Wir erinnern uns: Etwa vor einem Jahr startete Volkswagen mit seinem ersten reinen Stromer, dem ID.3, in ein neues Zeitalter. Doch der Aufbruch gestaltete sich ruckelig, und das ist noch harmlos ausgedrückt. Die Materialanmutung und Verarbeitungsqualität, vor allem aber die Softwareprobleme der ersten Exemplare lösten heftige Kritik aus. Doch dieser erste Wackelkontakt in der Wolfsburger E-Offensive wurde relativ schnell behoben – und mit dem größeren ID.4 gleich das nächste Modell nachgelegt.
Das elektrische SUV kam nicht nur ohne die Kinderkrankheiten des kompakten ID.3 aus, sondern auch überaus gut bei den Kunden an: Allein in Europa wurden bis jetzt mehr als 30.000 Exemplare ausgeliefert. Die neue Variante GTX soll den Absatz zusätzlich befeuern.
GTX? Da war mal was. In den 1980er-Jahren bekam die auf sportlich getrimmte Variante des leider bedauernswert unsportlichen Jetta genau dieses Kürzel verpasst, um sehr berechtigt bald wieder in Vergessenheit zu geraten. Nun hofft VW darauf, dass die Wiederbelebung dieser drei Buchstaben eine ähnliche Erfolgsgeschichte generiert wie beim GTI. Denn so soll das GTX-Label künftig verstanden werden: als Bezeichnung für allradgetriebene E-Dynamiker mit entsprechenden Fahrleistungen.

Flott unterwegs: 220 kW Leistung (in alter Währung: 299 PS) machen den GTX zum Stark-Stromer, der nach 6,2 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 gesurrt ist.
Die Leistungsdaten des ID.4 GTX untermauern das: Die beiden E-Motoren wirken mit 220 kW/299 PS auf alle vier Räder und bringen das SUV mit ordentlichem Punch in 6,2 Sekunden auf Tempo 100. Das hat tatsächlich GTI-Niveau. Damit das Ganze auch danach aussieht, hat VW für den GTX tief in die Kiste gegriffen, in dem der Dynamik-Zierat lagert. Die Gitter der Lüftungsöffnungen sind schwarz lackiert, unter den Frontleuchten strahlen jeweils drei untereinander angeordnete LEDs nach vorn, dazu steht die 4,58 Meter lange Karosserie auf üppigen 20-Zoll-Rädern und damit ziemlich breit auf dem Asphalt.
Was sich den Entwicklern schon mal nicht unterstellen lässt: mangelnder Mut beim Innendesign. So wirkt die Bedienung des ID.4 GTX ziemlich futuristisch – Infos werden scheinbar dreidimensional ins Blickfeld des Fahrers projiziert, zudem sucht das Auto per LED-Band unter dem Scheibenrand Kontakt. So lässt der VW Licht in die Abbiegerichtung laufen, es leuchtet rot, wenn Bremsmanöver angesagt scheinen, bei Anrufen blinkt es und weitet sich entsprechend des Akkustands beim Laden grün aus. Alles so schön bunt hier! Vor allem aber zeigt es: Sie sind ja durchaus lernfähig bei VW. Nach dem Desaster mit dem arg plastiklastigen Innenraum des ID.3 wurden beim GTX die richtigen Schlüsse gezogen – und unter anderem der Lederanteil im Innenraum deutlich erhöht.

So sieht's aus in modernen Zeiten: Das Cockpit des ID.4 GTX gibt sich futuristisch. Ob das im Alltag auch besser ist – das wird die, richtig, Zukunft dann zeigen.
Aber er soll ja vor allem fahren, dieser flinke ID.4. Also raus auf die Strecke. Ob an der Ampel oder auf freier Strecke, Durchzug ist dank der E-Power jederzeit garantiert. Beide Motoren sind über das Antriebssteuergerät nicht nur eng miteinander vernetzt, sondern auch an die Regelsysteme für Bremsen und Fahrwerk gekoppelt. Ein spezieller Fahrdynamik-Manager koordiniert das komplexe Zusammenspiel von kardanlosem Allradantrieb, Stabilitätskontrolle und Quersperre. Das Fahrdynamik-Ergebnis unter dem Strich: stimmig. Und das ist bedeutsamer als die Tatsache, dass der erklärte E-Sportler bei 180 km/h das Ende der Fahnenstange erreicht hat.
Wer darauf verzichtet, die Leistung derart gnadenlos auszuwringen und stattdessen betont sorgsam unterwegs ist, soll im Idealfall um die 500 Kilometer weit mit dem GTX kommen können. Dafür sorgen die 77 kWh Nettogehalt des Akkus, dessen Elemente sich flach im Unterboden verteilen. Theoretisch lassen sich in einer halben Stunde gute 300 Kilometer Reichweite nachladen – so man denn eine freie Schnellladesäule findet. An der heimischen Wallbox dauert zwischen acht und zwölf Stunden, bis der ID.4 GTX wieder voll bei Kräften ist. Die lassen sich sogar für den Einsatz als Zugfahrzeug nutzen: Wurde er mit der elektrisch ausschwenkenden Anhängerkupplung geordert, darf der VW beachtliche 1,4 Tonnen an den Haken nehmen.

Da hängt was dran: Wer die elektrisch schwenkbare Anhängerkupplung ordert, darf mit dem ID.4 GTX bis zu 1,4 Tonnen ziehen. Was das für die Reichweite bedeutet – lassen wir das lieber.
Die Ausstattung des Wolfsburger E-Flaggschiffs ist erwartungsgemäß voll auf der Höhe der Zeit. Jede Art von Spurhalte- Brems-, Rangier-, Einpark- und Ausweichassistenz ist an Bord. Wer bei der Bestellung ein Kreuz bei „Plus“ setzt, wird mit einer Rückfahrkamera, Diebstahlwarnanlage und schlüssellosem Zugangssystem beliefert. Und dann ist da noch der „Travel-Assist“, der während der Testfahrt den Verkehr rund um uns herum im Auge hat und, wenn nötig, bremst, lenkt und beschleunigt.
Das alles hat, wenig verwunderlich, seinen Preis. So öffnet sich die Tür zum ID.4 GTX erst ab 50.415 Euro; und die Liste der aufpreispflichtigen Annehmlichkeiten ist nicht eben kurz. Selbst nach Abzug der staatlichen Förderung wird aus dem GTX noch lange kein Schnäppchen. Aber das war ja auch nie das Ziel dieses VW, der sich die Bezeichnung Stark-Stromer durchaus verdient.