Corona-Impfungen mit neuem, auf aktuelle Virus-Varianten angepassten Impfstoff finden wenig Interesse. Bundesweit haben laut Robert Koch-Institut bislang 1,25 Prozent der Bevölkerung von dem jüngsten Biontech-Präparat Comirnaty Omicron XXB.1.5 Gebrauch gemacht. Das sind rund eine Million Impfstoffdosen. Der angepasste Impfstoff steht offiziell seit 18. September zur Verfügung.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Auffrischung vor allem Personen, die 60 Jahre oder älter sind. Weil das bundesweit auf etwa 30 Prozent der Bevölkerung zutrifft, haben daher höchstens fünf Prozent der infrage kommenden Menschen einen erneuerten Immunschutz gegen das Coronavirus. Tatsächlich dürften es nach Einschätzung des Epidemiologen Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (Bips) an der Uni Bremen weniger sein, weil die erneute Impfung auch für zahlreiche Menschen mit Vorerkrankung oder erhöhten beruflichen Ansteckungsrisiken empfohlen wird.
Zeeb hält die Auffrischungen für sinnvoll, auch wenn sie die Infektion selbst wohl nicht verhindern. „Aber wir wissen, dass schwere und lange Verläufe damit unwahrscheinlicher werden.“ Er hält darum eine erneute Impfkampagne für geboten. Man bleibe nach rund sechs Wochen mit den Corona-Impfungen hinter den Zahlen zurück, die bei Grippe-Impfungen zu diesem Zeitpunkt gewöhnlich erreicht sind. „Dass sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach medienwirksam den Ärmel hochkrempelt und mit Spritze fotografieren lässt, reicht nicht als Kampagne“, meint Zeeb.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei einer Corona-Auffrischung.
Auch die Zeit, in der Bremen mit den bundesweit höchsten Corona-Impfquoten auffiel, gilt nicht für die aktuellen Auffrischungen. Zwar liegt die Quote bei rund 10.000 verabreichten Impfdosen mit 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung über dem Bundesdurchschnitt. Mehrere andere Bundesländer weisen aber höhere Anteile aus. Zeeb verweist zudem auf die knapp 190.000 Bremer Einwohner, die älter als 60 sind. „Es bleibt eine große Diskrepanz zwischen verabreichten und möglichen Impfungen.“
Zugleich sei richtig, dass die Ausgangslage eine völlig andere sei als zu Beginn der Pandemie. „Durch vorhergehende Impfungen und inzwischen viele durchgemachte Infektionen ist eine Grundimmunisierung der Bevölkerung erreicht.“ Kaum jemand begegne dem Virus noch völlig schutzlos. Der Erreger „mutiert aber weiter lustig vor sich hin“, so Zeeb. Er vermutet, dass jährliche Auffrischungen mit jeweils modifizierten Vakzinen – ähnlich wie bei der Grippe – auf absehbare Zeit sinnvoll bleiben.
Laut Holger Schelp, Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbandes, könnten die niedergelassenen Ärzte problemlos mehr Impfungen verabreichen. „Es sind die Patienten, die sich nicht dazu entschließen wollen“, sagt der Huchtinger Hausarzt. Jeder zweite, dem er und seine Kollegen die Impfung empfehlen, entscheide sich dafür, noch abzuwarten, berichtet er. „Ich hatte gerade eine Unterhaltung mit einem 90-Jährigen, der mich sogar selbst auf die Impfung angesprochen hat, sich aber auch durch meinen Hinweis auf seine schwere Erkrankung im vorigen Jahr nicht überzeugen ließ.“
Laut Schelp werde Corona von den meisten nicht oder vielleicht nicht mehr als bedrohlich empfunden. Die erreichte Grundimmunisierung der Bevölkerung wirke tatsächlich abmildernd. „Wir können nicht mehr seriös behaupten, durch 1000 Impfungen könnten soundsoviele Todesfälle verhindert werden“ sagt Schelp. Das wäre aus seiner Sicht ein starkes Argument. Das weiterhin bestehende Risiko eines schweren Verlaufs sei demgegenüber offenbar zu abstrakt, um als Begründung für die Auffrischung auszureichen.
Hinzu komme die geringere gesellschaftliche Aufmerksamkeit. „Als es mit den Impfungen losging, war die Botschaft pro Impfung eindeutig dominierend.“ Inzwischen beobachte er gelegentlich eine Skepsis, der keine öffentliche Kommunikation mehr entgegensteht. „Viele Russischstämmige in Huchting, die sich aus russischen Fernsehsendern informieren, sind von der Schädlichkeit der Impfungen fest überzeugt“, so Schelp.
Er und viele seiner Kollegen setzen auf eine langfristige Strategie. „Wir können das ganze Jahr impfen und werden die dafür infrage kommenden Patienten auch immer mal wieder darauf ansprechen“, sagt Schelp. Es sei für die einzelne Praxis zudem entlastend, wenn Impfungen nicht immer gehäuft in Wellen vorgenommen werden müssten. „Ich möchte dahin, dass Corona-Auffrischungen als gewöhnliche ärztliche Maßnahme empfunden werden.“