"Churros! Churros!", ruft Michael Frickenschmidt wie ein Marktanpreiser, immer wieder, aber allzu viele wollen das süße Frittiergebäck nicht kaufen. Das liegt sicher nicht an den Churros: Goldgelb blinken sie aus roten Tüten die Vorbeigehenden an, aufgereiht hinter der Glasscheibe, die zur Osnabrücker Fußgängerzone schaut. Aber es ist einfach nicht besonders voll hier auf dem Weihnachtsmarkt in der Innenstadt am späten Nachmittag. Langsam kommt die Dunkelheit, es ist trocken und nicht zu kalt. Ideales Bummelwetter. Wo sind also die Leute – liegt es an der Uhrzeit oder daran, dass der Weihnachtsmarkt in Osnabrück unter der 2G-Regel läuft?

Corona-Regeln als Teil der Dekoration: Darauf setzt der Osnabrücker Weihnachtsmarkt.
Frickenschmidt wirkt nicht besorgt, sondern geschäftig. Er rollt eine dicke Teigwulst auf einem Brett, schiebt sie in einen Metallzylinder, der zu einer kompliziert aussehenden Maschine gehört, lässt ihn einrasten. Ein Churros-Teigwolf. Frickenschmidt wischt sich die Hände an der roten Schürze ab. "Wir sind froh, dass es so funktioniert", sagt er. "Wir versuchen, alles richtig zu machen. Aber es kann ja auch nichts passieren, es ist ja alles draußen."
Trotzdem weist ein Zettel, handgeschrieben und auf dem Spuckschutz klebend, auf die 2G-Regel hin. Ohne Bändchen bekommt niemand Churros und auch sonst nichts zu essen oder zu trinken. Manche versuchten es trotzdem, erzählt er. "Man sieht dann schon, wer so komisch bestellt und hier an der Seite fragt, ob er was kriegt. Aber die Reihe fängt da drüben an," – er deutet nach rechts, wo seine Cousine Karin Frickenschmidt steht – "mit der Kontrolle".
Die wichtigsten Buden auf dem Osnabrücker Markt sind die, die sich am wenigsten Mühe geben, anzulocken. Schräg gegenüber von Frickenschmidts Stand stehen sie, acht in einer Reihe, braune Holzbuden mit einer einzigen, weißen Lichterkette oben dran. Manche blinken, vielleicht hat jemand den falschen Knopf gedrückt. Das sind die Bändchenbuden. Anstehen muss man nicht, also gleich: "Hallo, ein Bändchen bitte."
Wie oft wird der junge Mann in der Hütte das heute noch hören? "Einmal nach unten scrollen, noch weiter bitte", sagt er, schaut auf das Handydisplay, prüft das Impfzertifikat. Dann verlangt er einen Ausweis. Führerschein geht auch, steht auf einem Zettel. "Okay." Er sitzt schon den dritten Tag hier, die Handgriffe sind Routine geworden: Mit der Linken spreizt er das rote Bändchen zu einem lockeren Kreis, mit der Rechten hält er den Verschluss. Er schiebt zu, nicht zu fest, aber eben so, dass das Band nicht mehr zurück über das Handgelenk rutscht. "Historischer Weihnachtsmarkt Osnabrück 2021" steht drauf, und es ist sozusagen die Eintrittskarte fürs Vergnügen. Kostet nichts. Aber wer kein Bändchen hat, darf nur schlendern und gucken.

Das Bändchen, das den Status geimpft oder genesen nachweist, gibt es kostenlos.
Es wird dunkler, Feierabendzeit. Gerade noch zogen die Kinderkarussells als die lebendigsten Orte dieses Weihnachtsmarkts die Blicke auf sich, waren die Kleinen, die in übergroßen Suppenschüsseln mit Grinsegesicht und wild blinkenden Polizeiautos die immergleichen Runden drehten, die Hauptattraktion. Bändchen braucht da niemand, Fahrchips sind und bleiben die einzige Währung fürs Kinderglück, auch auf einem Pandemie-Weihnachtsmarkt. Vereinzelt verdeckt eine blaue, eine rosafarbene Maske ein Erwachsenengesicht, zumindest bei denen, die den nicht ganz so mutigen Kindern auf dem Fahrgeschäft beistehen. Doch jetzt leeren sich die Karussells, die Gänge füllen sich langsam. Wer hier noch anderthalb Meter Abstand wahren wollte, käme kaum voran.
Stehtische gibt es keine, manche stellen die Glühweintasse auf den Abfalleimern ab, die kann man nämlich leicht mit Tischen verwechseln: Ein Holzdeckel schließt sie ab und sie quillen noch nicht über. Es gibt keine gemütlichen Ecken, in die man sich lehnen könnte, keinen mit Holzschnitzeln ausgelegten Boden, auf dem man sich einbilden kann, dass die Füße weniger frieren, keine Hütten mit Gastraum. Aber noch ist es nicht knackekalt, kein Wind fegt durch die Budenreihen. Noch ist es angenehm, sich einfach neben eine Hütte zu stellen, oder in einen Hauseingang, mit der heißen Tasse in der Hand.
Eierpunsch hat Angelika Pohlschneider, lange graue Haare, schwarze Jacke, gewählt. Sie macht den Klassiker, besucht den Weihnachtsmarkt nach der Arbeit mit einer Kollegin. "Diesen Trubel, den wir sonst kennen, hätte ich mir nicht angetan", sagt sie, "wenn ich hier ankäme und es wäre rappelvoll, würde ich das nicht machen." Aber das ist es noch nicht. Gut organisiert sei das alles, es werde wirklich kontrolliert, sie fühle sich wohl. Pohlschneider ist auch wegen der Schausteller hier, jeder Punsch soll einen der ausgefallenen im letzten Jahr ausgleichen. Am besten so oft wie möglich, nur nicht am Wochenende, wenn es richtig drängelig wird. Ihre Kollegin Martina Böhme streut etwas Realismus ein: "Wer weiß, wie lange der Weihnachtsmarkt noch auf hat."

Martina Böhme (links) und Angelika Pohlschneider sind nach der Arbeit auf den Weihnachtsmarkt gegangen – sie hoffen, dass sie das noch ein paar Mal wiederholen können.
Kaum jemand an diesem Abend, der das nicht sagt. Grillschinkendunst, Glühweingewürze und der aufdringliche Pilzpfannen-Knoblauch-Geruch wabern wie immer über den Weihnachtsmarkt, aber die neue Unsicherheit schwingt mit. Es könnte bald die letzte Tasse sein, die Jahreszahl ist dieses Mal nicht mit aufgedruckt – damit die Becher, falls es gar nicht nötig sein wird, alle auszupacken, auch im nächsten Jahr noch benutzt werden können?
Sicher fühlen sich die meisten aber trotzdem. Noch schnell eine Tüte gebrannter Mandeln, eine Bratwurst, soviel wie möglich von den warmen Lichtern mitnehmen, bevor die Buden, 2G hin oder her, doch wieder abgebaut werden müssen. Oder ist das alles nur Spuk? Lässt sich ein Weihnachtsmarkt gut vereinbaren mit der Pandemie, wenn man einfach ein Abstand-halten-Schild mit einer Lichterkette schmückt?
Mittlerweile warten die Menschen in Schlangen vor den Bändchenbuden. Und auch vor der Hütte, in der Bernhard Kracke Feuerzangenbowle aus zwei riesigen Kupferkesseln ausschenkt, ist so viel los, wie es sich ein guter Geschäftsmann wünscht. Besonders gut ist nicht zu verstehen, was Kracke, der dem Schaustellerverbands Weser-Ems vorsitzt, sagt: Da ist der Spuckschutz, der an seinem wie an allen anderen Ständen hängt, und dann sind da die Leute, vor allem junge, die in kleinen Gruppen zusammenrücken, reden, trinken und lachen.

Bernhard Kracke verkauft Feuerzangenbowle. Als Schaustellerverbandsvorsitzender freut er sich, dass der Markt gut anläuft.
Er sei froh über jede Feuerzangenbowle, die über den Tresen gehe, erzählt Kracke. Learning by doing, Lernen durchs Tun, sei das hier ja alles, inzwischen reckten die Leute schon von selbst den Arm mit dem Bändchen hoch, wenn sie bestellen. Sonst drängten sie sich am Tresen, obwohl sie dort auf abschüssigem Grund stehen, egal, so ist es eben auf dem Weihnachtsmarkt. In diesem Jahr verteilen sie sich auf dem Platz vor der Bude. Gut so, findet Kracke. Aber er sagt auch: "Die Angst geht jeden Abend mit ins Bett." Die Angst, dass es bald vorbei ist mit dem Weihnachtsmarkt.
Auf dem Rückweg dann das, was alle kennen, vielleicht nicht viele vermisst haben: volle Gänge, Menschenschlangen, Bummlergruppen, die den Weg versperren. Viele junge Gesichter, viel Lachen, viel Glühwein. Wo Platz ist, wird etwas Abstand gehalten, in den Gängen und Straßen fehlt er. Ein ganz normaler Weihnachtsmarkt – so wirkt es zumindest.