Stuhr/Landkreis Diepholz. Die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) für Menschen mit Beeinträchtigungen im Landkreis Diepholz hat ein neues Gesicht: Seit Kurzem ist der Stuhrer Michael Marx Teil des Beratungsteams um die Weyherin Katrin Kurtz und Bernhild Lodny, die vor allem für den Südkreis im Einsatz ist. Unterstützt werden sie von sogenannten Peer-Beratern, also Menschen, die selbst eine Beeinträchtigung haben. Dazu gehört unter anderem Andreas Evenburg aus Syke. Gerade auch in der Corona-Pandemie haben die Berater vermehrte Anfragen beobachtet und freuen sich über die neue Hilfe.
Der 61-Jährige Marx bringt dabei viel Erfahrung aus seinem Beruf mit ins Team. Gebürtig stammt er aus dem Bereich Herne/Wanne-Eickel. Dort wuchs er „als Kind einer Arbeiterfamilie“ auf, wie er berichtet. Marx betont diesen Fakt deshalb so, weil sein Werdegang damals eher ungewöhnlich für Menschen aus seiner sozialen Schicht gewesen sei. Denn Marx ging nach Bielefeld, um Psychologie zu studieren.
Im Anschluss daran arbeitete er 30 Jahre lang als beratender Psychologe bei einem großen Sozialhilfe-Träger, wie Marx weiter erzählt. Dort sammelte er unter anderem Erfahrungen als Leiter einer Wohngruppe. „Ich kenne die ganze Palette der Probleme“, sagt er über seine Arbeit dort. Durch die Arbeit in der Betreuung und Assistenz seiner Klienten habe er erfahren, wie schwer es für Menschen mit psychischen Erkrankungen ist, sich Hilfe zu holen. „Sie leben oft sehr isoliert und scheuen sich, an die Öffentlichkeit zu gehen“, erzählt Marx. „Ich habe quasi die dunkle Seite der Seele kennengelernt“, sagt er weiter.
Marx machte aber auch persönliche Erfahrungen mit psychischen Problemen. „Ich hatte auch eigene Schicksalsschläge zu bewältigen“, berichtet er. Daher wisse er genau, was es heißt, eine Depression zu haben und „wie hilflos man werden kann“. „Ich weiß, dass man Partner braucht, um aus diesem dunklen Tal herauszukommen“, sagt Marx, der im Jahr 1992 in die Region und nach Stuhr gekommen ist und dessen Frau bei einem bremischen Träger der Altenpflege arbeitet. Er wisse auch, wie schwer es ist, einen Termin bei einem Psychotherapeuten zu bekommen. Gerade in der Corona-Pandemie verschärfe sich dieses Problem noch einmal, ergänzt seine Beratungskollegin Katrin Kurtz.
Aus all diesen Erfahrungen schöpft Marx sein Interesse an der Arbeit bei der EUTB. „Ich möchte noch etwas weitermachen“, sagt er. Im Fokus stehe bei ihm auch die Peer-Beratung. „Das würde ich gerne stärken und stützen“, erklärt Marx. Je nach Betroffenheit könnten diese Berater ihre Klienten auch besser unterstützen.
Das freut naturgemäß auch Katrin Kurtz. Denn sie betont, dass die EUTB Beratung „auf Augenhöhe“ anbietet. „Jeder kann zu uns kommen“, sagt sie und blickt auf ihre Zielgruppe, die Menschen mit Beeinträchtigungen, die von Behinderung bedroht sind, deren Angehörige und Bezugspersonen, aber auch Arbeitgeber umfasst. Kurtz legt auch viel Wert darauf, dass die Beratung unabhängig von Kosten- und Leistungsträgern ist. Deren Mitarbeiter können aber auch zum Beratungsklientel gehören.
Die Bereiche der Beratung können dabei vielfältig und facettenreich sein. „Das Thema ist das ganze Leben“, sagt Beraterin Kurtz. So geht es im Teilbereich Teilhabe und Rehabilitation unter anderem um Hilfe für Eltern, die schulische und berufliche Bildung, die Arbeit, aber auch um Elternschaft und Assistenzleistungen oder die Pflege. Gerade auf dem Land stehen aber auch Fragen nach der Mobilität, der Kommunikation, der Freizeitgestaltung oder das Wohnen im Fokus. „Die Bandbreite ist unglaublich. Sie umfasst das ganze Sozialgesetzbuch“, sagt auch Michael Marx. Mit der dritten Stufe des Bundesteilhabegesetzes, die mittlerweile in Kraft getreten ist, hätten sich die Fragestellungen auch noch einmal erweitert, so Kurtz weiter. „Das Aufkommen wächst“, sagt sie mit Blick auf die Beratungen.
Wichtig sei dabei vor allem die Hilfe zur Selbsthilfe, wie Katrin Kurtz, die selbst Mutter einer 24-jährigen Tochter mit Behinderung ist, betont. „Unser Klientel soll die Kraft finden, für sich selbst zu arbeiten“, sagt sie. So seien sie keine Therapeuten oder Rechtsberater. Die Berater wollen aber als Lotsen fungieren und den Betroffenen Orientierung bieten. In Erstgesprächen soll immer geklärt werden, was überhaupt das Problem ist. Danach werden die Ratsuchenden manchmal auch an andere Stellen verwiesen, so Kurtz. „Vernetzung heißt für uns, mit allen Angebotsträgern zusammenzuarbeiten“, sagt Marx. „Es geht darum, dass die betroffenen Menschen eine Perspektive für sich erarbeiten können“, fasst Kurtz zusammen. Gerade auch Selbsthilfegruppen würden in diesem Bereich eine besonders wichtige Arbeit leisten. Dabei betont Kurtz, dass die Beratung der EUTB auch anonym und ohne die Erhebung von Daten geschehen könne.
Die Corona-Pandemie stellt die EUTB-Berater aktuell aber vor mehrere Herausforderungen. Zwar werde viel Wert auf persönliche Gespräche unter Einhaltung der aktuellen Regeln gelegt, oft finde die Beratung derzeit aber telefonisch statt, sagen Kurtz und Marx. Die Pandemie und die Lockdown-Phasen lassen auch die Anzahl der Gespräche ansteigen. „Zwischen den beiden Lockdowns zwischen Juni und November hatten wir weit über 100 Beratungen im Landkreis“, berichtet Katrin Kurtz aus dem vergangenen Jahr. „Da hatte sich richtig was angestaut“, sagt sie weiter. Hinzu kam, dass sich auch in den Behörden einige Anträge stauten. „Pandemiebedingt haben einige Antragsverfahren länger gedauert“, berichtet Michael Marx. Der Bereich Soziales werde gerade in solchen Phasen oftmals schleifen gelassen, ergänzt Kurtz, die auch Vorsitzende des Kreisbehindertenbeirats im Landkreis Diepholz ist. Ein weiteres Problem bedingt durch die Pandemie ist aber auch, dass die Peer-Beratung in vielen Fällen wegfalle. „Die Berater sind natürlich noch vorsichtiger“, sagt Kurtz mit Blick auf die Beeinträchtigung ihrer Beratungskollegen. Daher freue sie sich sehr, mit Michael Marx neue Unterstützung vor allem für den Bereich Stuhr, Weyhe und Syke zu bekommen.
Weitere Informationen
Die EUTB im Landkreis Diepholz
Der Verein Unabhängige Teilhabeberatung für den Landkreis Diepholz wurde im Oktober 2017 als Träger der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung gegründet. Die fußt auf dem Bundesteilhabegesetz und UN-Behindertenrechtskonvention. Das Angebot im Landkreis startete 2019. Die Förderung des Bundes galt zunächst für zwei Jahre. Der Verein bewarb sich vor Ablauf der Zeit wieder und erhielt vor Kurzem erneut den Zuschlag. „Wir sind jetzt wieder dabei“, sagt Beraterin Katrin Kurtz mit Blick auf die kommenden zwei Jahre. Allerdings muss der Verein auch eine Eigenleistung in Höhe von 12.000 Euro für die Beratungsperiode erbringen. „Daher sind wir auch auf Spenden angewiesen“, sagt Kurtz. Das Spendenkonto ist im Internet unter www.eutb-diepholz.de zu finden.
Die EUTB im Landkreis Diepholz hat zwölf Standorte, an denen Beratungen erfolgen. Diese befinden sich unter anderem in Stuhr (Nebenstelle des Stuhrer Rathauses, Stuhrer Landstraße 33), Weyhe (Alte Wache, Henry-Wetjen-Platz 4 in Leeste), Syke (Waldstraße 1), Bassum (Seniorenberatungsstelle, Alte Poststraße 13) und Bruchhausen-Vilsen (Am Marktplatz 6). Die weiteren Standorte und die Sprechzeiten sind ebenfalls auf der Internetseite des Vereins zu finden.
Coronabedingt sind die Berater derzeit am besten telefonisch erreichbar. Katrin Kurtz hat die Nummer 0173/4384704, Michael Marx ist unter 0173/4394040 zu erreichen und Bernhild Lodny steht unter 0173/5153786 zur Verfügung. Außerdem ist die EUTB per E-Mail an info@eutb-diepholz.de erreichbar.