Keiner ist im Straßenverkehr vor Unfällen mit schweren Folgen gefeit. Diese Erfahrung musste Claudia Hallensleben im September 2019 auf ihrem Heimweg aus dem Büro am Wall nach Borgfeld machen. Durch das "unglückliche Zusammentreffen an einer ganz unglücklichen Stelle", wo ein Baum und Glascontainer die Sicht auf einen entgegenkommenden Radler versperren, ist sie bei ihrem Ausweichmanöver gegen eine dicke Eiche geprallt und hat sich schlimme Prellungen am Oberschenkel, ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Beule am Kopf und einen schweren Schlüsselbeinbruch zugezogen.
Seither legt die Referatsleiterin des Präventionszentrums der Polizei Bremen noch mehr Augenmerk auf Achtsamkeit beim E-Bike, Pedelec und E-Scooter fahren. Es hat die 55-Jährige selbst überrascht, wie unverhofft und schlimm es sie auf dem Radweg in der Parkallee gegenüber vom Hotel "Zur Munte" erwischte.
Denn zu einem hat Claudia Hallensleben durch ihren Beruf täglich die Gefahr durch falsch eingeschätzte Geschwindigkeit und ein anderes Fahr- und Bremsverhalten von E-Bikes vor Augen. Zum anderen hat sich die Polizeihauptkommissarin relativ sicher im Sattel gefühlt, weil sie zum Unfallzeitpunkt bereits drei Jahre lang mit ihrem Pedelec unterwegs gewesen ist. Darüber hinaus wusste sie aus Erfahrung, dass dieser Radweg ab dem Polizeirevier Schwachhausen immer stark frequentiert ist. "Da muss man unglaublich vorsichtig fahren", fügt die Borgfelderin hinzu.
"Glücklicherweise hatte ich einen Helm auf", meint Hallensleben rückblickend. Der ist durch den Aufprall an einer Seite sogar durchgebrochen. "Er hat Schlimmeres verhindert", weiß sie.
Der ihr entgegenkommende Radler sei etwa 18 Stundenkilometer schnell gefahren und in den Bereich der Wiese ausgewichen. Er sei körperlich mit ein paar Schrammen davon gekommen und habe ihr sofort geholfen. "Wir haben uns beide erschreckt und eine Vollbremsung gemacht", erinnert sie sich.
Weil es sich um einen Verkehrsunfall handelte, hat Claudia Hallensleben auch den polizeilichen Notruf 110 gewählt. Wegen der "Sichtblockade" gibt es rechtlich keinen Unfallverursacher. Das haben ihr zufolge die Ermittlungen ergeben. Folglich mussten beide für ihren Sachschaden selber aufkommen. "Wir hatten beide einfach nur Pech."
Claudia Hallensleben schätzt, dass sie mit dem Pedelec zum Unfallzeitpunkt etwa Tempo 25 gefahren ist. "Ich glaube, man gewöhnt sich einfach daran", sagt sie. "Und das führt dazu, dass man die eigene Geschwindigkeit und den Schub beim Antritt unterschätzt – vor allem an unüberschaubaren Ecken." Sie ist sich sicher: Selbst wenn sie langsamer unterwegs gewesen wäre, wäre es zum Zusammenprall gekommen.
Dieses einschneidende Erlebnis sei für sie sehr lehrreich gewesen, gesteht sie. Sie sei immer unglaublich gerne mit dem Rad gefahren. Nach ihrem Unfall habe sie sich aber regelrecht überwinden müssen, um wieder auf den Sattel zu steigen. Konsequenz habe sie gezogen. "Ich versuche, vorausschauender zu fahren, die Reaktion anderer Verkehrsteilnehmer zu erahnen und bin bremsbereiter", sagt sie.
Eine weiter Folge des Unfalls: Claudia Hallensleben beobachtet andere E-Bike-Fahrende deutlich aufmerksamer. "Ich muss häufig feststellen, dass sie das Rad nicht beherrschen", erzählt sie. "Wer vorne zu stark bremst, sorgt nur dafür, dass das Rad hinten hochkommt." Und bei Feuchtigkeit, wenn nasses Laub auf der Straße liege, seien glatte rote Klinker unglaublich schlüpfrig und gefährlich.
Ältere Menschen, die E-Bike oder Pedelec fahren, hält die Leiterin des polizeilichen Präventionszentrums für besonders sturzgefährdet. Sie würden in einer Schrecksekunde womöglich die falsche Bremse bedienen oder könnten nicht so einfach mehr Gleichgewicht halten. Kritisch betrachtet sie die Entwicklung, dass sich viele Senioren ein E-Bike anschaffen, obwohl sie jahrelang nicht mehr Rad gefahren sind. Da würde es einfach an praktischer Erfahrung mangeln, findet sie. "Das ist so, als würden sie sich auf ein Motorrad setzen und gleich auf die Autobahn fahren."
Deshalb gibt Claudia Hallensleben allen Menschen, die sich ein E-Bike oder E-Tretroller kaufen, einen Tipp: "Suchen Sie sich eine verkehrsberuhigte Straße oder einen Parkplatz, um vorsichtig bremsen und Kurven fahren zu üben" – für die eigene Sicherheit. Und die der anderen Verkehrsteilnehmer.