Das Baby schläft nicht durch. Das Kleinkind steckt in der Trotzphase. Der Teenager will sich ab sofort vegan ernähren. Und wieder hält sich niemand an die besprochene Arbeitsteilung im Haushalt … Wenn es im Familienalltag drunter und drüber geht, kann die Lektüre eines Mamablogs eine Hilfe sein. Von der Schwangerschaft bis hin zum Auszug des erwachsenen Kindes schildern die Autorinnen in einem Internettagebuch, wie sie die Herausforderungen des Familienlebens meistern. „Bei den anderen läuft es auch nicht immer perfekt“, kann für Leserinnen und Leser eine beruhigende Erkenntnis sein.
„Es gibt im Internet rund 2000 deutschsprachige Elternblogs“, schätzt Alu Kitzerow. Als Organisatorin der Konferenz „Blogfamilia“ hat sie einen Überblick über die Szene. Fast immer sind es Mütter, die den Blog betreiben. Schreibende Väter sind seltener anzutreffen. Zahlreiche Leser halten dem Blog-Format trotz der wachsenden Konkurrenz durch die sozialen Medien wie Instagram die Treue. Die monatlichen Seitenaufrufe liegen teilweise im Hunderttausender-Bereich, und über die Kommentarfunktionen diskutieren die Leser fleißig mit. Und längst sind einige der Online-Tagebücher dem chronologischen Aufbau entwachsen und zu inhaltlich umfangreichen, redaktionell gestalteten Journalen geworden.
Im Mittelpunkt der Mamablogs stehen die Kernthemen rund ums Kind, etwa Geburt, Schlaf, Ernährung, Geschwisterstreit, Entwicklungsphasen, Krankheiten, Schule, Pubertät und Mediennutzung. Aber auch Lifestyle, Finanzen und Reisen kommen vor. Geschrieben sind sie aus verschiedenen Perspektiven: Alleinerziehende Mütter (Christine Finke: „Mama arbeitet“) bloggen ebenso wie Managerinnen einer Großfamilie (Marisa Hart: „Baby, Kind und Meer“). Und der Blog „Große Köpfe“ bietet gleich eine zweifache Sichtweise: Alu Kitzerow und ihr Mann Konstantin Manthey schreiben dort über ihr Leben mit drei Kindern in Berlin.
Medien mit großer Reichweite
Was lange den Ruf eines Hobbys von Müttern hatte, ist heute ein professionell betriebenes Medienangebot – und zum Teil ein lukratives Geschäft. Blogs mit hoher Reichweite sind für Marketingverantwortliche verschiedener Branchen interessant. Das nutzen die Bloggerinnen für sich, um ihre Arbeit über Werbung oder Produkttests zu finanzieren. „Die Verdienstmöglichkeiten sind durch die Zunahme an Bewegtbildern wie auf Tiktok, Instagram und Twitch gewachsen“, sagt Kitzerow.
Zu den Mamablogs mit den höchsten Follower-Zahlen zählt „Stadt, Land, Mama“ von Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim. Die beiden Mütter – eine wohnt mit Mann und vier Kindern in Berlin, die andere mit Mann und drei Kindern im Bergischen Land – sind ausgebildete Journalistinnen. Seit der Gründung im Jahr 2012 habe sich der Blog inhaltlich sehr verändert, erzählt Harmann rückblickend. Zu Beginn ging es meist um Familienanekdoten, heute sei ihr Blog ein Online-Magazin, das „die Mutterschaft in all ihren Facetten beleuchtet und vor allem all jenen eine Stimme gibt, die sonst vielleicht nicht gehört worden wären,“ sagt sie.
„Von ‚Papa ist jetzt eine Frau‘ bis hin zum Schicksalsschlag oder Erziehungs-Fails ist alles dabei.“ Mehr als eine Million Seitenaufrufe pro Monat und 85.000 Facebook-Abonnenten zeigen, dass sie den Nerv ihrer Zielgruppe treffen. „Mit Instagram haben wir recht spät begonnen, da kratzen wir grad an der 30.000er-Marke“, berichtet die Bloggerin weiter. Mit sechs publizierten Artikeln pro Woche sei die Arbeit für beide Autorinnen phasenweise ein Vollzeitjob. Nebenher arbeiten sie weiter als Journalistinnen und schreiben Ratgeberbücher, zum Beispiel die Reihe „Wow Mom“, die im S. Fischer Verlag erscheint.
Pädagogisches Wissen wird geteilt
Die Diplom-Pädagogin Susanne Mirau hat ihren viel beachteten Blog „geborgen_ wachsen“ ebenfalls 2012 gegründet. Sie schreibt dort gemeinsam mit Gast-Autorinnen über Elternschaft und kindliche Entwicklung. Ihr Interessenschwerpunkt liegt im Bereich Bindung und bedürfnisorientiertes Familienleben. Die Webseite liefert darüber hinaus Anregungen für gemeinsame Kreativität sowie ein nachhaltiges Familienleben und enthält einen Online-Shop, in dem auch Miraus Bücher zu finden sind. Die „geborgen_ wachsen“-Community umfasst rund 100.000 Follower auf Facebook und 130.000 auf Instagram.
Mit monatlich mehr als 900.000 Seitenaufrufen gehört auch der Blog „Gewünschtestes Wunschkind“ von Danielle Graf und Katja Seide zu den Szenegrößen. Die ausgebildete Sonderpädagogin Seide und die Rechtsökonomin Graf schreiben über Themen aus den Gebieten Babyausstattung, Entwicklungsphasen, Ernährung, Erziehung, Gesundheit und Recht und erreichen damit mehr als 50.000 Abonnenten auf Facebook und über 40.000 Instagram-Follower. Ihre Ratgeber rund um „Das gewünschteste Wunschkind“ erscheinen im Beltz-Verlag und zählen zu den Bestsellern. Zudem sind die beiden Autorinnen mit einem Podcast und einer Kinderbuchreihe erfolgreich. Zwei der größten Mamablogs werden somit von Pädagoginnen betrieben – Erziehungstipps von Experten sind gefragt.
Gesellschaftspolitische Themen in Mamablogs
Wenn sich die Elternblogger-Szene zur jährlichen Konferenz „Blogfamilia“ trifft, zeigt sich deutlich, dass die Arbeit für viele von ihnen weit mehr ist als ein Zeitvertreib. In Workshops und beim Erfahrungsaustausch geht es um das professionelle Arbeiten mit digitalen Formaten sowie Möglichkeiten von Kooperationen mit Unternehmen und Institutionen. Immer wieder spielen auch gesellschaftspolitische Themen eine Rolle. So standen bereits Kinderrechte, Care-Arbeit oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf der Agenda, erläutert Kitzerow. „Viele Elternblogger bringen konkrete Anliegen ein,“ betont sie und verweist auf die Bundestags-Petition der Journalistin und Bloggerin Anne Dittmann zur Kindergrundsicherung im Sommer 2023.
Welche Richtung die Mamabloggerinnen auch einschlagen, lesenswert seien sie insbesondere dann, „wenn sie die Realität spiegeln und mir das Gefühl geben, nicht allein zu sein“, sagt Kitzerow. Denn genau deshalb würden die meisten Eltern im ersten Erziehungsjahr online in den Austausch einsteigen: weil sie sich allein fühlen und Anschluss suchen.