Es sind Umfragen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel aufhorchen lassen müssen: Mehr als zwei Drittel der Bundesbürger, das legen verschiedene Befragungen nahe, würden ihren Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ nicht unterschreiben. Es mögen die verschiedensten Gründe dahinter-stecken: vom platten Ressentiment bis hin zu fundierter Kritik.
Doch in der Debatte wird oft alles miteinander verrührt. Umso notwendiger ist es, genauer hinzuschauen – jenseits des dumpfen Islamhasses, der Muslime unter Generalverdacht stellt, und der falschen Toleranz, die jede Kritik mit der Rassismuskeule erschlägt.
Zunächst einmal: Die Frage zu beantworten, ob der Islam zu Deutschland gehört, ist Nonsens. Rund viereinhalb Millionen Muslime leben in Deutschland, damit gehört der Islam rein faktisch dazu. Konstituierend wie das Christen- und Judentum ist er gleichwohl nicht. Viel entscheidender wäre die Frage, welche Werte und Normen kompatibel mit unserer Grundordnung sind. Und da wird es schwieriger.
Denn wer auf muslimisch geprägte Staaten und Gesellschaften schaut, kann die Probleme nicht übersehen: die Unterdrückung der Frauen, die Diskriminierung sexueller Minderheiten, der Hass auf Israel und die Juden (die Übergänge sind fließend), die Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und Atheisten sowie der politische Anspruch des Islam sind Dinge, die mit dem Grundgesetz kollidieren.
Dieser Befund sagt erst einmal nichts über jeden einzelnen Moslem, aber viel über die Realitäten in weiten Teilen der islamischen Welt – die die Muslime prägen. Man kann natürlich einwenden, dass auch die katholische Kirche kein Hort von Demokratie und Gleichberechtigung ist. Doch in Europa und Nordamerika gab es die Aufklärung, und um die Politik kümmern sich das gewählte Parlament und die Regierung, nicht die Kirche.
Deshalb verwundert es, dass ausgerechnet diejenigen, die sich stets am Christentum abarbeiten, auf einmal sehr nachsichtig sind, wenn es um die Schattenseiten des Islam geht. Mantrahaft wiederkehrendes Argument dabei: Man dürfe kein Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten leiten. Doch dieses Argument ist falsch und die Haltung feige. Falsch deshalb, weil es gerade das verstärkt, was es verhindern soll, denn der Vorwurf des Vertuschens liegt nahe. Und feige, weil man keinen Zweifel am eigenen heilen Multi-Kulti-Weltbild zulassen will – allen Problemen der Integration zum Trotz.
Frage müsste anders lauten
Dann kommt ausgerechnet jenen, die den alten weißen Mann für alle Diskriminierungen dieser Welt verantwortlich machen, kein Sterbenswörtchen über die Lippen, wenn Eltern ihre zwölfjährige Tochter unters Kopftuch zwingen, damit sie keiner der ewig lüsternen Männer verführt. Und dann wollen diejenigen, die sonst immer in Kausalitäten denken, auf einmal keinen Zusammenhang mehr erkennen zwischen antisemitischen Übergriffen und dem muslimischen Hintergrund der Täter.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Natürlich ist nicht jeder Moslem ein Antisemit, und diese Geisteshaltung hat der Islam auch nicht exklusiv. Der Unterschied ist jedoch, dass jeder Rechtsradikale, der sich hierzulande offen antisemitisch äußert, sofort gesellschaftlich geächtet wird. Zu Recht! Dagegen gehört der Israel- und Judenhass in vielen muslimischen Ländern zur Staatsdoktrin.
Im Iran beispielsweise gehen regelmäßig Hunderttausende auf die Straße, um „Tod Israel“ zu skandieren. Die eingangs gestellte Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, müsste deshalb ganz anders lauten: Welchen Islam wollen wir hier haben? Den reaktionären Wahabismus Saudi-Arabiens oder die nationalistische Variante der Türkei sicherlich nicht.
Doch es gibt auch mutmachende Beispiele. Reformorientierte Muslime wie Seyran Ates etwa, die Initiatorin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, die für einen liberalen Islam eintritt. Ates engagierte sich für die Rechte muslimischer Frauen und wurde deshalb bereits angeschossen. Auch jetzt wird die Streiterin für einen aufgeklärten Islam bedroht und steht unter Polizeischutz.
Ates beklagt, dass von offizieller Seite zu oft die zum Teil konservativen muslimischen Verbände hofiert und Reformer wie sie kaum beachtet werden. Das ist sträflich und schändlich. Doch genau hier lässt sich ansetzen: Statt die Probleme zu beschweigen, sollten gerade diejenigen, denen ein friedliches Zusammenleben der Religionen am Herzen liegt, Menschen wie Seyran Ates unterstützen – und ihnen nicht in den Rücken fallen.
ben.zimmermann@weser-kurier.de