Während viele Kinder Rosenkohl verabscheuen, wissen Erwachsene ihn zu schätzen. Forscher haben festgestellt, dass der Geschmack nicht nur vom Alter abhängt, sondern auch von Emotionen.
Rosenkohl brauchen viele Eltern ihren Kindern gar nicht erst vorzusetzen – sie mögen das Gemüse nicht oder verabscheuen es sogar, ähnlich wie unter Umständen Broccoli oder Kaffee. Auch Bier ist bestens geeignet, bei Kindern Ekel hervorzurufen, wenn sie daran riechen oder nippen. Andererseits ist bekannt, dass ihnen manche Nahrungsmittel oder Getränke nicht süß genug sein können. Die Beispiele machen deutlich, dass sich der Geschmack mit zunehmendem Alter verändert. Forscher haben nicht nur herausgefunden, was die Ursachen dafür sind, sondern auch, dass der Geschmack keineswegs allein vom Alter abhängt. Eine Rolle spielt beispielsweise auch, ob jemand in einer schlechten Stimmung oder verliebt ist.
Ihre Fähigkeit, unterschiedliche Geschmacksqualitäten wahrzunehmen, verdanken Menschen entsprechenden Sinneszellen. Auf der Zunge befinden sich sogenannte Geschmackspapillen, kleine warzenförmige Gebilde, die Geschmacksknospen beherbergen. Darin sind zahlreiche Zellen für die unterschiedlichen Geschmacksqualitäten enthalten. Fachleute gehen von mindestens fünf Qualitäten aus: süß, salzig, sauer, bitter und umami. Die zuletzt genannte Qualität wird als fleischig oder herzhaft beschrieben und unter anderem auf Glutaminsäure zurückgeführt, eine Aminosäure. Wenn beispielsweise ein Süßstoff andockt, setzt die Sinneszelle chemische Botenstoffe frei. Die Information über die Geschmacksqualität gelangt am Ende ins Gehirn, wo sie verarbeitet wird.
Abneigung gegen Bitteres
Ob Tier oder Mensch: Das Erkennen von Geschmacksqualitäten hilft, das Überleben zu sichern. Entsprechend wichtig war es aus evolutionsbiologischer Sicht, diese Fähigkeit zu entwickeln. Viele Pflanzen enthalten Bitterstoffe. In manchen Fällen ist ein bitterer oder auch saurer Geschmack ein Hinweis darauf, dass vermeintliche Nahrung giftige Stoffe enthält und besser gemieden werden sollte. Dass Kinder eine Abneigung gegen Bitteres haben, ist deshalb durchaus nachvollziehbar.
Mit der Frage, warum sich die Einstellung zu bestimmten Nahrungsmitteln verändert, warum Menschen irgendwann auch vergleichsweise bitteren Rosenkohl zu schätzen wissen, haben sich unter anderem Forscher um Professor Russell Keast von der Deakin University im australischen Melbourne befasst. Nach ihren Angaben hängt der Wandel nicht etwa mit einer grundlegenden Veränderung des Geschmackssinns im Laufe der Entwicklung, sondern mit einem Lernprozess zusammen: Wer dem Geschmack von Rosenkohl oder anderen Lebensmitteln wiederholt begegnet, lernt irgendwann, ihn zu mögen. Befördert wird dies demnach durch als positiv empfundene Effekte von Lebensmitteln. So liefern die Nährstoffe im Gemüse Energie. Kaffee wiederum enthält Koffein, das eine aufputschende Wirkung hat.
Veränderte Reizschwelle
Zu den Forschungseinrichtungen, die in den vergangenen Jahren mit Studien geholfen haben, neue Erkenntnisse über die Geschmackswahrnehmung zu sammeln, gehört das Technologie-Transfer-Zentrum (ttz) Bremerhaven. Informationen über die Veränderung der Geschmackswahrnehmung im Laufe der Kindheit und Jugend gewannen die Wissenschaftler mithilfe von sogenannten sensorischen Schwellentests, das heißt Tests, bei denen untersucht wird, ab wann jemand etwas beispielsweise als süß oder bitter wahrnimmt.
Bei ihren Untersuchungen stellten sie unter anderem fest, dass sich die Empfindung, dass etwas süß schmeckt, bei kleinen Kindern erst ab einer vergleichsweise hohen Zuckerkonzentration von 8,6 Gramm pro Liter einstellt. Studenten waren hingegen in der Lage, selbst wesentlich geringere Zuckerkonzentrationen sicher herauszuschmecken. Wie sich zeigte, fiel der Schwellenwert bis zum 20. Lebensjahr auf 2,1 Gramm pro Liter. Mit anderen Worten: Die Reizschwelle sank. Besonders ausgeprägt war dieses Phänomen zwischen dem achten Lebensjahr und dem Erwachsenenalter.
Weil die Geschmacksorgane bereits im Kindesalter voll ausgebildet sind, schieden Veränderungen solcher Organe als Erklärung aus. Was Kindern fehle, so erklärten die Experten, seien Vergleichswerte, um bestimmte Geschmackseindrücke einzuordnen. Wie Keast, so betonten auch sie die Bedeutung von Lernprozessen. Wie schnell ein Archiv für Geschmacksmuster aufgebaut werde, hänge von der Häufigkeit ab, mit der einem heranwachsenden Menschen entsprechende Geschmackseindrücke begegneten. Alles Vertraute werde dann später positiv bewertet.
Aus den Testergebnissen ging hervor, dass Kinder besonders die Geschmacksqualitäten süß und salzig mit jedem zusätzlichen Lebensjahr deutlich besser erkennen können. Weniger stark ausgeprägt war das Absinken des Schwellenwerts bei der Geschmacksqualität bitter. Als mögliche Erklärungen für diese Befunde nannten die Experten, dass süß und salzig bei den deutschen Ernährungsgewohnheiten eine besonders große Rolle spielten und dass sich beim bitteren Geschmack eine angeborene Abneigung bemerkbar machen könnte.
Eine alte Redewendung besagt, dass verliebte Köche dazu neigten, Speisen zu versalzen. Auch ihr sind Forscher des Technologie-Transfer-Zentrums Bremerhaven in den vergangenen Jahren auf den Grund gegangen, das heißt: Sie haben untersucht, ob das Verliebtsein tatsächlich einen Einfluss auf das Geschmacksempfinden hat. Den Ausgangspunkt bildete die Tatsache, dass Hormone für das Erleben und Verhalten von Menschen eine zentrale Rolle spielen. Wenn ein Mensch verliebt ist, geht dies mit hormonellen Veränderungen einher.
Verliebte nehmen anders wahr
Die Bremerhavener Forscher fanden eine Reihe von Hinweisen auf den Einfluss solcher Veränderungen auf das Geschmacksempfinden. So stießen sie bei frisch Verliebten auf eine „eher hohe Salzschwelle“, das heißt eine Bestätigung für die erwähnte Redewendung. Auffällig war bei den Geschmackstests außerdem, dass Männer und Frauen, die schon länger in einer Partnerschaft lebten, die Geschmacksqualitäten süß, sauer, bitter und salzig besonders gut erkannten. Offensichtlich wirkten sich stabile Partnerschaften günstig auf die Geschmackswahrnehmung aus. Und auch dies zeigten die Untersuchungen: Bei Menschen mit hohen Testosteronwerten leidet die Geschmackswahrnehmung.
Hormone mit großem Einfluss
Im Rahmen ihrer Studie hatten die Wissenschaftler den Einfluss des Hormonspiegels auf die Geschmackseindrücke von 46 Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren untersucht. Informationen über den Hormonspiegel – genauer: über die Menge an Testosteron und Oxytocin – gewannen sie mithilfe von Speichelproben. Während das Sexualhormon Testosteron mit der Ausprägung der männlichen Geschlechtsmerkmale im Zusammenhang steht, ist das Neurohormon Oxytocin unter anderem für das Einsetzen der Geburtswehen verantwortlich. Beim Stillen wird es vermehrt gebildet. Verschiedene Studien haben zudem Hinweise geliefert, dass Oxytocin das Vertrauen in andere Menschen erhöht. Es wird deshalb auch als Bindungshormon bezeichnet. Testosteron wiederum fördert nach Ansicht von Fachleuten das Bestreben, dominant zu sein, einen hohen sozialen Status zu erreichen und diesen aufrechtzuerhalten. In den Gehirnen von Männern ist mehr Testosteron wirksam als in den Gehirnen von Frauen. Dem Hormon wird nachgesagt, risikoreiches oder aggressives Verhalten zu begünstigen.
Nach Darstellung der Bremerhavener Forscher sind die Testosteronwerte bei verliebten Männern niedriger als sonst üblich, bei verliebten Frauen höher. Besonders niedrige Testosteronwerte seien bei Frauen anzutreffen, die in Paarbeziehungen lebten. Die Wissenschaftler werteten dies als möglichen Hinweis auf eine ruhige und ausgeglichene Lebenssituation. Den höchsten Oxytocinspiegel wiesen bei den Untersuchungen der Bremerhavener Wissenschaftler verliebte Frauen auf. Auch bei verliebten Männern lassen sich demnach erhöhte Oxytocinwerte feststellen. Vermutet werde, so hieß es, dass ein erhöhter Oxytocinwert bei Männern mit einer größeren Bereitschaft zur Bindung und zur Sorge um den Nachwuchs einhergehe.
Dass sich auch negative Stimmungen auf die Geschmackswahrnehmung auswirken, hat unter anderem eine 2013 im Fachjournal „PLOS ONE“ veröffentlichte Studie von Psychologen um Petra Platte von der Universität Würzburg gezeigt. Die Wissenschaftler hatten Studienteilnehmern Filmausschnitte mit lustigen, traurigen oder neutralen Szenen gezeigt. Davor und danach mussten sie Flüssigkeiten trinken und deren Geschmack bewerten. Dabei stellte sich heraus, dass grundsätzlich eher negativ gestimmte Menschen nach dem Ansehen trauriger oder lustiger Szenen nicht mehr zwischen fettig und fettarm unterscheiden konnten. Bei neutralen Szenen bereitete ihnen die Unterscheidung hingegen keine Probleme. Außerdem zeigte sich, dass sie bitteren oder süßen Geschmack besonders intensiv wahrnahmen. Nach den Worten von Petra Platte können die Versuchsergebnisse auch erklären, warum manche Menschen vor dem Fernseher mehr Chips essen, als gut für sie ist. „Möglicherweise richten Personen, die sich in einer negativen Stimmung befinden, beim Ansehen emotionsgeladener Szenen ihre Aufmerksamkeit viel stärker auf den Film als gut oder neutral gelaunte Menschen“, erklärte sie. Dies führe zu einem unkontrollierten Essverhalten.
Gesunde Ernährung
Essen und Trinken sind Tätigkeiten, an denen neben dem Geschmackssinn auch die anderen menschlichen Sinne beteiligt sind. Das heißt: Eine Rolle spielt zum Beispiel auch, wie etwas riecht oder aussieht. Fachleute sprechen deshalb von einem „multisensorischen Erlebnis“. Eltern können sich dies zunutze machen, um ihren Kindern bei der Entwicklung eines gesunden Lebensstils zu helfen. Wenn Gemüse und Obst ansprechend dargeboten werden, etwa in klein geschnittener Form auf einem schön gedeckten Tisch, greift der Nachwuchs in der Regel eher zu.