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Baubeginn in den 30er Jahren Der Geisterbahnhof von Dauelsen

Verden. Der knochentrockene Ast wird zur Machete, pflügt eine Schneise durch die anderthalb Meter hohen Brennnesseln. Dornenranken reißen am Hosenstoff, Wurzeln werden zu Stolperfallen. Dann taucht er auf, der Geisterbahnhof von Dauelsen.
23.07.2010, 05:30 Uhr
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Von fabian lenk

Verden. Der knochentrockene Ast wird zur Machete, pflügt eine Schneise durch die anderthalb Meter hohen Brennnesseln. Dornenranken reißen am Hosenstoff, Wurzeln werden zu Stolperfallen. Dann taucht er auf, der Geisterbahnhof von Dauelsen, halb verborgen unter üppigem Grün.

Kein Weg führt dorthin, kein Zug hält dort. Dabei liegt der vergessene Haltepunkt eigentlich sehr verkehrsgünstig...

Genau dort, wo sich die Bahnstrecken Langwedel-Uelzen und Verden-Rotenburg kreuzen, wurde einst ein Haltepunkt mit einer Umsteigemöglichkeit geplant. Das war 1929, weiß der Bahnexperte Hermann Bunke aus Langwedel. Der 70-jährige, frühere Verwaltungsfachangestellte interessiert sich seit jeher für die Geschichte der Bahn, saß früher in Bruchhausen-Vilsen am Schalter der Museumseisenbahn und verkaufte Tickets an Touristen. 'Mit Modellbahnen hatte ich es nie so', sagt er, 'aber die richtige Bahn und deren Historie, diese Dinge faszinieren mich.'

Bunke zieht einen schlanken, blauen Ordner hervor und zupft einen kopierten Zeitungsartikel aus einer Klarsichthülle. Sein Zeigefinger tippt auf eine Jahreszahl, die rechts neben der Meldung steht: 1929. 'Der damalige Dauelser Bürgermeister Müller machte sich damals im August für den Haltepunkt in seinem Ort stark', erklärt der Experte.

Es folgte ein umfangreicher Schriftverkehr. Dem Zeitungsbericht zufolge kämpfte auch ein Reichstagsabgeordneter namens Schmidt aus Hannover für den Bahnhof - und erhielt ebenfalls 1929 eine Antwort vom (namentlich nicht genannten) Generaldirektor der Reichsbahngesellschaft. In diesem Brief ist von ungeklärten Finanzierungsfragen die Rede. Man möge sich gedulden, bis diese Fragen beantwortet seien. Es sei derzeit nicht abzusehen, ob der Haltepunkt gebaut werden könne.

'Anfang oder Mitte der 30er Jahre muss dann aber doch mit dem Bau begonnen worden sein', weiß Bunke. Wer sich die Mühe macht und den verborgenen Haltepunkt entdecken will (am besten über die Straße Bettenbruch, Parken beim Bogenschießplatz, dann zu Fuß weiter), kann die ersten Bauabschnitte noch sehen. Vom unteren Gleiskörper (Langwedel-Uelzen) führt eine längst überwucherte Treppe hinauf zum oberen Gleis (Verden-Rotenburg). Neben den Gleisen ragt ein Turm in die Höhe, halb verdeckt von meterhohem Gestrüpp. 'Das sollte wohl einmal ein Fahrstuhlschacht werden', so Bunke. Die Gäste der Bahn hätten bequem zwischen den beiden Strecken umsteigen können.

Doch daraus wurde nichts, die Bauarbeitern wurden irgendwann mittendrin gestoppt - aber warum? Bunke hebt die Schultern. 'Das ist schon sehr komisch. Ich vermute, dass der Zweite Weltkrieg dazwischen kam. Der Ausbruch des Krieges sorgte dafür, dass andere Projekte Vorrang hatten.'

Doch schon bald nach dem Krieg rückte der Geisterbahnhof von Dauelsen wieder in den Fokus des Interesses. Bunke: 'Damals gab es hier viele Flüchtlinge. Diese Menschen arbeiteten häufig in Bremen und mussten irgendwie zu ihren Arbeitsplätzen gelangen. Da es ja damals viel weniger Autos gab, waren viele auf die Bahn angewiesen. Also lag es nahe, die Fertigstellung des Haltepunktes zu fordern.'

Doch wieder wurde nichts daraus. Schuld war, wie so oft, das liebe Geld. Die Reichsbahndirektion rechnete im Januar 1949 vor, dass die Kosten 'für eine einfache Haltestelle ohne Güterbahnhof' 72000 Mark kosten würde. Davon hätte die Gemeinde Dauelsen 48000 Mark berappen müssen. 'Unmöglich', verlautete es damals aus dem Gemeinderat. Es folgten weiter Eingaben und Petitionen von der Gemeinde, bis die Reichsbahndirektion mit einem Schreiben vom 9. September 1949 endgültig die Tür zuschlug. Zwar habe man die Frage, ob ein Haltepunkt in Dauelsen eingerichtet werden könne, eingehend geprüft, aber: 'Hierbei haben wir leider feststellen müssen, dass unsere zu veranschlagenden laufenden Ausgaben die zu erwartenden Einnahmen bei weitem übersteigen werden. Wir können daher zu unserem Bedauern die Angelegenheit bis auf weiteres nicht verfolgen.' Der angefangene Haltepunkt versank also wieder in seinem Dornröschenschlaf.

Keine zehn Gehminuten entfernt liegen heute die Berufsbildenden Schulen (BBS) mit ihren rund 4000 Schülern. Würde es Sinn machen, den vergessenen Haltepunkt nun doch fertigzustellen, würden die Schüler den Stopp nutzen? 'Schwer zu sagen', sagt Bunke.

Aktuell im Gespräch ist derzeit ein anderer Haltepunkt in Dauelsen, und zwar am Schülerweg. Der liegt zwar näher zur Wohnbebauung, aber deutlich weiter weg zu den BBS. Bislang sperrt sich die Landesnahverkehrsgesellschft (LNVG) bekanntlich gegen einen zusätzlichen Haltepunkt zwischen Verden und Langwedel. Wie schon die Behörden vor 80 Jahren führt sie vor allem die Kosten als Hinderungsgrund an. Außerdem sieht sie fahrplantechnische Probleme.

Bahn-Chronist Bunke schließt den blauen Ordner: 'Ich bin mal gespannt, was nun passiert.' Aber wenn es einen attraktiven Fahrplan gäbe, argumentiert der Experte, könnte sich der zugewucherte Haltepunkt schon rentieren.

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