Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Islamwissenschaftler Hazim Fouad vom Verfassungsschutz warnt vor Einfluss der Salafisten auf Jugendliche „Die Gefahr ist real“

Herr Fouad, was genau ist Salafismus und wie gefährlich ist er? Hazim Fouad: Der Salafismus ist unter anderem in Deutschland und der Europäischen Union eine Art radikale Jugendkultur – basierend auf einem fundamentalistischen Religionsverständnis. Dieses wird herangezogen, um Feindbilder zwischen Gläubigen und sogenannten Ungläubigen zu rechtfertigen.
31.03.2016, 00:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Imke Molkewehrum

Herr Fouad, was genau ist Salafismus und wie gefährlich ist er?

Hazim Fouad: Der Salafismus ist unter anderem in Deutschland und der Europäischen Union eine Art radikale Jugendkultur – basierend auf einem fundamentalistischen Religionsverständnis. Dieses wird herangezogen, um Feindbilder zwischen Gläubigen und sogenannten Ungläubigen zu rechtfertigen. Der Salafismus ist nicht per se gewalttätig, aber alle Gewalttäter innerhalb des internationalen Dschihadismus kommen aus diesem Nährboden. Alle Attentäter hatten Beziehungen rein ins salafistische Milieu.

Wie viele Salafisten gibt es nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zurzeit bundesweit, respektive in Bremen.

Bundesweit gibt es 8650 Salafisten. In Bremen sind es 360. Und die Salafisten haben wachsenden Zulauf. Im Jahr 2011 waren es laut Verfassungsschutzbehörde bundesweit noch 3800.

Inwiefern werden diese Personen beobachtet?

Nicht jede Person wird 24 Stunden beobachtet. Es gibt eine geheime und eine offene Informationsbeschaffung. Das geht über Facebook, Videos, Webseiten und Aktivitäten der Personen. Und dann gibt es noch die Observation und die Telekommunikationsüberwachung. Für Letztere ist in dringenden Eilfällen eine Genehmigung innerhalb von 24 Stunden möglich. Ansonsten gibt es auch den V-Mann-Einsatz.

Unlängst ist der islamistische Prediger Pierre Vogel undercover in Vegesack gewesen. Weiß der Verfassungsschutz meist im Vorfeld davon?

Nicht immer, das haben wir teilweise erst retrograd erfahren. Unterbinden kann man das sowieso nicht, da ist nichts Gesetzeswidriges dran. Allerdings sensibilisieren wir Behörden und zivile Träger vor Ort über diese Aktivitäten. Pierre Vogel und auch der islamistische Prediger Sven Lau haben eine Wohnungsdawa gemacht, also eine „Einladung zum Islam“ in Privaträumlichkeiten, auf der sie ihr salafistisches Gedankengut vermittelten.

Wie sehen denn die klassischen Empfänger radikalen Gedankengutes aus?

Es gibt da kein spezifisches soziales Milieu. Der gemeinsame Nenner ist, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der Suche sind. Und häufig haben sie Brüche in der Biografie: Geschiedene Eltern, die große Liebe hat Schluss gemacht oder sie haben Diskriminierung erlebt. Es gibt aber auch mit 20 Prozent einen hohen Konvertitenanteil. Es gibt also auch den dicken, pickeligen, unsportlichen deutschen Jungen – oder auch Mädchen. Oder den gut ausgebildeten Menschen, der keine Arbeit gemäß seiner Qualifikation findet. Ihnen allen wird eine Gemeinschaft geboten, die Aufrichtigkeit und Reinigung von Sünden verspricht. Die Aufnahme in eine multi-nationale Gemeinschaft von Gleichwertigen. Hier kann jeder mitmachen, der sich den Geboten und Verboten fügt.

Und was sind das für Ge- und Verbote?

Beispielsweise zwingend fünf Mal am Tag beten. Keinen Kontakt zu „Ungläubigen“ pflegen, es sei denn zur Missionierung. Empfohlen wird die volle Verschleierung der Frauen. Und die Männer sollen Bärte, Gewänder und Häkelmützen nach angeblichen Vorbild des Propheten tragen. Aber natürlich läuft nicht jeder so rum. Viele tragen auch Hoodies und Jeans. Wichtig ist, dass das salafistisches Weltbild nicht kritisch hinterfragt wird. Die Prediger sind vermeintliche Vermittler der Botschaft Gottes. Das ist ein sektenartiges Merkmal. Man muss hören und gehorchen. Dafür hat man dann eine Art Ersatzfamilie.

Ist das nicht eher ein Trugschluss?

Nein, die Solidarität wird ernsthaft gelebt. Die Anhänger fühlen sich immer auf dem rechten Weg in einer elitären Gemeinschaft und können auf andere herabgucken. Es geht dabei weniger um Religion als um ein jugendkulturelles soziales Angebot. Die Gemeinschaft bietet den jungen Leuten eine vermeintliche Alternative zur hiesigen Gesellschaft.

Es mehren sich Hinweise auf Islamisten, die versuchen, Menschen für ihre Zwecke anzuwerben. Wo passiert das? Und gibt es ein isolierte Szene in Bremen-Nord?

Die Missionierung passiert im ganzen Bundesland Bremen. Aber in sozialen Brennpunkten wird eher versucht, Leute zu rekrutieren. Beispiel Grohner Düne. Dort sind viele Jugendliche auf der Suche. Viele sind leicht formbar, weil sie religiöse Analphabeten sind. Das ist ein Phänomen der zweiten und dritten Generation von Gastarbeitern. Viele können mit dem gelebten kulturellen Islam ihrer Eltern nicht mehr viel anfangen. Da entsteht ein Vakuum.

Melden sich bei Ihnen auch Eltern, die eine Radikalisierung ihrer Kinder fürchten?

Dafür gibt es in Bremen das Beratungsnetzwerk Kitab vom Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit Vaja. Es bietet Hilfe in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus. Das Netzwerk hat auch schon Ausreisen von jungen Leuten verhindert. Aber die haben dort nur zwei Mitarbeiter und sind völlig überlaufen. Viele haben Angst, dass sich Angehörige oder Bekannte radikalisieren könnten. Dabei ist es nicht gleich alarmierend, wenn der Sohn plötzlich kein Schweinefleisch mehr isst oder die Tochter ein Kopftuch trägt. Andererseits gab es seit 2012 insgesamt 800 Ausreisen Richtung Syrien und Irak, die den Sicherheitsbehörden bekannt sind. Das sind immerhin zehn Prozent der gesamten Salafisten-Szene. Aus Bremen reisten 23 Personen aus. Ein Drittel aller Ausreiser ist inzwischen zurück – von den Eltern zurückgeholt oder an den Grenzen abgewiesen. Darunter sind acht Bremer.

Wie muss man mit diesen Personen umgehen?

Es gibt drei Gruppen. Da sind die desillusionierten Rückkehrer, die im Internet Videos und Predigten angesehen haben, die den IS als funktionierenden Staat propagieren, der als Gegenentwurf zur hiesigen Gesellschaft taugt, was sich dann als Illusion erweist. Dann gibt es die Rückkehrer mit psychischen Problemen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Sie haben Gräueltaten erlebt, selbst verübt oder verüben müssen. Für sie gibt es kein Konzept. Wenn die Reintegration nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass sie sich der extremistischen Szene anschließen. Und es gibt die verrohten Rückkehrer, die an Waffen ausgebildet wurden und womöglich Anschläge planen. Die Gefahr ist real. Aber: Nicht jeder Rückkehrer ist ein Terrorist.

Was scheint Ihnen geeignet, um die Gefahr zu minimieren?

Die Überwachung durch Sicherheitsbehörden und eine dementsprechende personelle Ausstattung muss gewährleistet sein. Nötig ist aber auch ein gesamtgesellschaftliches Engagement. So muss die Beratungsstelle Kitab unbedingt ausgebaut werden.

Inwieweit wäre es auch möglich, haltlosen, suchenden Jugendlichen in Vereinen eine Gemeinschaft zu bieten. Plakativ gesagt: Pfadfinder statt Salafismus?

Generell ist es notwendig, Angebote für Jugendliche zu machen. Wenn ich alles eindampfe, laufe ich Gefahr, dass andere ihnen Angebote machen. Angelaufen ist jetzt das vom Bund finanzierte Projekt Jamil, Jugendarbeit in muslimischen und interkulturellen Lebenswelten. Auch das bietet der Bremer Verein Vaja zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit an.

Wie sicher sind denn Schulhöfe und Sportvereine vor den werbenden Salafisten?

Den Jugendlichen fehlt oft die Kompetenz, zu wissen, was Islam ist und wo der Extremismus anfängt. Da kommen aber nicht die Bärtigen von außen. Die Inhalte kommen aus dem eigenen sozialen Umfeld und werden beispielsweise mit Videos in die Peergroups getragen.

Was sollten Jugendliche tun, die angesprochen werden?

Am besten ist es, das im Klassenverband zu besprechen. Das ist auch nicht anders, als wenn man Drogen angeboten kriegt.

Gibt es innerhalb der muslimischen Gemeinden Gegenbewegungen gegen die Radikalen?

Ja, sehr konkret sogar. Die Schura, der Dachverband islamischer Gemeinschaften im Lande Bremen, steigt mit dem Projekt „Pro Islam“ in die professionelle Präventionsarbeit gegen Extremismus und Radikalisierung ein. Zunächst ist das aber noch auf Gröpelingen fokussiert.

Warum gibt es nach den Terroranschlägen eigentlich keine Demonstrationen seitens der Muslime?

Muslime sind ganz normale Bürger unseres Landes. Sie müssen sich nicht gesondert distanzieren von etwas, mit dem sie persönlich nichts zu tun haben. Es sollte selbstverständlich sein, dass die überwältigende Mehrheit gegen die Gewalt ist. Wichtiger ist eine gesamtgesellschaftliche Front gegen den Extremismus. Und Muslime sind in vielen Projekten gegen Extremismus dabei, die Berichterstattung darüber lässt aber oft zu wünschen übrig.

Inwiefern haben womöglich die stringenten Regeln der Muslime mit fünf Gebeten am Tag einen Einfluss auf die Intoleranz gegen den Islam?

Vor allem Salafisten tragen die Gebete gern zur Schau. Man muss zwingend nach außen hin zeigen, wie fromm man angeblich ist. Viele Muslime werden das als affig bezeichnen. Es gibt außerdem Regeln, dass man die Gebete nachholen kann, was der Salafismus gern verschweigt. Es gibt jetzt Ängste, dass in Deutschland bald alle Frauen Kopftuch tragen und alle in die Moschee gehen müssen. Das ist natürlich Blödsinn. Das Kopftuch ist kein Zeichen der Radikalisierung, außerdem trägt nur eine Minderheit der muslimischen Frauen in Deutschland das Kopftuch. Und die Ängste sind dort am größten, wo am wenigsten Muslime leben: In Ostdeutschland. Gleichzeitig sind Pegida und die islamfeindliche Rhetorik der AfD Wasser auf die Mühlen der salafistischen Prediger. Motto: Die Deutschen sind gegen den Islam. Da schaukeln sich zwei Extremismen gegenseitig auf. Wir beobachten das mit großer Sorge.

Das Interview führte Imke Molkewehrum

Hazim Fouad

ist Islamwissenschaftler beim Landesamt für Verfassungsschutz. Er wertet Daten über die gesamtdeutsche salafistische Szene aus. Am 26. Mai hält er in Vegesack einen Vortrag über „Die Radikalisierung von jungen Menschen“.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)