Zuerst waren die drei Etagen ein Wohnheim für Studenten, dann für Flüchtlinge, zuletzt für Obdachlose – jetzt sind sie ein Hostel: für Touristen, vor allem aber für Monteure. Dass es im Hochhaus am Vegesacker Bahnhofsplatz neuerdings Zimmer und Appartements gibt, die für Tage oder Monate gemietet werden können, kann man von außen nicht sehen. Keine Leuchtreklame, kein Firmenschild. „Kommt noch.“ Iman Rad sagt, dass der Betrieb langsam aufgebaut werden soll. Und dass er ihn zu seinem größten machen will. Auch wenn Vegesack klein ist im Vergleich zu den übrigen Standorten seiner Hostels, die der Unternehmer nennt.
Düsseldorf, Köln, Wien, London. Wie er auf Vegesack gekommen ist, erklärt Rad mit einem Zufall: Sein Steuerberater ist der Bruder des Mannes, der die drei unteren Etagen des Hochhauses am Bahnhofsplatz gekauft hat. Anfang vergangenen Jahres war das. Für 2,5 Millionen Euro hatte ein Makler die Geschosse im Internet angeboten. Mete Recepoglu, der Käufer, befand die Immobilie für eine gute, weil gewinnbringende Immobilie. Damals war die Stadt noch Mieterin, erst mit ihrem Wohnheim für Flüchtlinge, dann für Obdachlose. Die eine Unterkunft wurde im Frühjahr geschlossen, die andere im Sommer. Seit Dezember ist Iman Rad, Geschäftsmann aus Köln, der neue Mieter.
Time Living 24 heißt seine Firma. Das Geschäft mit dem Wohnen auf Zeit ist laut Rad ein wachsendes Geschäft. „In jeder größeren Stadt“, sagt er, „steigt die Zahl der Hostels“. Und trotzdem reichen ihm zufolge die Angebote für Kurzurlauber und Monteure, die weniger zahlen wollen als in einem Hotel und sich deshalb mit weniger zufriedengeben als ein Hotelgast, nicht aus. Rad spricht von mehreren Hostelbetreibern, die unbedingt mit ihm kooperieren wollen, weil ihre Zimmer und Appartements in der Stadt nicht mehr ausreichen. Und von Unternehmen, die seine drei Etagen im Vegesacker Hochhaus am liebsten sofort von ihm übernehmen wollten, als er noch dabei war, die Räume für Gäste einzurichten.
Dass Vegesack ein guter Standort für ein Hostel ist, hat ihm nicht sein Steuerberater gesagt, sondern sein Computer. „Ein spezielles Programm hat den Stadtteil, die Stadt und das Umland genau sondiert.“ Der Rechner kam auf so vielversprechende Werte, dass sich der Hostelbetreiber sicher ist, Erfolg mit seinem Projekt zu haben. Dabei hat der PC ihm zufolge noch untertrieben: „Die Realität ist sogar um einiges besser als die Prognose.“ Laut Analyse sollten in den ersten Monaten etwa zehn Prozent der Zimmer vermietet werden können – „höchstens“. Rad sagt, dass bereits jetzt im Schnitt stets die Hälfte der Appartements belegt sind, einige mit Touristen, die meisten mit Monteuren.
Werftarbeiter als Kunden
Auch das hat ihm der Computer gesagt: Das Hostel wird auf 20 Prozent Kurzurlauber kommen und auf 80 Prozent Handwerker, die auf Montage sind. Rad zufolge arbeiten viele, die jetzt im Hochhaus auf Zeit wohnen, für eine der umliegenden Werften oder einem ihrer Zulieferbetriebe, bei einer Baufirma, die gerade in Bremen einen Auftrag hat, und im Werk von Mercedes-Benz in Hemelingen. Auch wenn Rad keine Werbung für das Hostel macht, hat sich ihm zufolge bei den Unternehmen längst herumgesprochen, dass es in Vegesack noch Zimmer für Monteure gibt. „Ein Großteil der Handwerker ist bei uns, weil sie von Hostelbetreibern vermittelt wurden, die keine Kapazitäten mehr haben.“
Rad hat zwar noch welche, überlegt aber schon jetzt, wie er mehr Platz für Gäste schaffen kann. Momentan hat das Hostel 21 Appartements, manche sind für zwei, andere für vier Besucher. Im nächsten Jahr will er zwei große Räume zu vielen kleinen Räumen machen. Rad denkt nicht in Wohnungen oder Zimmern. Er denkt in Betten. 150 sollen es werden und damit mehr als in seinen anderen Hostels. Seiner Meinung nach brauchen Touristen und Monteure, die günstig wohnen wollen, nicht viel: einen Platz zum Schlafen, einen Schrank fürs Gepäck, ein Bad, eine Küchenzeile. Rad zeigt Fotos von Etagenbetten, wie es sie in anderen Hostels gibt – und bald auch bei ihm geben soll.
Mete Recepoglu, der Eigentümer der Etagen, hat nach eigener Rechnung 200.000 Euro ausgegeben, um die drei Geschosse des Hochhauses zu renovieren. Iman Rad sagt, dass er bisher 50.000 Euro investiert hat – in neue Betten, Tische, Schränke, aber auch in Kochnischen, Spülen und Geschirr. Fernseher gibt es nicht. Auch keinen Zimmerservice. Aber Internet und einen Hausmeister. Alles, meint der Hostelbetreiber, ist einfacher gehalten als in einem Hotel. Dafür ist der Preis auch ein anderer. 30 Euro kostet ein Zimmer pro Tag, zehn Euro ein Bett für die Nacht. Rad hat sein Angebot mit denen von anderen Bremer Hostels verglichen. Er sagt, der Günstigste zu sein.
Der Mietvertrag, den er mit Eigentümer Recepoglu abgeschlossen hat, läuft über zehn Jahre. Und Rad hat die Option auf zehn weitere. Eine Klausel, die es ihm erlaubt, vorher auszusteigen, gibt es nicht. Der Hostelbetreiber glaubt, dass er die auch nicht braucht. Seinen Optimismus begründet er zum einen damit, dass der Betrieb besser angelaufen ist als erwartet. Und zum anderen mit der Ankündigung des Senats, Bremen als Wirtschafts- und Wohnstandort weiter voranzubringen. Beides bedeutet laut Rad weitere Bauvorhaben – und zugleich eine steigende Nachfrage nach Zimmern für Handwerker.
Auf ein Großprojekt baut er mehr als auf jedes andere: auf das neue Quartier, das beim Haven Höövt entstehen soll – quasi vis-à-vis zum Hochhaus am Bahnhofsplatz. Dann, meint Rad, werden es die Handwerker nicht weit haben, wenn sie günstig wohnen wollen. Oder wenn sie zur Baustelle müssen.