Herr Fuchs, OHB hat 1994 mit Bremsat einen der ersten deutschen Kleinsatelliten gebaut. War Ihnen damals schon klar, wo OHB heute stehen wird?
Marco Fuchs: Der Bremsat für das Zarm war damals der Start für uns, ganze Satelliten zu bauen. Wir haben nicht mehr nur für andere Projekte zugeliefert und uns so zu einem Systemhaus entwickelt. Das war meinem Vater immer sehr wichtig, nachdem er in die Firma eingestiegen war. Er wollte immer komplette Dinge machen. Was danach kam, war aber nicht abzusehen.
Ihr Auftragsbestand liegt bei mehr als zwei Milliarden Euro, die Aktie hat dieses Jahr um 70 Prozent zugelegt, und auch Ihr Ergebnis ist gestiegen. Überrascht Sie das Tempo manchmal, mit dem es vorwärtsgeht?
Momentan schon. Wir hatten über Jahre einen kontinuierlichen Anstieg, der allerdings nicht besonders spektakulär war. Aber: Es gab eigentlich keine Phase, in der es auch mal bergab ging. Dieses Jahr hat mich die Entwicklung des Aktienkurses überrascht. Wir haben den dritten Auftrag für die Galileo-Satelliten gewonnen, im Frühling die Small-Geo-Satellitenplattform erfolgreich in Betrieb genommen und zuletzt den Auftrag für den Satelliten Heinrich Hertz bekommen. Dadurch hat auch die Skepsis abgenommen, und die Leute sehen, dass wir nachhaltig erfolgreich sind.
Raumfahrt ist momentan aber auch sehr präsent.
Früher war Raumfahrt in Sachen Industriestruktur und Mentalität mit Rüstungsprojekten vergleichbar. Das hat sich verändert, denn es gibt mittlerweile mehr Anwendungsmöglichkeiten und viel mehr Start-ups, die das Thema besetzt haben. Davon profitieren wir natürlich auch.
Hat auch Elon Musk mit SpaceX dazu beigetragen?
Auf jeden Fall. Früher galt die Nasa als Sprachrohr der Raumfahrt – eine Behörde, die die großen Programme aufgelegt hat. Leute wie Elon Musk sagen jetzt aber: „Hey, das können wir auch.“ Das hat für einen Wandel gesorgt, auch in Deutschland. Hier gab es lange keine so große Aufmerksamkeit für Weltraumthemen. Mittlerweile ist Raumfahrt aber wieder so cool wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Was beeindruckt Sie an Elon Musk?
Eine seiner größten Leistungen war der Mut zu sagen: „Ich baue jetzt auch Raketen.“ Dafür hat er die Technologien genommen, die es schon gab, sie aber so zusammengesetzt, damit er das Optimum aus ihnen rausholen kann. Das ist die Quintessenz des Silicon-Valley-Denkens: Wenn ich erfolgreich sein will, brauche ich eine höhere Wertschöpfungsebene. Das sieht man auch am Beispiel Apple: Das iPhone ist eine der Innovationen, die von einem neuen Konzept ausgehen und nicht nur von neuen Technologien. Musk gibt den Dingen außerdem eine überbordende Story. Er baut Raketen, weil er sagt, dass er die dauerhafte Besiedlung des Mars ermöglichen will. Das ist eine große Geschichte. Um die zu erzählen, braucht man Mut. Denn wäre Musk nicht erfolgreich, würden ihn alle für einen Spinner halten. Er gibt seiner Arbeit einen größeren Kontext. Daraus ziehen viele der SpaceX-Mitarbeiter ihre Motivation. Bei uns ist das aber auch nicht so anders.
Wie schwierig ist es für Sie, neue Mitarbeiter zu finden?
Gute Leute sind begehrt und haben viele Chancen. Fast alle Luft- und Raumfahrtingenieure sind in Lohn und Brot, Arbeitslosigkeit gibt es in unserer Branche nicht. Deswegen müssen wir als Arbeitgeber attraktiv sein.
Wie macht sich OHB attraktiv?
Wir wollen den Leuten die Chance geben, spannende Sachen zu machen. Früher hat es gereicht, einen sicheren Job zu bieten. Heute sind die Menschen aber bereit, Ungewissheiten in Kauf zu nehmen. Das müssen sie auch, denn es ist unmöglich vorherzusagen, wie die Welt in fünf Jahren aussieht. Die Raumfahrt bietet da im Vergleich zu anderen Branchen sogar noch recht viel Stabilität und Sicherheit. Denn wir sind nicht nur IT und Lifestyle, es geht vielmehr auch um die große Physik und die großen Fragen des Seins. Die Physik funktioniert immer nach den gleichen Regeln. Das gibt den Leuten Halt und Orientierung.
Sie testen aber auch bestehende Grenzen aus, etwa mit dem Projekt Breakthrough Starshot, bei dem Hunderte Mini-Raumschiffe unser Sonnensystem verlassen sollen. Steckt da ein finanzielles Interesse hinter?
Das ist nur eine von mehreren Initiativen, bei denen wir mitmachen. Vor einiger Zeit hatten wir auch eine kleinere Mission zum Mond. Bei solchen Projekten weiß keiner, was am Ende dabei herauskommt. Genauso ist es ja auch bei der Marsstation von Elon Musk. Ob die sich am Ende lohnt, weiß keiner. Ich sehe das mehr als eine Übung, die das Weltbild der Menschheit verändern kann.
Spielen Visionen noch eine Rolle in der Raumfahrt?
Als ich ein Kind war, habe ich erwartet, dass der Mensch viel früher zum Mars fliegen wird. Im Grunde genommen ist nach der Mondlandung aber nicht mehr viel für die allgemeine Öffentlichkeit Spannendes passiert. Das liegt aber auch daran, dass sich das Umfeld geändert hat. Früher konnte ein US-Präsident festlegen, dass es eine Mondmission geben soll. Heute geht das nicht mehr so leicht. Ich finde aber, dass man einige Sachen einfach machen sollte, ohne auf die Kosten-Nutzen-Rechnung zu schauen. Raumfahrt kann so Sehnsüchte bedienen.
Welches Projekt würden Sie gern einmal umsetzen, fernab von kommerziellen Zwängen?
Ich finde es traurig, dass wir nicht mehr zum Mond zu fliegen, weil viele sagen, dass der Mensch ja schon mal da war. Dabei ist der Mond natürlich viel näher als der Mars, und es gäbe dort viele spannende Dinge zu entdecken und erforschen.
Die Europäische Kommission hat sich Anfang Oktober dafür entschieden, nochmals vier neue Galileo-Satelliten bei OHB in Auftrag zu geben. Was machen Sie besser als die Konkurrenz?
Dieser Erfolg ist in erster Linie unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verdanken, die mit enormer Expertise und großem Einsatz einfach überzeugende Satelliten konzipiert und gefertigt haben. Ich bin der Europäischen Kommission und der Esa sehr dankbar, dass sie OHB erneut das Vertrauen ausgesprochen haben und damit auf insgesamt 34 Satelliten erhöht haben. 14 Galileo-Satelliten aus dem Hause OHB konnten wir bereits beim Start in den Weltraum verfolgen – dies ist für mich immer wieder gleichermaßen faszinierend und motivierend, und daher freue ich mich auf alle weiteren Starts, mit denen unsere restlichen 20 Satelliten nach und nach an ihren Bestimmungsort gebracht werden.
Sie konzipieren in Luxemburg momentan eine Fertigungsstraße für Mikrosatelliten. Ist Wachstum auch in Bremen abzusehen?
OHB hat zwar eine Zeit lang keine neuen Gebäude hier gebaut, aber viele neue Leute eingestellt. Etwa 100 jedes Jahr. Bremen ist unser wachstumsstärkster Standort. Aber wie lange das noch so weitergeht, wird man sehen. Übrigens laufen in der MT-Aerospace-Halle am Bremer Flughafen bald die Arbeiten zur Komplettierung der Oberstufentanks für die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 an.
Im Sommer hat der US-Investor Guy Wyser-Pratte die Führungsstruktur von OHB heftig kritisiert; Sie haben einige Briefe hin und her geschrieben. Ist das Thema nun erledigt?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Thema ad acta gelegt hat. Meine Erwartung ist, dass die Debatte bis zur nächsten Hauptversammlung im Frühling weitergeht.
Die Fragen stellte Stefan Lakeband.