Herr Wolffgramm, Sie sagen, dass in jedem Menschen ein Lebensretter steckt. Und was ist mit denen, die Angst davor haben, bei einem Notfall etwas falsch zu machen?
Frank Wolffgramm: Genau um diese Menschen geht es uns. Wir wollen versuchen, ihnen die Angst davor zu nehmen, bei einem Notfall zu handeln.
Sie wollen aber nicht nur, dass jemand einfach Rettungskräfte verständigt. In Ihrer Reihe ,Zurück ins Leben' geht es darum, dass Laien sich trauen sollen, einen leblosen Menschen zu reanimieren ...
Weil das absolut wichtig ist. Weil es darauf ankommt, so schnell wie möglich zu helfen. Weil bei einem Notfall die ersten Minuten darüber entscheiden können, ob jemand stirbt oder weiterlebt.
Zu üben, wie retten richtig geht, ist eine Sache. Jemandem die Angst davor zu nehmen, einem Verletzten bei der Ersten Hilfe womöglich zu schaden, eine andere. Was tun?
Bei unserem ersten Themenabend in unserer Veranstaltungsreihe geht es nicht allein um Erste-Hilfe-Übungen, sondern vor allem darum, den Teilnehmern zu vermitteln, dass es bei einem Notfall das Schlimmste ist, nichts zu tun.
Und wie wollen Sie nun den Teilnehmern die Angst nehmen?
Indem wir ihnen zeigen, wie einfach es ist, bei einem Menschen beispielsweise eine Herzdruckmassage zu machen – und damit verdeutlichen, dass die Angst, etwas falsch zu machen, im Grunde unbegründet ist.
Warum?
Weil ein Laienhelfer nichts falsch machen kann. Selbst wenn bei einer Herzdruckmassage eine Rippe gebrochen wird, weil der Helfer zu stark auf den Brustkorb gedrückt hat, ist das nicht weiter schlimm. Die Massage kann trotzdem fortgesetzt und das Leben des Schwerkranken nach wie vor gerettet werden.
Und was ist bei Verletzungen, die der Laienhelfer nicht sehen kann – eine gebrochene Wirbelsäule etwa?
Lässt man einen Menschen, der nicht mehr ansprechbar ist, einfach auf dem Rücken liegen, ist die Gefahr sehr groß, dass er irgendwann nicht mehr richtig atmen kann. Ihn in die stabile Seitenlage zu bringen, ist daher wichtig – auch dann, wenn etwa bei einem Unfallopfer die Wirbelsäule verletzt sein sollte. Allein durch das Drehen des Körpers kann sie kaum weiter beschädigt werden. Dafür sorgt schon die umliegende Muskulatur.
Wie sind denn die Überlebenschancen eines Menschen mit Herzstillstand, wenn er von Passanten sofort Hilfe bekommt?
Sobald jemand anfängt, einen Leblosen durch Herzdruckmassage zu reanimieren, erhöht sich dessen Überlebensrate um das Zwei- bis Dreifache. Jede Sekunde, in der man nichts tut, verringert sich also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schwerkranker überlebt. Allein auf den Notarzt zu warten, reicht deshalb nicht. Ein Rettungsdienst braucht in der Regel länger, als ein Gehirn ohne Sauerstoff auskommen kann.
Wie häufig erleben Sie es, dass ein Passant einem Schwerkranken geholfen oder ihn sogar wiederbelebt hat, bevor der zu Ihnen in die Notaufnahme kommt?
Nach den Daten, die bundesweit gesammelt werden, liegt die Quote der Fälle, in denen Laien bei einem Schwerkranken mit der Reanimation beginnen, bei etwas mehr als 40 Prozent.
Klingt erst mal nicht schlecht, oder doch?
Der Wert ist in der Tat kein schlechter Wert. In den vergangenen Jahren ist die Quote kontinuierlich gestiegen.
Warum braucht es dann noch eine Veranstaltungsreihe wie Ihre?
Der Wert hat sich zwar verbessert, so gut wie in anderen Ländern ist er aber noch lange nicht. In Dänemark, den Niederlanden, Schweden und Norwegen liegt die Quote mittlerweile zwischen 70 und 80 Prozent.
Was machen die skandinavischen Länder denn anders als Deutschland?
Die haben bereits vor einigen Jahren angefangen, das Thema Wiederbelebung in den Schulunterricht zu integrieren.
Aber auch an deutschen Schulen gibt es Erste-Hilfe-Lehrgänge, und üben Klassen das Reanimieren von Verletzten.
Der Unterschied zu Dänemark, den Niederlanden, Schweden und Norwegen ist, dass die Seminare dort fester Bestandteil des Unterrichts sind – und das schon von früh an. Der entscheidende Vorteil dabei: Die Angst, etwas falsch zu machen, ist in Skandinavien weitaus geringer als hierzulande.
Heißt das, dass Sie einen verpflichtenden Unterricht fordern, in dem Schüler lernen, Schwerkranke zu reanimieren?
Die Zahlen aus Skandinavien zeigen deutlich, dass das ein guter Weg ist.
Und wer soll diesen Unterricht geben, wenn deutschlandweit Lehrer fehlen?
Natürlich die, die wissen, wie Menschen reanimiert werden: Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn sich Schulen bei uns melden würden, damit wir gemeinsam ein Pilotprojekt starten könnten.
Die Fragen stellte Christian Weth.
Frank Wolffgramm
ist Chefarzt für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin am Klinikum Nord. Er will, dass mehr Menschen sich trauen, Verletzte zu reanimieren. Wolffgramm ist 48 und hat drei Kinder.
Die Themenabende
„Zurück ins Leben“ heißt eine Veranstaltungsreihe, die an diesem Mittwoch, 9. Oktober, am Klinikum Nord startet. Dabei soll Teilnehmern die Angst vor Extremsituationen genommen werden. Beim Auftakt geht es um akute Hilfe und darum, warum sich jeder trauen sollte, einen Schwerverletzten zu reanimieren. Um eine andere Furcht geht es am 30. Oktober – um die vor der Narkose nämlich. Und am 27. November berichtet ein früherer Patient, wie die Intensivmedizin ihn gerettet hat. Die Themenabende im Konferenzsaal I des Klinikums beginnen jeweils um 18 Uhr. Eine Anmeldung ist unter der Nummer 04 21 / 66 06 14 61 möglich.