Frank Wösten mag Baustellen-Schilder: Sie stehen für Neues – und Neues findet der Chefarzt gut. Als er vor drei Jahren ans Nordbremer Klinikum kam, war seine Ideenliste für die Notaufnahme erst zwei, dann drei Seiten lang. Hinter manchen Projekten hat Wösten mittlerweile einen Haken gemacht. Die Notaufnahme bekam weitere Räume, zusätzliches Personal, neue Technik. Doch der Mediziner will mehr. Den bisherigen Umbau nennt er einen Umbau im Bestand. Und darum nur einen Anfang.
Dabei waren die Handwerker in den vergangenen Jahren fast überall in der Notaufnahme. Sie gestalteten den Eingang neu, wo sie den Wartebereiche trennten: hier die Erwachsenen, dort die Kinder. Sie richteten mehr Behandlungsplätze ein: mehr als eine Handvoll sind nach und nach dazugekommen. Und sie setzten um, was Klinikärzte schon lange gefordert hatten: dass der Bereitschaftsdienst der Kassenärzte so nahe wie möglich an sie heranrückt. Im Haus war er schon, jetzt ist der Notdienst der niedergelassenen Mediziner quasi nur einen Flur von den Notfallmedizinern des Krankenhauses entfernt.
Wösten kommt jeden Tag an den Räumen der Kollegen vorbei. Ihre Sprechzimmer liegen zwischen seinem Büro und der Notaufnahme. Er sagt, dass die Kassenärzte dabei helfen, dass die Klinikärzte mehr mit echten und weniger mit falschen Notfällen zu tun haben. Und dass die jetzt zügiger behandelt werden können als bisher – auch weil das Plus an Behandlungsplätzen mit einem Plus an Pflegekräften verbunden war. Wösten kommt jetzt auf 15,5 Stellen in der Notaufnahme. Und nach eigenen Angaben nicht mehr auf 20 Beschwerden pro Monat, sondern auf eine Beschwerde pro Quartal.

Der sogenannte Schockraum in der Notaufnahme: Dort werden Schwerverletzte und -erkrankte behandelt, die von Rettungskräften gebracht werden – nicht nur von Bremern.
Betten bleiben leer
Auch andere Zahlen haben sich ihm zufolge verbessert. Wösten zeichnet auf, wie lange es dauert, bis eine Pflegekraft die Symptome eines Patienten erfasst hat. Nach seiner Statistik erfolgt die Ersteinschätzung in 85 Prozent der Fälle binnen zehn Minuten. Eingestuft werden die Notfälle nach Farben von Rot bis Blau. Rot heißt, dass sofort behandelt werden muss. Blau bedeutet, die Verletzung oder die Erkrankung ist nicht so gravierend. Auf einem Monitor im Zentrum der Notaufnahme wird sichtbar, was das System aus den Daten macht: Es lässt Patienten in der Prioritätenliste der Mediziner mal auf-, mal absteigen.
Dass an manchen Tagen manche Menschen mehrere Stunden in der Notaufnahme warten müssen, ehe sie behandelt beziehungsweise auf eine Station verlegt werden, begründet Wösten nicht nur mit Schwerverletzten, die immer wieder die Reihenfolge der Behandlungen verändern. Sondern auch mit einem Problem, das es so vorher noch nicht gegeben hat: Aus Personalmangel müssen Betten leer bleiben. Timo Sczuplinski hat es ausrechnen lassen. Nach den Zahlen des Sprechers des Klinikverbunds Gesundheit Nord können pro Tag bis zu 20 der 450 Betten nicht belegt werden, weil es zu wenig Pflegekräfte gibt.
Wösten sagt, dass damit die gute Arbeit und das hohe Tempo der Notaufnahme im Grunde konterkariert werden. Der Chefarzt erlebt es immer wieder, dass Notfälle zur Weiterbehandlung nicht so schnell auf eine andere Station verlegt werden können – und erst einmal in der Notaufnahme bleiben müssen, bis ein Bett für sie bereitsteht. Für Wösten hat der Fachkräftemangel nicht nur deshalb eine neue Qualität bekommen. Der Mediziner erzählt von Privatkliniken, die Summen von 10 000 Euro und mehr zahlen, um Pflegekräfte von anderen Häusern abzuwerben. Und davon, dass sie Erfolg damit haben.
Auch Wösten will mehr Personal. Dass die Notaufnahme bei den Pflegeteams jetzt auf 15,5 Stellen kommt, findet der Chefarzt gut – 20,5 Stellen fände er aber besser. Der Mediziner nennt die Zahl nicht einfach so. Sie ist das Ergebnis einer Kalkulation, nach der auf so und so viele Kräfte so und so viele Patienten kommen müssen. Wösten sagt, dass immer mehr Menschen über die Notaufnahme zum Behandlungsfall für eine Klinik werden. Und dass die Notaufnahme darum immer wichtiger wird. Bereits vor Jahren hat er an einem Konzept mitgearbeitet, um die Notfall- und Akutmedizin neu aufzustellen.

Frank Wösten in einem Behandlungsraum: Der Chefarzt ist froh darüber, dass ihre Zahl aufgestockt wird. Er will aber mehr als weitere Räume und Mitarbeiter. Sein Plan ist eine neue Notaufnahme.
20 statt elf Behandlungsplätze
Und zwar von Grund auf. Wösten spricht nicht bloß von weiteren Mitarbeitern, sondern auch von zusätzlichen Räumen. Von 20 statt von elf Behandlungsplätzen wie bisher. Von einer größeren Empfangszone, einem Team für Demenzkranke, Extrazimmern für wartende Patienten, die liegen müssen. Von mehr Monitorplätzen zur Überwachung, einem Leitsystem für Kranke und Angehörige, einer Anlage, mit der Blutproben verschickt werden können. Wösten sagt, dass das, was bisher umgesetzt wurde, Korrekturen waren, um schnell auf Probleme zu reagieren. Jetzt, meint er, geht es um eine neue Notaufnahme.
Timo Sczuplinski kennt das Papier, an dem Wösten mitgearbeitet hat. Darum weiß der Sprecher des Klinikverbunds auch, dass der Plan nicht nur einen Umbau, sondern auch einen Anbau bedeutet, wenn alles umgesetzt werden soll, was das Konzept vorsieht. Sczuplinski zufolge ist die Notaufnahme ein Millionenprojekt, bei dem noch nicht feststeht, wie viele Millionen es unterm Strich kosten wird – und ob Bremen überhaupt bereit ist, dafür Geld auszugeben. Das Ressort hat zwar einen Antrag auf Übernahme der Planungskosten bekommen, aber ihn bisher weder bewilligt noch abgelehnt.
Nach Sczuplinskis Rechnung sind für den bisherigen Umbau, inklusive eines Computertomografen für die Notaufnahme, rund eine Millionen Euro ausgegeben worden. Die Kosten für die zusätzlich eingestellten Pflegekräfte hat er nicht mitgerechnet. Genauso wenig die drei neuen Behandlungsplätze, die es ab Februar nächsten Jahres geben soll. Frank Wösten zeigt, wo Handwerker demnächst beginnen werden, sie einzurichten. Er öffnet eine Tür, hinter der mal das Bettenlager war. Neben der Klinke baumelt ein Baustellen-Schild im DIN-A4-Format an einem Band. Der Chefarzt strahlt.