Vegesack. Die Jugendlichen der Oberschule an der Lerchenstraße sitzen auf dem Boden, ein Bein lang gestreckt, das andere Bein ist angewinkelt. Sie halten ihre rechte Faust geballt Richtung Decke. „Jetzt die Position Freiheit“, lautete zuvor die Ansage des Trainers. Die Mädchen und Jungen tragen Masken und halten Abstand voneinander. Die eine Hälfte der Schülerinnen und Schüler ist in der Aula, die andere in einem Klassenraum. Tanztrainer Vivak Khamsingsavath ist aus New York zugeschaltet. Das Training wird über die Videoplattform Zoom veranstaltet. Den fertigen Tanz werden die Gruppen am Ende zusammen aufführen.
Insgesamt 18 Schülerinnen und Schüler der Oberschule trainieren gemeinsam für das Projekt „Dancing to Connect“. Zehn Neuntklässler, sechs Achtklässler und zwei Oberstufenschülerinnen. Auch zwei Schüler mit Förderbedarf sind Teil der Projektgruppe. Sie werden unterstützt von Sozialassistentinnen. Das internationale Projekt wird von der New Yorker Battery Dance Company betreut. Professionelle Tänzerinnen und Tänzer aus den USA erarbeiten gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern Choreografien, die am Ende global zusammengeführt werden. Es ist ein Projekt zur Integration und Inklusion, das sich gegen Rassismus und Ausgrenzung an Schulen stellt.
„Vor der Pause will ich noch einmal alles sehen“, sagt der Trainer auf Englisch. Die Jugendlichen verlassen die Tanzfläche und machen sich bereit. Khamsingsavath lässt die Musik abspielen und zwei Mädchen betreten die Bühne der Aula. Sie stehen sich gegenüber, halten sich an den Händen und lassen sich dann nach hinten fallen. Die Bewegungen sind kontrolliert. Sie gehen in die Knie, öffnen ihre Arme in Richtung des Zuschauers, richten sich auf und verlassen die Bühne.
Die erarbeitete Choreografie arbeitet unterschiedliche Themenkomplexe auf. Der Trainer habe die Jugendlichen in der ersten Projektwoche zu verschiedenen Themen, wie Heimat oder Teamarbeit, befragt und aus den Antworten den Tanz entwickelt, sagt Lehrerin Sandra Uyar, die das Projekt an der Oberschule am Lerchenweg mitbetreut. Der Tanzstil ist eine Mischung aus Ausdruckstanz und Ballett. „So sind die Tänze an den verschiedenen Schulen sehr individuell“, sagt Uyar. Sie ist Englischlehrerin mit Tanzerfahrung: Sie selbst tanzte früher beim Grün-Gold Club und leitet die Tanz-AG der Schule. Sie betreut das Projekt gemeinsam mit Gesine Zeynalov und Florian Zierke.
Vom Solo bis zum Duett
Das Bild der Zoom-Konferenz wechselt, ein Mädchen betritt die Bühne des Klassenraums. Sie geht auf die Knie und nimmt die vorher geübte Freiheitsposition ein, bevor sie sich aufrichtet, kurz selbst umarmt und dann eine wiegende Bewegung mit ihren Armen macht. Sie blickt nach links und rechts. Ein weiteres Mädchen betritt die Bühne und dann tanzen sie ein Duett. Es gibt Lob. „Sehr schön“, sagt der Profi.
„Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sollen mit andern Kindern und Jugendlichen zusammengebracht werden“, sagt Torsten Klieme, Leiter des Schulamts Bremen. Durch ihn ist das Projekt in die Hansestadt gekommen. Vorher arbeitete er in Sachsen-Anhalt. Dort gibt es dieses Projekt seit 2015. Die Idee sei mit dem Flüchtlingszuzug aufgekommen. Damals seien die Trainer und Trainerinnen aus New York noch in die Schulen gekommen, um dort mit den Jugendlichen zu arbeiten. Da das in diesem Jahr nicht möglich ist, behelfen sie sich mit dem Onlineangebot. Statt einer großen Abschlussveranstaltung werden alle beteiligten Schulen, die über den Globus verteilt sind, ein Video drehen, dass am Ende zusammengeschnitten wird.
„Sicherheit“, sagt der Trainer auf Englisch. Er steht auf und schlingt seine Arme um sich. „Ich möchte, dass jeder seine eigene Interpretation von Sicherheit zum Ausdruck bringt.“ Er beugt seinen Körper nach vorne, er geht in die Hocke. „Ihr könnt machen, was auch immer euch ein Gefühl von Sicherheit gibt.“ Er setzt sich wieder auf den Platz vor der Kamera. „Wir machen das acht Takte lang“, sagt der Trainer. Sandra Uyar übersetzt die Anweisung des Trainers für die Gruppe. „Okay, lasst uns loslegen. Fünf, sechs, sieben, acht – fühlt euch sicher“, sagt der Trainer. Die Jugendlichen legen ihre Arme um sich, manche sind gebückt, andere stehen gerade, sie bewegen sich nicht.
Die Oberschule am Lerchenweg hatte wenig Zeit, sich auf das Projekt vorzubereiten. „Wir haben erst am Donnerstag vor dem Start erfahren, dass wir dabei sind, weil eine andere Schule abgesprungen ist“, sagt Schulleiterin Kirsten Addicks-Fitschen. Alle Schulen filmen am Abschlusstag ihre Choreografien. Die Aufnahmen werden von den Initiatoren zu einem gemeinsamen Film zusammengeschnitten.
Auch eine zweite Schule aus Bremen-Nord ist im Übrigen Teil des Projektes: die Oberschule in den Sandwehen. 15 Schülerinnen und Schüler aus den Klassenstufen acht, neun und zehn trainieren dort mit ihrer Sportlehrerin Anne Mai Chau und dem New Yorker Tänzer Razvan Stoian.
Das Projekt
„Dancing to Connect“ ist ein Programm für kulturelle Bildung. Initiiert wird es von der New Yorker Battery Dance Company. Die Idee dahinter: Jugendliche mit unterschiedlichem sozialen und kulturellen Hintergrund ermutigen, ihr kreatives Potenzial zu entdecken. Die Choreografien enthalten Elemente des Balletts, Jazz, Latein- und Ausdruckstanzes. In Kleingruppen bearbeiten die Schülerinnen und Schüler im Vorfeld Themenkomplexe wie Teamwork, Corona-Pandemie und das eigene Heimatland. Die dabei entstehenden Notizen werden in die Performance eingearbeitet.
„'Dancing to Connect' nutzt die nonverbalen Potenziale des Tanzes und damit des sozialen und künstlerischen Lernens, um gegenseitigen Respekt, Inklusion, Teamwork, Selbstwirksamkeit und Kreativität erlebbar zu machen“, sagt Schulamtsleiter Torsten Klieme. So sollen Vorurteile und Berührungsängste abgebaut werden. Seit 2017 beschäftige sich das Programm vermehrt mit dem Themenkomplex Flucht, sagt Klieme. Neben den beiden Schulen im Bremer Norden nehmen zwei weitere Schulen des Bundeslandes teil.