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An der Autobahnkapelle am Rasthof Dammer Berge halten Reisende inne und bleiben manchmal über Nacht Von der Überholspur zum Gebet

Die Autobahnkapelle am Rasthof Dammer Berge zwischen Bremen und Osnabrück ist ein Ort der Stille; ihre Tür ist niemals verschlossen. Während auf der nahen A1 täglich bis zu 50000 Fahrzeuge vorbeirasen, finden Reisende dort Ruhe. Josef und Else Rechtien schauen regelmäßig nach dem Rechten.
01.09.2013, 00:00 Uhr
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Von der Überholspur zum Gebet
Von Catrin Frerichs

Die Autobahnkapelle am Rasthof Dammer Berge zwischen Bremen und Osnabrück ist ein Ort der Stille; ihre Tür ist niemals verschlossen. Während auf der nahen A1 täglich bis zu 50000 Fahrzeuge vorbeirasen, finden Reisende dort Ruhe. Josef und Else Rechtien schauen regelmäßig nach dem Rechten.

Regenwasser hat sich auf dem Dach der Kapelle gesammelt. In einem Sturzbach ergießt es sich direkt vor der offenen Eingangstür und bildet tiefe Pfützen. Draußen unter dem Vordach liegen aufgeklappt zwei Regenschirme. Josef Rechtien schaut gen Himmel. Es schüttet aus Eimern. „Das muss ein Leck sein“, sagt er. „Wir bestellen besser den Dachdecker.“

Der 73-Jährige und seine Frau Else Rechtien schauen in der Autobahnkapelle am Rasthof Dammer Berge zweimal in der Woche nach dem Rechten. Else Rechtien hat frische Hortensienblüten aus dem Garten mitgebracht und sie in einer Vase vor den Altar gestellt. Dann füllt sie die Kerzen nach. Ihr Mann schüttet aus einer Plastikflasche Wasser in die Becken unter den Kerzenhaltern. Ein Eimer steht da, ein Besen lehnt an der Wand. In der Kapelle gibt es keinen Strom und auch kein fließendes Wasser. Deshalb müssen Rechtiens alles von zu Hause mitbringen. Sie haben es nicht weit, sie kommen aus Neuenkirchen-Vörden, das Auto parkt direkt vor der Tür.

Die Kapelle an der A1 zwischen Holdorf und Neuenkirchen/Vörden ist über die Ausfahrt zum Rasthof Dammer Berge aus beiden Richtungen der Autobahn zu erreichen. An der Ausfahrt steht ein Schild mit einer symbolischen Kirche darauf. Aus Bremen kommend muss man das Rasthofareal durchqueren. Ganz am Ende, kurz bevor es wieder auf die A1 zurückgeht, steht auf der rechten Seite die kleine Kirche. Breite Klinkerstufen führen zu ihr hinab. Dahinter Felder und ein Waldgebiet. Rechts ein Holztisch und Stühle.

Josef Rechtien weiß noch genau, wann die Kirche gebaut wurde, weil er damals als Maurer mitgewirkt hat. 1970 war das, als man auch das Brückenrestaurant „Dammer Berge“ direkt über der A1 errichtete. Eröffnet wurde die Kirche, die zur Pfarrgemeinde St. Bonifatius Neuenkirchen gehört, am 14. Juni 1970. Sie war die erste ökumenische Autobahnkapelle Deutschlands.

Die Kirche ist ein Rundbau mit einem Durchmesser von etwa neun Metern. Zur Straße hin gibt es keine Mauern, nur eine weite Fensterfront. Über die hohen Kiefern hinweg sieht man von dort noch die Spitzen der beiden roten Pfeiler des Brückenrestaurants. Im Inneren sind zwei Rundbänke in das Kalksandsteinmauerwerk eingelassen. Mittig und etwas erhöht platziert steht der Altar. Wie an einem runden Tisch gibt es nur gleichberechtigte Sitzpositionen, niemand im Raum wird bevorzugt oder benachteiligt. „Das Runde engt nicht ein“, betont Rechtien. An der weiß gestrichenen Wand mit bunten Fenstern hängt eine hölzerne Madonnenfigur. Sie hält schützend ihr Gewand über zwei Laster und ein Auto.

Die Kapelle am Rasthof Dammer Berge ist eine von 40 in Deutschland, die sich im 12000 Kilometer langen Autobahnnetz verteilen. Sie sollen zu Entspannung, Besinnung und Andacht einladen, heißt es auf der Homepage „autobahnkirchen.de“. Reisende sollen dort wieder zu sich finden, Sinne und Seele Ruhe tanken können. „Wer in Autobahnkirchen Rast gemacht hat, der fährt danach gelassener, rücksichtsvoller und sicherer“, heißt es weiter. Im Internet steht auch, dass im Jahr eine Million Menschen die Kapellen aufsuchen.

Wie viele es am Rasthof Dammer Berge sind, kann Josef Rechtien nicht beziffern. Täglich rauschen 50000 Autos und Lkws auf der Hansalinie, wie das Teilstück einer der längsten Autobahnen Deutschlands heißt, vorbei. Viele schreiben etwas in das Anliegenbuch, das aufgeklappt auf dem Altar liegt. An manchen Tagen sind es zwölf Einträge. Das Buch im Din-A-4-Format ist in vier bis fünf Monaten vollgeschrieben, sagt Josef Rechtien. Die meisten Eintragungen sind Dankesworte von Urlaubern. Aber es gibt auch andere: „Dank für die Rast vom Leben, vom Kampf, vom Nieankommen“, schreibt jemand am 27. Juli. Am 11. August ein Eintrag in Kinderschrift: „Oma soll nicht krankferden.“ – „Ich habe heute beschlossen, mein Leben zu ändern“, lautet ein weiterer Eintrag. Ein paar FC-Hansa-Rostock-Fans haben auf der Durchreise Halt gemacht und einen Aufkleber ihres Klubs ins Buch geklebt. „Bitte mach, dass es diesmal mit dem Dreier klappt“, steht darüber. Sie wurden erhört: Drittligist Hansa gewann an diesem Tag in Osnabrück mit 2:1.

Zwei Männer und zwei Frauen mittleren Alters betreten den Raum, setzen sich auf die Holzbank, jemand holt eine Thermoskanne heraus und schenkt den anderen dampfenden Kaffee ein. Was für ein Wetter heute. „Das ist gut, dass es regnet, der Boden braucht das“, sagt einer der Männer. Er wisse das, er sei ja Gärtner. Josef und Else Rechtien kommen gern ins Gespräch, wenn sie jemanden in der Kapelle antreffen. Nicht immer wollen die Menschen reden, auch das ist eine Erfahrung, die sie gemacht haben. Einmal, erzählt Rechtien, saß eine Frau auf der Bank, sie hat die ganze Zeit kein Wort gesagt. Ein anderes Mal hat eine Gruppe, die auf dem Weg zum Kirchentag nach Hamburg war, eine Andacht in der Kapelle gehalten. Oder die Moslems – „Weißt du noch?“ – , die auf dem Ziegelboden ihr Gebet gesprochen haben.

Im Juni ist der Tag der Autobahnkapelle. Dann kommen 30 bis 40 Menschen zum ökumenischen Gottesdienst zum Rasthof Dammer Berge. Die Tür ist niemals geschlossen. Jeder kann einkehren zu jeder Tages- und Nachtzeit. So wie der Reisende mit dem großem Rucksack, der seinen Schlafsack auf den Boden gelegt und dort geschlafen hat, erzählt Rechtien.

Es nieselt immer noch. Vor der Kapelle parkt ein silberner Golf. Drei junge Leute steigen aus, zwei schlendern rüber zur Raststätte. Der Fahrer stellt sich unter das Vordach der Kirche und raucht eine Zigarette. Kurzes Innehalten. Warten auf die anderen. Dann geht es weiter. Irgendwann muss man ja ankommen.

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