Johanna Zimmermann besitzt mit ihrer Familie ein Stück Wald in der Nähe von Bremen. Wie so oft in ihrer Freizeit war sie auch an einem Wochenende im Juni vergangenen Jahres mit Arbeiten in dem Waldstück beschäftigt. "Das ist für mich nicht nur ein Ausgleich zum Alltag in der Woche, sondern eine große Leidenschaft", sagt die Bremerin. "In der Natur zu sein, egal bei welchem Wetter, ist einfach großartig."
Zwei Tage nach dem Wochenende bemerkt sie einen winzigen Knubbel auf der Haut am Rücken – eine Zecke, wie sich herausstellt. Mit Unterstützung entfernt sie die Zecke. Vermutlich hat sie das blutsaugende Insekt aus dem Wald mitgebracht. "Wir passen auf, suchen regelmäßig die Haut ab, wenn wir aus dem Wald zurückkehren, weil wir um die Infektionsrisiken wissen", sagt die 34-Jährige. "Insgesamt hatte ich bestimmt schon um die 40 Zeckenstiche, die glücklicherweise folgenlos geblieben sind."
Einstichstelle mit einem Stift markiert
Etwa zwei Wochen später bemerkt Johanne Zimmermann, dass die Haut um die Einstichstelle gerötet ist und schmerzt. Wie bei früheren Zeckenstichen hatte sie die Stelle mit einem Stift markiert, um sie wegen möglicher Veränderungen im Blick zu behalten. "An einem Abend habe ich Fieber bekommen, nicht hoch, etwa 37,5 Grad. Das hielt nur kurz an. Es fühlte sich wie ein Infekt an, ich hatte Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Übelkeit und ein Frösteln", berichtet Johanna Zimmermann. Auch ihre Ärztin habe – zunächst – keinen Zusammenhang mit dem Zeckenstich erkennen können.
Der Zeckenstich sei nach und nach in Vergessenheit geraten. Gegen Ende September habe sie sich schließlich immer erschöpfter gefühlt. "Ich dachte, dass dies noch die Nachwirkungen einer Corona-Infektion sind", schildert die 34-Jährige. "Dann kamen ganz seltsame Beschwerden dazu: Mein Herz fühlte sich an, als ob es zittert. Vielleicht Stress, dachte ich. Aber: Ich hatte kein gutes Gefühl dabei." Weil das "Zittern", körperliche Erschöpfung und das ungute Gefühl nicht verschwinden, geht Johanna Zimmermann erneut zu ihrer Ärztin – an den Zeckenstich habe sie dabei nicht mehr gedacht. Ein EKG zeigt einen schwerwiegenden Befund am Herzen. Mit einem Rettungswagen wird die 34-Jährige in die Notaufnahme des Rotes Kreuz Krankenhauses in der Bremer Neustadt gefahren. Johanna Zimmermann ist ein Notfall.
Die Ärzte stellen einen sogenannten AV-Block fest, zunächst ersten, später zweiten und dritten Grades. Die elektrische Reizleitung im Herzen ist gestört. Das Herz schlägt nur noch sehr langsam. "In diesem Stadium hätte es zu einem Herzstillstand kommen können", sagt Konstantin Schraepler, Kardiologe und Oberarzt an der Klinik. "Patienten mit der schwersten Form benötigen in der Regel einen Herzschrittmacher. Es sei denn, es gibt einen Auslöser, der ursächlich behandelt werden kann."
Seltene Form der Borreliose
Auch eine Covid-Infektion könne das Herz schädigen, die Untersuchungen hätten dies jedoch ausgeschlossen, ebenso andere mögliche Ursachen. Bis Johanna Zimmermann der Zeckenstich, die Hautrötung und die Symptome wieder einfallen, die sie für einen Infekt hielt. Sie zeigt dem Arzt Handy-Fotos von der Rötung rund um die Einstichstelle. "Als wir von dem Zeckenstich erfahren haben, hat alles zusammengepasst", sagt Schraepler. "Alles deutete auf eine Lyme-Karditis hin, eine relativ seltene Form einer Borreliose, die das Herz betrifft. Ausgelöst durch den Zeckenstich."
Zecken können Erreger von Infektionskrankheiten übertragen: Viren, die eine Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), eine Entzündung des Gehirns und der Hirnhäute, hervorrufen. Und Bakterien, die eine Borreliose (Lyme-Krankheit) auslösen können. Zu den möglichen Folgen einer Borrelien-Infektion gehören Gelenkentzündungen, Schäden an Haut, Nerven und dem Herzen. Eine Lyme-Karditis äußert sich laut dem Robert Koch-Institut (RKI) meist in Form von Reizleitungsstörungen (AV-Block wechselnden Grades). Unbehandelt sei eine Lyme-Karditis potenziell tödlich verlaufend, heißt es.
Wanderröte als Anzeichen
"Im Nachhinein scheint klar zu sein, dass es sich bei der Hautveränderung um eine Wanderröte gehandelt hat", sagt Schraepler. "Damals war das wahrscheinlich nicht ganz einfach zu beurteilen, weil die Hautveränderung wohl nicht besonders deutlich ausgeprägt war." Eine Wanderröte (Erythema migrans) als Anzeichen einer Borreliose entwickelt sich laut RKI in etwa 90 Prozent der Fälle. Dabei handelt es sich um eine mindestens fünf Zentimeter große ringförmige Hautrötung um den Zeckenstich, die üblicherweise in der Mitte blasser ist als am Rand und sich langsam nach außen verbreitet, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Eine Wanderröte entwickele sich drei bis 30 Tage nach dem Zeckenstich im Bereich der Einstichstelle, könne aber auch an anderen Stellen wie Beinen, Kopf oder Hals, auftreten. Fieber, Lymphknotenschwellungen, Muskel- und Gelenkschmerzen seien im weiteren Verlauf der Erkrankung zusätzlich möglich.
"Ein Fehlen dieser Hautrötung schließt aber eine Borrelien-Infektion nicht aus", warnen die Experten des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts in einem Flyer. Und: "Da eine Wanderröte auch bei Fehlen von Allgemeinsymptomen immer beweisend für eine Borrelien-Infektion ist, muss bereits bei Vorliegen dieser Hauterscheinung ärztlicher Rat gesucht und eine gezielte antibiotische Behandlung durchgeführt werden."
Behandlung mit Antibiotika
Die Lyme-Karditis wird ebenfalls mit Antibiotika behandelt. Die Therapie schlägt bei Johanna Zimmermann sehr schnell an. Das Herz erholt sich, gerät wieder in einen normalen Takt. "Das hat die Diagnose Lyme-Karditis für uns noch einmal bestätigt", sagt Schraepler. "Der Zeckenstich war der wichtige Hinweis, der uns auf die Spur gebracht hat." Nach sieben Tagen kann die 34-Jährige die Klinik verlassen.
Johanna Zimmermann hat demnächst wieder einen Kontrolltermin bei einem Kardiologen. "Bisher war alles in Ordnung, keine Auffälligkeiten", sagt sie. Ihr sei es wichtig, auf die möglichen Folgen eines Zeckenstichs aufmerksam zu machen – auch wenn diese, wie bei der Lyme-Karditis, eher selten auftreten. "Man unterschätzt das", sagt sie. "Folgeerkrankungen und Beschwerden treten oft erst Wochen oder sogar Monate später auf. Dann hat man den Zeckenstich, sofern man ihn bemerkt hat, wahrscheinlich schon wieder vergessen. Die Vorstellung, einen Herzschrittmacher zu benötigen, hat mir ziemlich Angst gemacht", sagt die 34-Jährige. "Ich hoffe, dass ich mit meinen Erfahrungen dazu beitragen kann, dass mehr Menschen Zeckenstiche ernstnehmen."