Vegesack. Sommermode im tiefsten Winter, Wintermode im Hochsommer – wer heutzutage in ein Modegeschäft geht, muss meist noch mal einen Blick vor die Ladentür werfen, um sich jahreszeitlich zu orientieren. Während im Juli die Temperaturen steigen, bereiten sich Modehändler in ihren Läden bereits auf die Herbst- und Winterkollektionen vor. Die Sommermode wird dann stark reduziert, den Kunden wird das als Sommerschlussverkauf (SSV) angeboten. Wer also im August, vor dem Urlaub auf Mallorca oder in Griechenland, noch eine kurze Hose braucht, der kann ein echtes Schnäppchen schlagen.
Norbert Gresch, Inhaber der gleichnamigen Modeagentur aus Hamburg, ist genau das ein Dorn im Auge. Der Handelsvertreter hatte Mitte März ein bemerkenswertes Schreiben veröffentlicht und darin die große Möglichkeit für die Modebranche genannt, einen neuen Saison-Rhythmus zu starten. „Wir haben durch diese Krise die Chance, das Boot, in dem wir alle sitzen, historisch in eine richtige Richtung zu lenken. Wir, das sind Produzenten, Einzelhändler, Messen und Agenturen – also die gesamte textile Nahrungskette“, schreibt Gresch.
In den vergangenen Jahren hätten sich die Saisons durch sehr frühe Auslieferungen vermischt: Winterware werde geliefert, bevor die Temperaturen es überhaupt erlaubten, die Sommerware zu tragen. „Diese Sommerware wurde zu diesem Zeitpunkt aber schon reduziert verkauft. Winterware konnte teilweise schon ab November reduziert gekauft werden“, schreibt Norbert Gresch. Er forderte die „gesamte textile Nahrungskette“ deshalb zu einem gemeinsamen Fahrplan auf.
Der Abverkauf der Frühjahres- und Sommerware solle bis mindestens Ende Juli zum Normalpreis und ohne frühe Reduzierungen erfolgen, die Herbst- und Winterkollektionen erst ab Ende August ausgeliefert werden. Dies würde einen Preiskampf der lokalen Händler verhindern. „Durch die Verlängerung der aktuellen Verkaufssaison wird dem Händler die Möglichkeit gegeben, die Ware zum regulären Preis zu verkaufen, um den wirtschaftlich erlittenen Schaden während der Schließung zu mindern oder gegebenenfalls aufzufangen. Durch die spätere Lieferung der Herbstware entsteht kein verfrühter Druck durch zu viel Ware im Geschäft und neue Rechnungen“, schreibt Gresch.
Geteiltes Echo
Was sich in der Theorie sehr logisch anhört, stößt bei den lokalen Händlern in Bremen-Nord jedoch auf ein geteiltes Echo. „Was Herr Gresch sagt, ist sicherlich alles richtig, aber der Markt reguliert sich von alleine. Wir sind an die großen Händler gebunden. Wenn es da Rabatte und Schlussverkäufe gibt, müssen wir nachziehen”, sagt Kai Horstmann, der drei seiner fünf Cactus-Stores in Lesum, Vegesack und Schwanewede betreibt. Auch er würde die Ware am liebsten regulär verkaufen, die Sommerware also wirklich im Sommer und die Winterware im Winter, und erst nach der Saison den Schlussverkauf anbieten. „Aber so läuft es halt nicht.“
Das weiß auch Susanne Janssen, Inhaberin der Wollstube am Lesumer Bahnhof. Trotzdem hegt sie große Hoffnungen an das Schreiben von Norbert Gresch und die möglichen Konsequenzen. „Die kleinen Händler dürfen nicht frühzeitig und in Panik die Preise reduzieren, weil sie Angst haben, dass sie die Ware nicht loswerden“, sagt Janssen. Es wäre keinem geholfen, wenn Händler Rabatte bis zu 50 Prozent anbieten würden. „Durch solche Reduzierungen wären die Grundkosten kaum zu decken, außerdem werden alle anderen Händler dadurch auch unter Druck gesetzt.“ Susanne Janssen will das Schreiben von Norbert Gresch deshalb zum Anlass nehmen und möglichst lange auf Reduzierungen verzichten. „Ich habe mit zehn Lieferanten eine spätere Lieferung der Herbst- und Winterkollektion vereinbart, um die jetzt im Laden liegende Ware möglichst lange zum Normalpreis verkaufen zu können.“ Es sei jedoch wichtig, dass alle Händler mitmachen. Die kleinen Händler müssten sich endlich mit dieser Problematik beschäftigen, schließlich seien alle davon betroffen, sagt Janssen und fügt an: „Ich hoffe auf die Solidarität der Händler und Kunden.“
Bei den Kunden sieht Monique Röbling-Mack, Inhaberin des Bekleidungsgeschäfts Jeans Road in Vegesack, jedoch das entscheidende Problem. „Wir haben die Kunden in den vergangenen Jahren an immer früher stattfindende Schlussverkäufe gewöhnt.“ Sie könne es sich gar nicht erlauben, ein T-Shirt zum Normalpreis bis Ende Juli und damit für drei Monate im Laden hängen zu haben. „Ich bekomme jeden Monat neue Ware, weil die Kunden immer etwas Neues sehen wollen, wenn sie wieder in den Laden kommen“, sagt Röbling-Mack. Sie unterstütze das Schreiben von Norbert Gresch zwar, glaubt aber nicht daran, dass sich etwas ändert. „Das wäre zu schön und eine Sensation.“
Die einzige Hoffnung sei ein möglichst langer und warmer Sommer. Dann könnten die T-Shirts oder kurzen Hosen lange im Laden liegen, ohne reduziert zu werden. Doch das alleine würde nicht für einen neuen Saison-Rhythmus reichen. „Die Trendsetter wie Zara werden es sich nicht nehmen lassen, die Saisons weiter zu vermischen“, sagt Monique Röbling-Mack. Unterstützung erhält sie in diesem Punkt von Kai Horstmann: „Die großen Läden werben doch jetzt schon mit 30 Prozent und anderen Rabatten. Der Preiskampf hat längst begonnen.“ Der Cactus-Inhaber sieht eine mögliche Änderung des Saison-Rhythmus in der Modebranche daher als Wunschvorstellung. „Einzig der Sommerschlussverkauf verschiebt sich vielleicht um ein paar Wochen nach hinten.“
An eine große Veränderung glaubt auch Christine von Krause nicht. Die Inhaberin des Modegeschäfts Rosenrot hält das Schreiben von Norbert Gresch zwar ebenfalls für richtig, doch es sei nicht umzusetzen. „Natürlich ist es totaler Quatsch, dass die Winterware im Hochsommer geliefert wird und dann im Dezember, also bevor der Winter – sofern wir überhaupt einen haben – da war, schon wieder reduziert wird. Aber wir müssen mitziehen, denn durch das Internet und größere Anbieter wächst der Druck.“ Kleinen Läden wie Rosenrot bleibe daher nichts anderes übrig, als die eigene Ware zu reduzieren.
Christine von Krause hat das im Übrigen auch schon getan. Um 20 Prozent hat sie ihre Sommer-Kollektion reduziert, damit die Ware nicht zum Ladenhüter wird. Dass die lokalen Händler ihre Ware auch ohne Rabatte verkaufen könnten, hält die Rosenrot-Inhaberin für Augenwischerei. „Die Kunden kaufen ja nicht nur bei uns ein, sondern auch bei größeren Läden oder im Internet.“ Außerdem kritisiert sie die deutsche Mentalität: „Für die Deutschen ist es das Schlimmste, wenn sie ein Produkt kaufen und dann erfahren, dass es irgendwo günstiger war“, sagt Christine von Krause.