Neben dem Meter und der Sekunde gibt es noch andere wichtige internationale Basiseinheiten, darunter das Ampere für die elektrische Stromstärke, das Kelvin für die Temperatur und das Kilogramm für die Masse. Bei den Bemühungen, Maße und Gewichte international zu vereinheitlichen, spielten der Meter und das Kilogramm schon im 19. Jahrhundert eine große Rolle. 1889 fand die erste internationale Generalkonferenz für Maß und Gewicht statt. Sie hatte die Aufgabe, Prototypen für den Urmeter und das Urkilogramm zu bestätigen. Während der Meter inzwischen mithilfe einer Naturkonstante, nämlich der Lichtgeschwindigkeit bestimmt wird, ist der Prototyp des Urkilogramms noch immer das Maß der Dinge. Physiker arbeiten allerdings intensiv daran, dies zu ändern.
Das Urkilogramm wird in einem Tresor des Internationalen Büros für Maße und Gewichte in Sèvres bei Paris aufbewahrt. Andere Länder – so auch Deutschland – verfügen über Nachbildungen dieses Urkilogramms. Alle anderen Gewichte auf der Erde leiten sich von diesem Prototyp ab. Beim Urkilogramm handelt es sich um einen 39 Millimeter hohen Zylinder, dessen Durchmesser ebenfalls 39 Millimeter beträgt und der aus einer Platin-Iridium-Legierung besteht. Diese Metalle wurden gewählt, weil sie nicht vom Luftsauerstoff angegriffen werden und sich bei Temperaturänderungen nur wenig ausdehnen. Zur Sicherheit ist das Urkilogramm zudem durch mehrere Glasglocken vor äußeren Einflüssen geschützt.
Beim Vergleich mit Nachbildungen hat sich gezeigt, dass das Urkilogramm im Laufe der Zeit aus ungeklärten Gründen an Masse verloren hat, und zwar 50 millionstel Gramm. Seit vielen Jahren suchen Forscher nach Wegen, das Kilogramm auf andere Weise zu bestimmen und so den Prototyp überflüssig zu machen. Auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig engagiert sich auf diesem Gebiet. Sie arbeitet dabei mit Instituten in aller Welt zusammen. Im Mittelpunkt des Ansatzes der Physiker steht die sogenannte Avogadro-Konstante, die nach dem italienischen Physiker und Chemiker Lorenzo Romano Amedeo Carlo Avogadro (1776 bis 1856) benannt ist. Sie gibt an, wie viele Teilchen in einem Mol, das heißt einer bestimmten Menge eines Stoffes vorhanden sind. Das Problem hierbei: Die Konstante ist nicht genau bekannt. Um sie für die Definition eines Kilogramms nutzen zu können, müssen die Wissenschaftler sie zunächst genau bestimmen. Diesem Ziel sind sie im Laufe der vergangenen Jahre immer näher gekommen.
Für ihre Forschung nutzen die Experten Kugeln mit einer Masse von etwa einem Kilogramm, die aus einer bestimmten Variante von Silizium bestehen. Zur Bestimmung der Avogadro-Konstante müssen sie die Kristalleigenschaften des Materials messen und unter anderem Masse und Volumen der Kugel bestimmen. Ziel ist es, das Kilogramm schon in wenigen Jahren neu zu definieren.
Von Maßen und Messungen
W indenergieanlagen haben zum Teil Höhen von weit mehr als hundert Metern und enthalten riesige Bauteile wie Lager und Zahnräder. Wenn diese schadhaft sind und ausgetauscht werden müssen, bedeutet dies einen gewaltigen Aufwand. Entsprechend groß ist das Interesse, mögliche Qualitätsmängel bereits vor dem Einbau zu erkennen. Dabei helfen Messverfahren, wie sie an der Universität Bremen von den Mitarbeitern des Bremer Instituts für Messtechnik, Automatisierung und Qualitätswissenschaft entwickelt werden.
Auch wenn es früher nicht so genau zuging wie heute – das Messen hat in Bremen durchaus eine besondere Tradition. Ablesen lässt sich dies an der Rolandstatue auf dem Marktplatz. Als Längenmaß diente einst der Abstand zwischen den Kniespitzen der Statue, die sogenannte Bremer Elle. Wenn Bremer von einer Elle sprachen, meinten sie damit genau 55,372 Zentimeter. Überregional verbindlich war dieses Maß allerdings nicht. Unterschiedliche Städte hatten unterschiedliche Längenmaße. So hatte die Frankfurter Elle eine Länge von 54,73 Zentimetern. In Hamburg wiederum gab es eine kurze Elle mit 57,31 und eine lange mit knapp 69 Zentimetern. Ähnlich uneinheitlich sah es aus, wenn von einem Fuß die Rede war. Vor gut zwei Jahrhunderten entsprach ein Fuß in Bremen 28,94, in Wien hingegen 31,6 Zentimetern.
In Frankreich setzte sich nach der Revolution gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Wunsch nach einem einheitlichen Maßsystem durch. Als verbindliches Längenmaß sollte der Meter gelten. Um ihn zu bestimmen, bedurfte es allerdings einer Bezugsgröße, die die Experten jener Zeit im Erdumfang erblickten. Ein Meter wurde als ein Vierzigmillionstel des Erdumfangs definiert. Ein aus Platin gegossener Stab diente in Frankreich als Urmeter. Später stellte sich jedoch heraus, dass die zugrunde gelegten Messungen des Erdumfangs fehlerhaft waren.
Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfolgten viele Länder das Ziel, Maße und Gewichte international zu vereinheitlichen. Abgeschlossen sind die Bemühungen bis heute nicht, wie die aktuellen Versuche zeigen, das Kilogramm neu zu definieren. Physiker streben an, allen Einheiten Naturkonstanten zugrunde zu legen. Naturkonstanten sind physikalische Größen, von denen angenommen wird, dass sie immer gleich bleiben. Ein Beispiel für eine solche Konstante ist die Lichtgeschwindigkeit. Das Licht breitet sich im Vakuum nach heutigem Kenntnisstand stets mit einer Geschwindigkeit von 299 792,458 Kilometern pro Sekunde aus. Dies haben sich Experten bei der Bestimmung des Längenmaßes Meter zunutze gemacht. Seit 1983 wird die Länge eines Meters international mithilfe dieser Konstante bestimmt. Ein Meter (von griechisch „métron“ für Maß) ist demnach die Strecke, die das Licht im Vakuum während der Dauer von einer 299 792 458stel Sekunde zurücklegt.
Ohne genau zu wissen, was eine Sekunde ist, wäre allerdings auch dieses Maß wertlos. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein diente die Tageslänge als Ausgangspunkt, um die Dauer einer Sekunde zu bestimmen. Da die Erde sich an einem Tag beziehungsweise in 24 Stunden einmal um die eigene Achse dreht, wurde die Sekunde als der 86 400ste Teil eines Tages definiert. Das Problem dabei: Bei der Drehung der Erde gibt es Unregelmäßigkeiten, und die führen zwangsläufig dazu, dass der Planet sich nicht immer in exakt 24 Stunden einmal um sich selbst dreht. Hinzu kommt, dass die Tage ohnehin länger werden, weil sich die Erdrotation verlangsamt. Ursache ist ein Phänomen, das Wissenschaftler als Gezeitenreibung bezeichnen. Mit seiner Anziehungskraft sorgt der Mond dafür, dass die Erde abgebremst wird. Vor 400 Millionen Jahren dauerte ein Tag noch rund 22 Stunden.
Auf der Suche nach einer Alternative zur Definition einer Sekunde gelangten Forscher zu charakteristischen Vorgängen in Atomen. Seit 1967 dienen solche Vorgänge in Cäsiumatomen als offizielle Grundlage für die Bestimmung der Dauer einer Sekunde.
Zu den Eigenschaften von Atomen gehört, dass sie auf ein anderes Energieniveau gelangen können. Physiker haben dazu in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Vorstellung entwickelt, dass ein Elektron, das den Atomkern umkreist, plötzlich von einer Umlaufbahn auf eine andere springt. Dieser sogenannte Quantensprung erfolgt, wenn das Atom durch elektromagnetische Strahlung angeregt wird, das heißt Strahlung absorbiert. Dazu sind chemische Elemente nur in der Lage, wenn diese Strahlung eine ganz bestimmte, für das jeweilige Element charakteristische Frequenz hat. Nimmt man ein Element wie Cäsium und die sogenannte Schwingungs- oder Periodendauer einer für dieses Element charakteristischen elektromagnetischen Welle – das heißt die Zeit, die beispielsweise vom Erscheinen eines Wellenberges bis zum nächsten verstreicht –, hat man zugleich ein Zeitmaß. Dementsprechend wird die Sekunde als das exakt festgelegte Vielfache der Periodendauer beim Cäsiumatom definiert.
Die Mitarbeiter des Bremer Instituts für Messtechnik, Automatisierung und Qualitätswissenschaft beschäftigen sich zwar nicht mit der Erforschung von Naturkonstanten beziehungsweise der Definition von Maßen, setzen diese aber in einer Weise ein, wie sie zu Zeiten, als Menschen noch gewohnt waren, beim Messen fünf gerade sein zu lassen, nicht vorstellbar gewesen wäre. Mit modernen Verfahren sind sie in der Lage, bei Bauteilen Ungenauigkeiten im Mikro- und Nanobereich, das heißt im Bereich von tausendstel oder gar millionstel Millimetern aufzuspüren. Das Labor für Großverzahnungsmessungen des Instituts ist das einzige seiner Art in Deutschland. Dort geht es darum, Teile wie Zahnräder selbst dann genau messen zu können, wenn es sich um riesige Bauteile mit einem Gewicht von mehr als sechs Tonnen handelt. Ein neuer Drehtisch hilft dabei. Wie der Institutsmitarbeiter Jan Westerkamp erläutert, dauert die Fertigung solcher Bauteile vergleichsweise lange. Dies erhöhe zum Beispiel die Gefahr, dass das eingesetzte Werkzeug verschleiße und Ungenauigkeiten entstünden, die später beim praktischen Einsatz zu Problemen führten.
Bei seinen Bemühungen, Bauteile genauer als bislang zu messen und damit dazu beizutragen, die Lebensdauer von Windenergieanlagen zu erhöhen, arbeitet das Bremer Institut mit einer Firma in Wetzlar (Hexagon Metrology) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig zusammen. Beim Messen von Getriebebauteilen wie Zahnrädern und Lagerschalen haben es die Wissenschaftler nach den Worten von Westerkamp mit gekrümmten Oberflächen zu tun. Im Interesse der Qualitätsprüfung gehe es darum, die Geometrie und auch die Rauheit zu erfassen. Mit dem zuletzt genannten Fachbegriff bezeichnen Physiker Unebenheiten. Hinter der Forschung stehe das Ziel, möglichst schnell möglichst viele Punkte des Bauteils messen zu können, sagt Westerkamp.
Um ein möglichst genaues Bild zu erhalten, verwenden die Wissenschaftler unterschiedliche Verfahren und Sensoren. Wie Westerkamp erklärt, kann eine Rubinkugel eingesetzt werden, um die Oberfläche abzutasten und festzustellen, wo im Raum sie sich befindet. Informationen über die Härte könnten Sensoren mit elektrischen Spulen liefern, die Magnetfelder erzeugten und das Material magnetisierten. Aus Unterschieden bei der Magnetisierung könne auf eine unterschiedliche Härte geschlossen werden. Außerdem nutzen die Experten nach den Angaben des Institutsmitarbeiters Laser, mit denen sich Abstände messen lassen, und das Verfahren der sogenannten Photogrammetrie. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein Grundprinzip, das Menschen als räumliches beziehungsweise stereoskopisches Sehen vertraut ist. Erst dadurch, dass beide Augen unterschiedliche Bilder liefern, das heißt einen Gegenstand oder eine Szenerie aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, kann im Gehirn der Eindruck räumlicher Tiefe erzeugt werden. Anders ausgedrückt: Aus den beiden Bildern lassen sich Informationen über Entfernungen, also geometrische Daten gewinnen. Dieses Prinzip wird auch bei optischen Messtechniken eingesetzt.
ILLUSTRATION: JOMA
Als Längenmaß diente früher die sogenannte Bremer Elle. Sie entsprach dem Abstand zwischen den Kniespitzen der Rolandstatue.