Der Motor läuft, Harm Heimsoth wippt auf seinem Sitz etwas auf und ab. Die Kabine seines Traktors thront über der Straße, von hier aus hat der 37-Jährige einen Rundumblick. Er wirft einen Blick zurück und greift zum Funkgerät: „Wollen wir losfahren, oder noch warten?“, fragt er einen zweiten Traktorfahrer. In kleinen Gruppen sollen die 70 Trecker, die sich in Oyten an der Industriestraße versammelt haben, Richtung Bremen fahren. „Einige dachten, wir können im Konvoi fahren“, sagt Heimsoth. Ein geschlossener Zug ist aus Rücksicht auf die übrigen Verkehrsteilnehmer aber verboten. Als sich vier Trecker hinter Heimsoth aufgereiht haben, drückt er um 8.35 Uhr aufs Gas. Auf nach Bremen.
Den Weg zur Parkallee in Schwachhausen zeigt das Smartphone, eine vorab festgelegte Route gibt es nicht. Das Handy im Blick behalten, per Funk kommunizieren und gleichzeitig ein Gefährt steuern, dessen Ausmaße so gar nicht für eine Stadt gemacht sind – diese Situation verlangt Heimsoth höchste Aufmerksamkeit ab. Doch darin hat er inzwischen Routine, er manövrierte diese vier riesigen Reifen schon durch Berlin. Neun Stunden reiste er im vergangenen Jahr einmal durch die halbe Republik, um sich an einer Protestaktion des Bündnisses „Land schafft Verbindung“ zu beteiligen. Mit der Fahrt zur Demonstration in Bremen ist diese Bewegung endgültig vor seiner Haustür angekommen.
Lichthupe als Zeichen der Solidarität
Als die Gruppe aus Oyten einige Minuten auf der Straße ist, erleuchtet von einem Lastwagen auf der Gegenfahrbahn kurz aber heftig die Lichthupe. Der Fahrer streckt den Landwirten einen Daumen entgegen, er zeigt nach oben. „Da krieg ich Gänsehaut“, sagt Heimsoth. Genau diese kleinen Zeichen der Solidarität gäben ihm sehr viel Kraft. „Um diese Momente geht es mir, dafür lohnt sich der ganze Aufwand“, betont er.
Heimsoth liegt die Landwirtschaft im Blut. Er ist auf dem Hof seiner Eltern in Langwedel-Völkersen aufgewachsen, inzwischen trägt er die Verantwortung. Er ist zweifacher Vater, der ältere Sohn ist dreieinhalb Jahre alt. „Als Papa hat bei mir ein Umdenken eingesetzt“, erklärt er. Als er Kind war, sei es ganz normal gewesen, im Heu zu spielen. Diese Selbstverständlichkeit gäbe es heute nicht mehr. „Die Kinder erzählen nicht mehr, dass ihre Eltern Landwirte sind“, betont Heimsoth. Der Gedanke, dass seine Kinder im Kindergarten oder in der Schule deswegen beschimpft werden könnten, treibt ihn um. Das Plakat auf der Front des Treckers zeigt seinen Sohn mit einem Spielzugtrecker. „Berufswunsch: Landwirt. Wird mein Traum zum Albtraum?!“.

Für Harm Heimsoth ist der Protest auch ein Kampf für die Zukunft seines Sohnes.
Er ist schon auf der Zielgeraden zur Parkallee, als Heimsoth eine Gruppe Kinder auffällt. Ein Teil sitzt in zwei großen Bollerwagen, der Rest steht mit zwei Erwachsenen daneben. Die mutmaßliche Kita-Gruppe blickt wie gebannt zu den riesigen Fahrzeugen, viele Kinder winken. Trotz einer grünen Ampel stoppt Heimsoth seinen Trecker für einen Moment und öffnet ein Fenster. „Danke für die Unterstützung“, ruft er der Gruppe mit lauter Stimme entgegen und erwidert das Winken. Wieder einer dieser Gänsehautmomente für den Familienvater.
Düngeverordnung ist Reizthema
Ein Reizthema ist für ihn die Debatte um die Düngeverordnung. Heimsoth baut Kartoffeln und Getreide an und betreibt eine Schweinemast. Ein Teil seiner Flächen liegt in den von der niedersächsischen Landesregierung ausgewiesenen „roten Gebieten“. Eine Verschärfung der Düngeverordnung auf Bundesebene würde ihn deshalb direkt betreffen. „Wenn ich 20 Prozent weniger Dünger ausbringen darf, ist der Boden nicht ausreichend gesättigt. Die Kartoffeln können dann gewisse Backeigenschaften nicht entwickeln“, argumentiert Heimsoth.
Das Bündnis „Land schafft Verbindung“ will sich aber nicht nur in diese Debatte einschalten. Für Heimsoth geht es ganz grundsätzlich darum, dass die Belange der Bauern wieder mehr Beachtung finden. Ein Sinnbild für das mitunter schlechte Bild in der Öffentlichkeit ist für Heimsoth die RTL-Sendung „Bauer sucht Frau“. „Das verblödet die Landwirtschaft. Dieses Bild ist so was von falsch“, ärgert er sich. Dieser Kuppel-Show kann Heimsoth nichts mehr abgewinnen. „Die müssten da mal richtige Vollblut-Bauern zeigen und nicht jemanden, der seine 30 Hühner füttert.“
Auf der Parkallee findet auch Heimsoth einen Platz für seinen Trecker. Dieser „Parkplatz“ ist fast zwei Kilometer lang. Schon beim Aussteigen sieht er einige Freunde. „Und wo geht's zum Marktplatz?“, fragt ein Kollege.
Polizei zieht positive Bilanz
Im Landkreis Verden waren nach Polizeiangaben am Freitag insgesamt rund 300 Traktoren unterwegs, um die Kundgebung in Bremen zu erreichen. 120 von ihnen kamen aus dem benachbarten Heidekreis und wählten eine Route über Verden und Thedinghausen. Aus Richtung Ottersberg kamen etwa 150 Landwirte aus dem Nordkreis. Auch wenn im Straßenverkehr mehr Geduld gefragt war, blieben laut Polizei größere Verkehrsbehinderungen aus. In Einzelfällen mussten die Beamten beruhigend auf andere Verkehrsteilnehmer einwirken. Die Einsatzleitung der Polizeiinspektion Verden/Osterholz zog deshalb insgesamt eine positive Bilanz.