Wer an Tiktok denkt, denkt wahrscheinlich an kurze Videos, in denen Nutzerinnen und Nutzer mehr oder weniger alberne Tänzchen aufführen. Das hat sich zuletzt allerdings geändert: Immer häufiger werden auf Tiktok nun auch drogenverherrlichende Videos vebreitet. Das fand eine Recherche des Online-Formats "Strg_F" für den Norddeutschen Rundfunk heraus.
Es braucht nicht viel Mühe oder Online-Wissen, um die entsprechenden Filmchen zu finden. Unter den Schlagwörtern "#druffen" oder "#ballern" posten junge Menschen Videos von ihren Trips – teilweise unterlegt mit harten Techno-Klängen oder Songs mit drogenverherrlichenden Texten. In den Kommentaren unter den Filmchen tauschen sich andere Nutzer und Nutzerinnen über ihre Drogenerfahrungen aus. "Was ballerstn?" fragt ein Nutzer unter einem Video, die Urheberin antwortet "Emma und Pepps", worauf eine weitere Nutzerin postet "Will auch, teilst du?" Da Tiktok die gängigen Schlagworte inzwischen gesperrt hat, weichen Nutzer auf Begriffe wie "Emma" oder "Tante Emma" aus, wenn sie MDMA meinen, oder "Pepp" beziehungsweise "Peter", wenn sie auf Amphetamine anspielen wollen. Beliebt sind auch Alternativformen, in denen die Vokale weggelassen werden, um so die Tiktok-eigenen Filter zu umgehen.
Videos erreichen junge Nutzer
Begleiterscheinungen des Drogenkonsums wie riesige Pupillen – Teller genannt – werden als Schönheitsideal fast schon idealisiert. Ein Nutzer fragt, warum die Pupillen bei einem jungen Mann in einem der Videos so groß seien, seine aber nicht. Der Rat eines anderen: "Einfach mehr nehmen." Für die Community, die unter diesen Videos kommentiert, scheint das alles normal zu sein. Man wünscht sich "einen guten Trip". Oder die Nutzer posten ganz direkt, dass sie jemanden brauchen, der ihnen ihren Stoff besorgen könne, oder jemanden suchen, mit dem sie "druffen" oder "ballern" wollen.
All das ist nur mit ein paar Klicks zugänglich. Einige Videos haben fast 10.000 Likes – also "Gefällt mir"-Klicks – erhalten. Tiktok hat weltweit etwa eine Milliarde Nutzer, in Deutschland sind es etwa 19 Millionen. Hauptsächlich nutzen junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren Tiktok. Laut Nutzungsbedingungen müssen App-Nutzer mindestens 13 Jahre alt sein, doch Jüngere können die App trotzdem installieren und nutzen. Liket man eines der Drogen-Videos, bekommen die tendenziell eher jungen Tiktok-Nutzer durch den Algorithmus immer wieder solche Videos in ihren Feed gespült. Die Doku berichtet von Jugendlichen, die mit zehn Jahren zum ersten Mal MDMA oder andere synthetische, harte Drogen genommen haben, weil sie bei Tiktok entsprechende Videos gesehen haben und es selbst ausprobieren wollten.
Der Schutz Minderjähriger liegt Tiktok laut der eigenen Community-Richtlinien besonders am Herzen. "Wir untersagen das Darstellen von, das Bewerben von und den Handel mit Drogen oder anderen kontrollierten Substanzen" ist dort zu lesen. Folglich verbietet Tiktok Inhalte, "in denen Drogen oder Drogenkonsum dargestellt oder beworben werden" ebenso wie Inhalte zum Erwerb von illegalen oder kontrollierten Substanzen.
Kein neues Phänomen
Die gezeigten Inhalte auf Tiktok seien furchtbar soweit sie Drogenkonsum verherrlichten, sagt die Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt Brema, Cornelia Holsten. "Solche entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte – und dazu gehört das Verherrlichen von Drogen genauso wie beispielsweise Gewaltdarstellungen – sind ein Verstoß gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und damit ein Fall für die Aufsicht." Aufgabe der Brema ist die Überwachung der gesetzlich bestimmten Programmgrundsätze, Jugendschutzbestimmungen und Werberegelungen im privaten Rundfunk sowie im Internet. Gleichzeitig, betont Holsten, sei Aufklärung sehr wichtig: "Kinder und Jugendliche, die Tiktok nutzen, aber auch ihre Eltern müssen wissen, welche Gefahren es auf Tiktok gibt – wie auf jeder anderen Social-Media-Plattform übrigens auch –, und dass sie dort auf rechtswidrige Inhalte stoßen können."
Für Oliver Peters, dem Referatsleiter für das Thema Suchtprävention im Bremer Landesinstitut für Schule (LIS), ist das Phänomen, dass im Netz unterschiedliche Quellen zum Drogenkonsum anregen und Formen des Konsums erklären, nicht neu. "Gerade auf Tiktok werden gefilmte Selbstinszenierungen zum Drogengebrauch gezeigt. Wir gehen davon aus, dass diese Filme einen kritischen Gebrauch von Drogen unterlaufen", sagt er. Diese Videos erreichen seiner Ansicht nach oft nur eine kleine Zielgruppe, die für eigene Experimente offen sei. Inwiefern die Tiktok-Filme verstärkt auf andere Gruppen wirkten, könne man vonseiten des LIS nicht mit Zahlen belegen. Peters sagt: "Unsere suchtpräventiven Veranstaltungen sind besonders wichtig, um die Gruppe derer, die unentschlossen zur Frage des Gebrauchs oder Experimentierens mit Drogen ist, zu erreichen." Man wolle Jugendliche darin bestärken, eine andere Entscheidung zu treffen.