Dass der Fußball ein schnelllebiges Geschäft ist, dürfte keine wirklich neue Erkenntnis sein. Teilweise können wenige Augenblicke während eines Spiels zwischen purer Freude und großer Enttäuschung entscheiden. Wie schnell sich die Gesamtsituation und Stimmung rund um den SV Werder Bremen in den vergangenen anderthalb Wochen allerdings gedreht hat, ist dennoch bemerkenswert. Noch einen Tag vor dem Spiel gegen Bayer 04 Leverkusen wirkte die Mannschaft aufgrund vieler Verletzungen arg gebeutelt. Mit Yukinari Sugawara und Isaac Schmidt waren zwar gerade erst die dringend benötigten Außenverteidiger verpflichtet worden, vom herbeigesehnten neuen Mittelstürmer fehlte allerdings noch jede Spur. Das ist mittlerweile anders: Mit der Leihe von Victor Boniface ist den Bremer Verantwortlichen kurz vor Transferschluss ein Ausrufezeichen gelungen – vorausgesetzt, der nigerianische Angreifer bleibt gesund. Zudem brachte die couragierte und kämpferische Leistung der jungen Mannschaft beim Comeback gegen Leverkusen (3:3) neue Zuversicht ins Bremer Umfeld. Aus Abstiegssorgen sind schnell wieder Träumereien nach Größerem geworden.
Trotz des neuen Optimismus sind die Wochen und Monate zuvor nicht spurlos an der Mannschaft und den Verantwortlichen des Vereins vorbeigegangen, zu turbulent verlief der Sommer. „Wir hatten schon einige Widerstände zu überwinden, dafür, dass die Saison noch so jung ist“, merkt Werders Leiter Profifußball Peter Niemeyer im Gespräch mit unsererDeichstubee an - und betont: „Die vielen Ausfälle und zum Teil schweren Verletzungen, das Pokal-Aus, die allgemein angespannte Stimmung im Umfeld und die Diskussionen über Zu- und Abgänge – das macht etwas mit einer Mannschaft.“
Zur Wahrheit gehört dabei: Natürlich sind einige Probleme auch hausgemacht gewesen. So etwa pokerten die Verantwortlichen in der Sturmzentrale zu lange auf eine Rückkehr von André Silva, sodass zum Saisonstart trotz des Abschieds von Marvin Ducksch kein Ersatz bereitstand. Auch die schwere Auslosung im DFB-Pokal mit dem Auswärtsspiel in Bielefeld stand frühzeitig fest, sodass der Termin eigentlich als perfekter Ausgangspunkt hätte gelten können, um die Mannschaft beisammenzuhaben. Es kam bekanntlich anders. Fakt ist aber auch, dass durch die vielen, teilweise schweren Verletzungen von Leistungsträgern wie Mitchell Weiser, Jens Stage oder Neuzugang Maximilian Wöber viel eingeplante Qualität wegbrach. Und das Geld, diese sofort eins zu eins zu ersetzen, hat Werder derzeit nicht – das zeigen nicht zuletzt die insgesamt sechs Leihen in der gerade abgelaufenen Transferphase. Besonders, da es auch diesmal keinen wirklich ertragreichen Verkauf gab.
Es ist wieder Ruhe im Verein eingekehrt
Vieles deutete also schon früh am Osterdeich auf eine lange und schwere Saison hin. Wäre dieses Geschäft eben nicht manchmal doch so schnelllebig. „Inzwischen hat sich das Momentum wieder zum Positiven verschoben“, sagt Niemeyer und erklärt: „Der späte Ausgleich gegen Leverkusen, der Auftritt der Mannschaft in Unterzahl, die Transfers und auch die Tatsache, dass gerade Länderspielpause ist, haben dazu beigetragen.“ Es ist wieder deutlich mehr Ruhe eingekehrt beim SV Werder – ein Umstand, den der Verein nach einem kräftezehrenden Sommer mit einem Trainerwechsel und insgesamt 19 Transferbewegungen (ohne die jungen Talente wie Karim Coulibaly oder Patrice Covic eingerechnet) dringend gebraucht hat. Und der nun für eine positive Saison genutzt werden soll.
„Darauf wollen wir jetzt aufbauen“, betont der 41-Jährige und sieht im Ende des Transfersommers eine große Chance für Werder. „Die Karten sind jetzt gelegt, für jeden in der Mannschaft und drumherum ist die Situation klar. Das wird den Spielern guttun. Durch die Neuzugänge ist neue Energie in die Gruppe gekommen, was uns nach vorne bringen wird.“ Doch nicht nur die Neuzugänge, sondern auch die bevorstehende Rückkehr von verletzten Führungsspielern wie Kapitän Marco Friedl oder Jens Stage wird dafür sorgen, dass sich nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität an der Weser wieder merklich anhebt. Zudem sind mit Frankfurt und Leverkusen bereits zwei Champions-League-Teilnehmer bespielt worden, auch wenn die kommenden Aufgaben – auswärts in Gladbach, zuhause gegen Freiburg und danach auswärts beim FC Bayern – ebenfalls anspruchsvoll sind.
Doch bei Werder sind Mut und Zuversicht zurück, dass es möglicherweise doch keine Saison ums nackte Überleben werden muss. Ohne dabei sofort größere Töne anzuschlagen. Ein Mann, der auch während der schwierigen vergangenen Wochen zumindest öffentlich stets positiv blieb, ist Cheftrainer Horst Steffen. Zwar machte auch Steffen zwischenzeitlich aus seinem Wunsch nach Neuzugängen keinen Hehl, ein Gejammer über die späten Transfers oder die vielen Verletzungen war von ihm aber nie zu hören. Ganz im Gegenteil: Steffen versuchte stets, bei seinen Aufgaben zu bleiben, konzentrierte sich auf die Arbeit mit seiner Mannschaft und vertraute den jüngeren Spielern im Kader, wie beispielsweise Coulibaly gegen Leverkusen.
Dass der neue Cheftrainer trotz der vielen Baustellen und des wachsenden Drucks von Fans und Medien so cool und fokussiert blieb, ist ein Umstand, den man innerhalb des Weserstadions ganz besonders wertzuschätzen weiß. „Mich beeindruckt es sehr, wie Horst die schwierigen äußeren Umstände ausgeblendet und fokussiert weitergearbeitet hat. Das ist eine große Stärke von ihm“, lobt Niemeyer. Eine Eigenschaft, auf die die Bremer auch in den kommenden Wochen setzen wollen – dann allerdings aus einer deutlich komfortableren Position heraus. Denn der ganz große Druck ist erstmal weg, zumindest für ein paar Tage. Schließlich steht der neuen Bundesliga-Saison gerade erst der dritte Spieltag bevor. Und wie schnell im Fußball die Stimmung wieder umschlagen kann, davon kann man bei Werder nach diesem Sommer ein Lied singen.