Herr Keller, Sie haben zwei Bücher geschrieben: eins über den Nahen und eins über den Fernen Osten. Was interessiert Sie am Orient und an Asien?
Volker Keller: Der Ferne und der Nahe Osten, seine Menschen, die Kultur und die Religionen faszinierten mich von Anfang an. Als ich 1983 spontan nach Indien gereist bin, hatte ich die Vorstellung, dass ich dort auf hochgeistige, erleuchtete Menschen treffe. Als ich vor Ort war, habe ich schnell bemerkt, dass ich eine idealistische Vorstellung hatte, denn die Bevölkerung war arm und daher ungebildet. Aber der Besuch in Indien war der Grund, warum ich zunächst Religionswissenschaften und später Theologie studiert habe. In Asien habe ich mir außerdem Yoga und die Zen-Meditation abgekuckt. Beides unterrichte ich auch hier.

Volker Keller ist Pastor in Vegesack und Bordgeistlicher.
Sie sind evangelischer Pastor in Vegesack und Dozent im Evangelischen Bildungswerk Bremen. Wie viel Religion steckt in den beiden Reisebüchern?
Die Religion spielt eine wichtige Rolle. Und Spaß an Religionsdialogen haben Menschen anderen Glaubens auch. In Indien werden Gäste häufig mit der Frage begrüßt: An welchen Gott glaubst du? Das kann schon mal irritieren. Mir ist es aber auch wichtig, den Lesern den Islam näherzubringen und zu zeigen, wie vielfältig er ist. Jordanien ist zum Beispiel hochinteressant. Dort kämpft der König um die Deutungshoheit des Islams und widersetzt sich mit seinem liberalen, humanistischen Verständnis den Vertretern des radikalen, politischen Islam.
Wenn man Ihr Buch liest, hat man das Gefühl, dass Sie nicht nur vor Ort sind, sondern auch immer etwas passiert. In Israel und Palästina bekommen Sie mit, wie am Tempelberg geschossen wird. Im Iran sind Sie Zeuge eines Totengedenkens. Im Golf von Aden beobachten Sie, wie ein Piratenangriff auf die „MS Amadea“ abgewehrt wird. Woran liegt es, dass Sie dort sind, wo etwas passiert?
Ich bin anscheinend in bestimmten Momenten an den richtigen Orten. Aber ich gehe auch oft dorthin, wo etwas los ist und wo es auch schon mal brenzlig werden kann. In Jerusalem war ich zum Beispiel am Damaskustor, einem der Zugänge ins muslimische Altstadtviertel. An diesem Ort fanden bereits viele Attentate statt. An diesem Ort treffen immer wieder Palästinenser und die israelische Besatzungsarmee aufeinander.
Dort sprechen Sie dann mit den Menschen?
Wenn Menschen stehen und sich ein Konflikt aufbaut, gehe ich dorthin und frage, was passiert ist. Und dann erzählen sie, was los ist. Man muss dann natürlich sehr offen sein und zuhören.
Kommt man überall mit den Menschen ins Gespräch?
Die Chinesen sind wenig kontaktfreudig. Ich vermute, dass das eine Mischung aus Scheu und Unsicherheit ist.
Und mit welchen Nationen fällt es am leichtesten, ins Gespräch zu kommen?
Die Amerikaner sind stets sehr offen. Und die Iraner, die außerdem ungemein gastfreundschaftlich sind. Ich kann mich nicht erinnern, dass man als Deutscher woanders auf der Welt so ein hohes Ansehen hat wie dort. Die Iraner verehren Adolf Hitler, weil er beide Völker, das Deutsche und das Iranische, den Ariern zugehörig definierte, und er gegen die Kolonialmacht Großbritannien kämpfte. Dahinter steht auch die Kränkung der Iraner, dass die Welt ihnen nicht beistand zum Beispiel im ersten Golfkrieg, als der Irak den Iran angriff. Hitler hätte uns geholfen, sagen sie. Wenn ich ihnen entgegne, dass die Nationalsozialisten Millionen Juden, Männer, Frauen und Kinder umgebracht haben, dann zucken sie die Schultern. Sie kennen oder interessieren sich nicht für den Holocaust.

Volker Keller: Naher Osten – Reisen im Morgenland von gestern. Reisebuch-Verlag, Plön. 391 Seiten, 22,50 Euro.
In ihrem ersten Buch „Naher Osten – Reisen im Morgenland von gestern“, das im Juli erschienen ist, geht es um orientalische Länder. Was gefällt ihnen dort?
Ich mag den orientalischen Zauber und die Kultur des Müßiggangs. Eigentlich bin ich kein Raucher, aber im Orient gehe ich regelmäßig in Shishabars und rauche eine Wasserpfeife. Man tut gar nichts, sitzt da, bläst den Rauch in den Raum und spricht wenig. Das kann man in Deutschland ruhig auch mal machen und lernen, abzuschalten und nichts zu tun.
In Ihrem zweiten Buch „Ferner Osten – Reisen im Morgenland von heute“, das im November erscheinen wird, beschäftigen Sie sich mit asiatischen Ländern. Was fasziniert sie dort?
Der Osten ist im Aufbruch, und das spürt man in Südkorea, Japan oder China. Die Menschen sind jung, dynamisch und wollen etwas schaffen. Singapur ist sicher, sauber und leistungsstark. Dieses Selbstbewusstsein strahlen die Menschen in diesen Ländern auch aus. Europa muss aufpassen, wenn es da mithalten will. Wenn man in China ist, verstehen die Menschen das westliche Misstrauen gegenüber Staatspräsidenten Xi Jinping nicht. Sie haben im Gegenteil das höchste Vertrauen in ihn. Daher kommt es auch nicht gut an, wenn unsere Politiker wie Lehrmeister auftreten.

Volker Keller: Ferner Osten – Reisen im Morgenland von heute. Reisebuch-Verlag, Plön. Erscheint im November.
In ihren beiden Büchern geht es nicht nur um schöne Reisen.
Meine Reisereportagen verstehe ich im Zusammenhang mit Bildung. Das ist mein Anspruch, und deshalb ist jedem Kapitel auch eine Landeskunde angeschlossen. In Indien geht es beispielsweise um die Themen „Viele Menschen, viele Götter, großer Reichtum, viel Armut“. Oder in China: „Gespräch mit Ju aus Schanghai: Chinesen verlangen Wohlstand und Sicherheit – nicht Demokratie“.
Was würden Sie Menschen raten, die in den Nahen oder Fernen Osten reisen?
Unvoreingenommenheit. Man sollte ohne Bewertung im Kopf reisen, offen sein und sich anschauen: Wie leben die Menschen dort, wie leben wir, und wo sind die Defizite.
Sie sind als Bordgeistlicher auf den Kreuzfahrtschiffen der „MS Europa“ und der „MS Amadea“ unterwegs. Der Vorwurf bei Kreuzfahrten lautet oft, dass die Passagiere nur vorgefertigte Unternehmungen mitmachen und eben nicht so offen sind.
Das sind Vorurteile. Das Drumherum ist organisiert, und man muss sich um nichts Äußeres kümmern, aber das gibt einem auch Freiheit. Mein Tipp für Menschen, die etwas erleben möchten, ist: Keine organisierten Landausflüge machen, sondern auf eigene Faust losziehen. Dann kann man an Orten verweilen und sich überraschen lassen. Das ist die Chance von Kreuzfahrt.

Die „MS Europa“ liegt in Shanghai. Der Blick geht auf das Wahrzeichen der Stadt, Oriental Pearl Tower im Stadtteil Pudong.
Sie haben aber auch als Bordgeistlicher festgestellt, dass die Passagiere offen sind.
Ich betreue die Bordkirche, biete Yoga und Meditation an, begleite Passagiere an Land, leite Gospel-Gottesdienste. Bei jeder Reise fange ich bei null an. Aber dann denken sich die Gäste wohl, dass sie mal in den Gottesdienst hereinkucken können. Dann wird es immer voller und enger. Man merkt, die Menschen wollen sich einlassen.