Ein Jahr Pandemie hat überall Spuren hinterlassen. Davon sehr deutliche bei den Steuerberatern. Denn allein die verschiedenen finanziellen Hilfen des Bundes und der Länder verlangen Anträge, die nur sie bearbeiten können oder dürfen. „Seit einem Jahr kein Urlaub und jede Menge Überstunden, durchgearbeitete Wochenenden und dazu immer wieder nicht zufriedenstellende Unterstützung vonseiten der Regierung“, fasst Steuerberaterin Sibylle Unruh aus Bruchhausen-Vilsen das Geschehen des vergangenen Jahres für ihr kleines Team zusammen. Gut nachvollziehen lässt sich das beim Blick auf die Papierberge, die die Kanzlei dazu archiviert hat. Gut 2500 Blatt bedrucktes Papier verdeutlichen, welche Welle da über sie schwappte – keine Viruswelle, sondern eine aus Vorgaben, Vorschriften und Handlungsanleitungen.
Los ging's vor knapp einem Jahr. Erst kamen die Hilfen des Landes, dann die Soforthilfen des Bundes. Es ging weiter mit den Überbrückungshilfen I, II und III. Dazwischen November-Dezemberhilfen. Wobei der neueste Stapel zur ÜH III (Überbrückungshilfe III) schon jetzt der dickste ist. Nur bei den Hilfen für Soloselbstständige dürfen die Betroffenen selbst den direkten Weg gehen. Aber sie sind damit meist überfordert, denn vor Antragstellung sind umfassende Vergleichsrechnungen notwendig.
Erhöht wurde die Arbeitsbelastung noch einmal, als Steuerberater irgendwann in 2020 nicht mehr nur einfach ihre beratende Tätigkeit ausübten und als Compliance-Institution fungierten, sondern beginnen mussten, als „prüfende Dritte“ die Anträge für die Zuschüsse auszufüllen. Nach zu viel gezahlten Geldern der ersten Soforthilfe wurden sie besagte Prüfende und waren fortan mit der Aufgabe befasst, Zahlen zu verifizieren und Missbrauch zu verhindern. Nur, dass es dennoch eine weitere, stattliche Instanz gibt. Wenn da Vertrauen wäre, könnten Hilfen nach der Bearbeitung durch Steuerberater sofort ausgezahlt werden, aber stattdessen gibt es nur Abschlagszahlungen. Der Rest, so war es vom obersten Vertreter der Steuerberater, Hartmut Schwab, in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt zu lesen, werde erst sehr viel später ausbezahlt.
Hinzu kommen chaotische Bedingungen bei den Online-Seiten sowie der Vorgehensweisen generell, kritisieren Sibylle Unruh und ihr Sohn Tobias, Steuerfachgehilfe in ihrer Kanzlei. „Da werden die neuen Hilfen verkündet, die Hilfestellungen und genauen Erklärungen für uns, kommen aber erst wesentlich später“, sagt Tobias Unruh. Treffgenau zu seinem bestandenen Berufsabschluss hat er nur noch mit den ÜH-Anträgen gearbeitet. So gebe es auf den Seiten zu den Anträgen immer die FAQ, die alle offenen Fragen beantworten sollen – auch für Steuerberater, die mit der Antragstellung befasst sind. „Wenn ich die gelesen habe, aber nun genau das, wonach ich suchte, nicht finde, versuche ich es über eine Hotline.“ Dort gibt es aber entweder nur den Hinweis auf die FAQ oder den Tipp, man solle einen Steuerberater fragen. Oder man landet nach zwei Stunden Wartezeit im Nirgendwo, hat er auch erfahren müssen. Und zurzeit sei die Beantragung der am 10. Februar freigeschalteten ÜH III erschwert, denn durch verzögerte Programmierarbeiten des Bundes könnten diese Mittel nicht vor März erwartet werden. Liquiditätsprobleme der Unternehmen können so nicht eben schnell gelöst werden.

Wie an der Hauptstraße in Syke lassen sich Geschäftsinhaber eine Menge einfallen, um in dieser Zeit doch für ihre Kunden da zu sein und Geld zu verdienen, denn sie haben trotz Lockdown Kosten. Kosten für die es eigentlich Hilfe vom Staat geben sollte, doch da hakt es oft.
„Manchmal wartet man ab, ob es in einer überarbeiteten Version der FAQ vielleicht doch noch eine Antwort gibt – aber eigentlich kommt die nie und so schwebt man immer etwas im Ungewissen und kann mitunter nur raten“, sagen beide etwas frustriert. Bei manchen Anträgen werden außerdem mittendrin Bedingungen geändert, beispielsweise über den Nachweis von Verlusten. Oder man könne manche Einkommen nur schätzen. „Logik sucht man da vergebens“, sagt Sibylle Unruh.
„Wir sind am Limit“, lautet daher der lakonische Schlusskommentar der engagierten Steuerfachfrau und ihres Sohnes. Ihnen sind die Müdigkeit und der Unmut anzumerken. Die Situation ist nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Denn zu den Bergen von Überstunden für die Corona-Hilfs-Anträge gab es ja auch noch die regulären Arbeiten, auf die obendrauf auch noch das Konjunkturpaket mit 57 Neuerungen und die Umsatzsteueränderung und die Kurzarbeitsregelungen kamen. „Wir haben einen regelrechten Arbeitsstau“, sagt Sibylle Unruh. „Das ist eine Vollzeitstelle extra, die wir da rechnen müssen, alles zum Thema Beihilferecht.“
Immerhin scheint sich die Arbeit zu lohnen. Auf eine Nachfrage, ob sich denn die angespannte ökonomische Lage auf die Zahlen der Ratsuchenden bei der Schuldnerberatung der Diakonie in Syke auswirke, sagte Stefan Gövert: „Bei uns ist davon noch nichts zu spüren.„ Er räumt aber auch ein: “In unserem Netzwerk von Schuldnerberatungen gehen wir davon aus, dass das zeitversetzt noch stattfinden wird.“
Auch Sykes Wirtschaftsförderer Thomas Kuchem kann noch keine Auswirkungen feststellen. Über Geschäftsaufgaben, Stundungen oder Insolvenzen berichtet er: „Erstaunlicherweise ist die Zahl dazu eher deutlich gesunken.„ Er betont aber auch: “Das ist allerdings eine Momentaufnahme.“