreisen kommt, in denen Selenskyj oft prominente Kandidaten und kompetente Wahlkämpfer fehlen, ist eine absolute Mehrheit im Parlament nicht garantiert.
Selenskyj gibt sich optimistisch und sieht den französischen Präsidenten Emmanuel Macron als sein Vorbild, der sich – ebenfalls völlig unerwartet – nach seiner Wahl zum Präsidenten mit einer neu geschaffenen Partei eine Mehrheit im französischen Parlament sicherte.
Selenskyj beschränkt sich auf allgemeine Versprechen
Im Gegensatz zu Macron hat sich Selenskyj aber inhaltlich kaum festgelegt. Er beschränkt sich auf allgemeine Versprechen wie Kampf gegen die Korruption, Frieden in der Ostukraine und Wirtschaftswachstum. Wie er diese ohne Zaubertrick verwirklichen will, verrät er aber nicht. Auch sein Team gibt keine Aufschlüsse über seine politische Orientierung. Neben Selenskyjs Nähe zum berüchtigten Oligarchen Kolomojskyj sind es vor allem Kontakte aus der Comedy-Zeit, die erste Stellenbesetzungen prägen.
Dass eine leere Projektionsfläche große Mehrheiten gewinnen kann, zeigt, wie verzweifelt die ukrainische Bevölkerung auf der Suche nach einem Hoffnungsträger ist. Wie Selenskyj im Präsidentschaftswahlkampf dem damals amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko treffend erklärte: „Ich bin nicht ihr Gegenkandidat, ich bin ihr Urteil.“ Das Urteil mag verdient sein, zukunftsweisende Lösungen enthält es bisher leider nicht. Genau wie für Griechenland während der Eurokrise könnten deshalb auch für die Ukraine, die von Krediten des Internationalen Währungsfonds abhängig ist, die Lösungen in Zukunft von außen kommen.
Unser Gastautor ist Leiter die Abteilung Politik und Wirtschaft der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Die Forschungsstelle ist Mitherausgeberin der Ukraine-Analysen.